Kanzlerin in Sachsen: Merkel besucht ein polarisiertes Chemnitz
Drei Monate nach der tödlichen Messerattacke und rechten Protesten ist Kanzlerin Merkel zu Gast in Chemnitz. Es gab auch Proteste.
Knapp drei Monate nach dem gewaltsamen Tod eines 35-jährigen Deutschkubaners in Chemnitz hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag die sächsische Stadt besucht. Nach einer Stippvisite beim einheimischen Basketball-Zweitligisten Niners traf sie sich mit Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der Chemnitzer Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) und anderen Kommunalpolitikern zum Gespräch. Es fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.
Oberbürgermeisterin Ludwig erklärte anlässlich des Besuches der Kanzlerin, „wir erleben eine Polarisierung auf allen Ebenen der Gesellschaft, in der gesamten Republik. Was in Chemnitz geschehen ist, hat sogar die Bundesregierung vor eine Zerreißprobe gestellt“. Ob Merkels Besuch mehr als eine Geste und für die Stadt eine Unterstützung sei, lasse sich noch nicht sagen. Entscheidend dafür sei, „ob die Bundeskanzlerin einen Beitrag dazu leisten kann zu zeigen, dass Chemnitz anders ist als der vielfach transportierte Eindruck der vergangenen Wochen“, erklärte Ludwig.
Am Nachmittag wollte die Bundeskanzlerin an einem Leserforum der Regionalzeitung „Freien Presse“ teilnehmen und sich dort kritischen Fragen der Bürger stellen. Chemnitz war nach der tödlichen Messerattacke am Rande des Stadtfestes Ende August wegen zum Teil gewaltsamer Ausschreitungen in die Schlagzeilen geraten und kommt seitdem kaum zur Ruhe. Rechtsextremisten und Rechtspopulisten hatten den Vorfall für ihre Zwecke instrumentalisiert.
Oberbürgermeisterin Ludwig hatte den Besuch der Kanzlerin in Chemnitz bereits im Vorfeld als „viel zu spät“ kritisiert. In einem Interview mit der „Leipziger Volkszeitung“ sagte sie: „Angesichts der Tragweite der Ereignisse im August und der medialen Ausleuchtung, aber auch angesichts der Tatsache, dass die Bundesregierung an deren Interpretation fast zerbrochen wäre, hätte ich mir gewünscht, dass der Besuch eher stattgefunden und die Kanzlerin sich ein Bild vor Ort gemacht hätte.“
Journalisten warf Ludwig vor, dass sie „immer die gleichen Bilder, immer die gleichen Zitate, immer die gleichen Geschichten“ suchten - insbesondere wenn sie „von weiter her kommen“. Selten werde differenziert.
Der Chemnitzer Daniel H. starb an den Folgen von Messerstichen, zu denen es am 26. August nach einer verbalen Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen gekommen war. Zwei weitere Männer wurden verletzt. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz will ihre Ermittlungen bis Januar abschließen. Sie geht von drei Tatverdächtigen aus, der Vorwurf lautet gemeinschaftlicher Totschlag und Körperverletzung. Ein Syrer sitzt in Haft, ein Iraker ist wieder auf freiem Fuß und ein weiterer Iraker ist den Angaben zufolge noch immer flüchtig.
Protest gegen Merkel
Kritiker von Merkel und ihrer Asyl- und Flüchtlingspolitik haben am Rande der Veranstaltungen demonstriert. Die Polizei war mit einem Großaufgebot im Einsatz. Hunderte Menschen haben kamen zu den Protesten. Unter ihnen waren auch viele Rechtspopulisten, die in der Nähe der Halle, in der Merkel auftrat, „Volksverräter“, „Hau ab“ und „Merkel muss weg“ riefen.
Nach Abschluss der Kundgebung sprach die Versammlungsbehörde von bis zu 2500 Teilnehmern. Die Polizei registrierte insgesamt acht Straftaten. Wie eine Sprecherin mitteilte, habe es sich um kleinere Delikte wie Verstöße gegen das Versammlungsgesetz oder Drogendelikte gehandelt.
Einige Demonstranten trugen T-Shirts mit der ironischen Aufschrift „Geil Merkel“, auf einem Transparent stand „Heil Merkel“. Die Demonstranten gehörten zu einer Gruppe mit dem ebenfalls ironischen Namen „Merkeljugend“, der an den Begriff „Hitlerjugend“ - die Jugendorganisation der Nazis - erinnerte. Ein Redner der Gruppe verglich Merkels Politik und die veröffentlichte Meinung in Deutschland mit einer Diktatur und den Methoden der Stasi in der DDR.
Die Polizei teilte mit, sie habe zum Auftakt der „Merkeljugend“-Demonstration am Hauptbahnhof zunächst zehn Menschen zur Feststellung ihrer Personalien vorübergehend mitgenommen. Es werde geprüft, ob ein Verstoß gegen das Versammlungsgesetz vorliege. Alle Menschen hätten anschließend an einer Kundgebung teilnehmen können. (epd, dpa)