Debatte über NetzDG: Erleben wir die private Medienpolizei?
Storch, „Titanic“ und gesperrte Twitter-Zugänge: Justizminister Maas verteidigt das neue Netz-Gesetz gegen Hassreden vor Kritik. Grünen-Politikerin Tabea Rößner fordert Nachbesserungen, was die Löschpolitik betrifft.
Ist die Satire, gar die Meinungsfreiheit gefährdet? Bekommen wir jetzt ein Internet voller Blockaden? Die Kritiker des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) laufen Sturm – Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat dieses neue Gesetz gegen Hass im Internet gegen Kritik verteidigt. „Die Meinungsfreiheit schützt auch abstoßende und hässliche Äußerungen. Aber: Die Meinungsfreiheit ist kein Freibrief, um Straftaten zu begehen.“ Soziale Netzwerke müssten sich „wie jeder andere auch an unser Recht halten. Mordaufrufe, Bedrohungen und Beleidigungen, Volksverhetzung oder die Auschwitz-Lüge sind kein Ausdruck der Meinungsfreiheit, sondern sie sind Angriffe auf die Meinungsfreiheit von anderen“, sagte Maas der „Bild“-Zeitung. Facebook, Twitter und Co. sollten kein Interesse daran haben, dass ihre Plattformen für Straftaten missbraucht werden.
Das NetzDG, das soziale Netzwerke zu schärferem Vorgehen gegen strafbare Inhalte im Netz verpflichtet, gilt seit 1. Januar in vollem Umfang. Kritiker sehen darin eine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Sie befürchten, dass die Plattformen gemeldete Beiträge aufgrund der drohenden Bußgelder voreilig löschen. Vor wenigen Tagen hatte Twitter vorübergehend das Profil der AfD-Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch gesperrt. Hintergrund war ein Tweet, in dem sich Storch über einen arabischsprachigen Tweet der Kölner Polizei zu Silvester geärgert und laut Medienberichten von „barbarischen, muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden“ geschrieben hatte.
Das Gesetz stößt auch bei Netzaktivisten auf erheblichen Widerstand. In Foren tobt es: Das NetzDG habe „Blockwart-Qualitäten“. Wie ambivalent, beziehungsweise selektiv die Löschpolitik Sozialer Netzwerke sein kann, zeigt auch der Fall Richard Gutjahr. Der Journalist beschrieb jüngst bei einem Vortrag, was ihm passierte, nachdem er bei den Anschlägen in Nizza und München als erster von den Attentaten berichtete. Er wurde im Netz zum Gegenstand von Verschwörungstheoretikern und scheiterte bei Google und Facebook mit seinen Löschanliegen.
„Im Zweifel gegen die Meinungsfreiheit“
Ein weiteres Problem: Durch den Versuch der Netzkonzerne, sich an die neuen Regeln zu halten, werden auch eindeutig satirisch gemeinte Postings für Nutzer aus Deutschland unlesbar, wie zuletzt beim Satiremagazin „Titanic“, dass einen Fake-Tweet der „Gasttwitterin“ Beatrix von Storch absandte. Daraufhin hat Twitter den Zugang zum „Titanic“-Account blockiert und verlangte die Löschung des inkriminierten Tweets. Dem ist die „Titanic“ nicht nachgekommen.
Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) hat die Blockade des Satiremagazins auf Twitter als „Zensur“ kritisiert. „Nun tritt ein, wovor wir bereits bei der Verabschiedung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes gewarnt haben“, sagte BDZ-Hauptgeschäftsführer Dietmar Wolff. Die Plattformbetreiber würden „im Zweifel gegen die Meinungsfreiheit“ entscheiden, um sich vor möglichen hohen Geldstrafen zu schützen. An die Stelle des Rechtsstaats trete eine „private Medienpolizei“.
Es sei ja nicht neu, dass soziale Netzwerke und Politik zwischen ernstem Hass und parodistischer Aneignung nicht unterscheiden können, obwohl das Schulhofkinder können, sagt „Titanic“-Chefredakteur Tim Wolff. Im jetzigen Zusammenspiel verschärfe sich das Problem und betrifft schneller alles, was mit Ambivalenz arbeitet, eben Komik zumeist.
In die Richtung argumentiert auch Tabea Rößner, medienpolitische Sprecherin der Grünen. "Wir haben das Neztwerkdurchsetzungsgesetz sehr heftig kritisiert, auch wenn wir uns bei der endgültigen Abstimmung enthalten haben, weil wir als grüne Bundestagsfraktion der Ansicht sind, dass man gegen Hass und Hetze im Netz vorgehen können muss." Die Einrichtung von Zustellungsbevollmächtigten, erst auf die letzten Meter noch im Gesetz verankert, sei beispielsweise sinnvoll und war lange überfällig.
"Das ganze Gesetzgebungsverfahren war ziemlich überstürzt, und die Koalition hat die vielfach geäußerten (verfassungs)rechtlichen Bedenken überhaupt nicht ernst genommen." Zu kritisieren seien, so Rößner weiter, vor allem die viel zu kurzen Löschfristen, unbestimmte Rechtsbegriffe und fehlende Verfahrensregeln, die die Gefahr des Overblockings mit sich bringen. "Zudem muss es ein Put-back-Verfahren geben, damit unrechtmäßig gelöschte Inhalte wieder eingestellt werden."
Die regulierte Selbstregulierung sei nicht richtig herausgearbeitet, und vor allem müsse, sagt Rößner, die Staatsferne bei der Aufsicht gewährleistet sein. "Daher hatte ich schon vor einem Jahr bereits vorgeschlagen, die Aufsicht den Landesmedienanstalten zu übertragen, die hier bereits Kompetenzen und Erfahrungen haben." Die Inhalteregulierung obliege den Ländern. "Dafür bräuchte man nur eine kleine Änderung im Rundfunkstaatsvertrag vornehmen."
Der Staat habe die Aufgabe, ja sogar die Pflicht, die sozialen Netzwerke in die Rechtsordnung unseres freiheitlichen Rechtsstaates einzubinden. "Unsere Regulierung stammt aber noch überwiegend aus der analogen Welt und muss behutsam und gut durchdacht in die digitale Welt transformiert werden." Dabei gehe es um den Erhalt von Meinungsfreiheit und um Regeln, die einen demokratischen Meinungsbildungsprozess erst ermöglichen.