Streit um NetzDG: Meinungsfreiheit gibt es auch ohne Twitter und Facebook
Die Kritik an Heiko Maas' Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist überzogen. Statt zu jammern sollten die vermeintlich Zensierten vor Gericht ziehen. Ein Kommentar.
Dank sozialer Netzwerke ist Häme salonfähig geworden, weshalb eine solche Schlagzeile absehbar war: Justizminister Heiko Maas sei Opfer seines eigenen zunehmend umstrittenen Anti-Hass-Gesetzes fürs Internet geworden, heißt es. Der Mitteilungsdienst Twitter hatte einen Eintrag gelöscht, in dem Maas den AfD-Vordenker und SPD-Parteikollegen Thilo Sarrazin als „Idiot“ bezeichnet haben soll.
Schöne Schlagzeile, aber wie vieles, das online kursiert, leider falsch. Das Vorhaben mit dem komplizierten Namen Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist dafür noch zu jung. Es hat auch nicht die Wirksamkeit, die ihm von vielen zugeschrieben wird. So soll es verantwortlich dafür sein, dass Twitter Satire-Posts löscht, die erkennbar unter die Kunst- und Meinungsfreiheit fallen. Kritiker wie Verleger- und Journalistenverbände sehen sich bestätigt. Schuld sei Maas.
Es geht um Recht und Unrecht und nicht um Hass und Häme
Wieder falsch. Schuld ist Twitter. Schuld ist Facebook. Sie sind ohnehin verpflichtet, rechtswidrige Inhalte zu löschen – insbesondere jene, die gegen Strafgesetze verstoßen – und müssen dafür neuerdings ein wirksames Melde- und Löschmanagement vorhalten. Sie sind aber nicht verpflichtet, Satire zu zensieren oder widerliche politische Keiferei zu unterbinden, wie sie die AfD-Politikerin von Storch mit ihrem Tweet zu den „muslimischen Männerhorden“ betreibt. Bei dem Gesetz geht es um Recht und Unrecht, nicht um Hass oder Häme. Wenn die Netzwerke übers Ziel hinausschießen, ist dies in erster Linie ihr Problem. In zweiter Linie, und hier trifft die Kritik, allerdings auch eins der Gesetzgebung.
Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz unternimmt einen Riesenschritt, statt sich mit kleineren vorzutasten, wie es auf Neuland ratsam ist. Nötig und überfällig war, die Unternehmen zu besserer Kooperation mit der Justiz zu verpflichten. Welche Wirkung allein dadurch eingetreten wäre, hätte man abwarten können. Aber es musste gleich zum großen Wurf ausgeholt werden, der als europäisches Vorbild taugen soll. Dass die Unternehmen jetzt im Zweifel lieber löschen, statt es auf Bußgelder ankommen zu lassen, war eine kalkulierbare Nebenfolge.
Meinungsfreiheit heißt nicht, zu jedem Netzwerk-Würstchen eigenen Senf zu geben
Alles in allem, dies zur Beruhigung aufgewühlter Seelen, ist die Meinungsfreiheit in Deutschland aber in gutem Zustand. Das Satiremagazin „Titanic“ kann auch ohne Twitter Witze machen; in Heftform und auf der Webseite. Wer sich politisch äußern will, ist nicht zwingend auf Facebook angewiesen. Meinungsfreiheit ist bislang noch nicht die Freiheit, jedes Würstchen in jedem Netzforum mit dem eigenen Senf zu bestreichen. Oder doch? Statt zu jammern, mögen die Zensierten vor Gericht ziehen und auf Wiederherstellung ihrer Einträge klagen. Dann wird man sehen, wo es nachzubessern gilt.