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Was denkt Deutschland? Die Mitte-Studie untersucht dies für rechtsextreme und antidemokratische Einstellungen im Rhythmus von zwei Jahren.
© Christoph Söder/dpa
Update

Was denkt Deutschlands Mitte?: Mehrheit hält Rechtsextremismus und Klimawandel für die größte Bedrohung

Die "Mitte-Studie" fragt alle zwei Jahre nach den Ängsten und der politischen Einstellung der Bürger. Die Coronapandemie spielt für viele kaum noch eine Rolle.

Die breite Mitte der Gesellschaft scheint Abwehrkräfte gegen Rechtsextremismus zu haben. Menschenfeindliche und rassistische Haltungen breiten sich dort allerdings aus – in einem Maße, das das Forschungsteam der regelmäßig alle zwei Jahre erscheinenden “Mitte-Studie” für Anlass zum Gegensteuern hält.

Die aktuelle Ausgabe unter dem Titel “Geforderte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2020/2021” wurde am Dienstag von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht, die sie seit 2006 in Auftrag gibt.

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Die Forschungsarbeit, die das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld leitet, ist mit der seit fast 20 Jahren laufenden Langzeitstudie des Instituts über “gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit” verbunden. “Mitte” bedeutet für das Forschungsteam nicht nur die Mittelschicht, sondern die Breite der Gesellschaft jenseits antidemokratisch-extremer Ränder, diejenigen, die Mitte, die als die gelten kann, die das demokratische Gemeinwesen trägt.

Für sie gilt laut neuester Studie, dass sie Rechtsextremismus für die größte Bedrohung hält. Dieser Meinung waren 70 Prozent derer, die in der repräsentativen Untersuchung befragt wurden. “Die Mitte”, schreiben die Forscher:innen, “scheint nach den rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen Attentaten, die in den vergangenen Jahren auch Deutschland erschüttert haben, und der inzwischen auch politischen und medialen Aufmerksamkeit für den Anstieg an Hasstaten aufgewacht zu sein und erkennt den Rechtsextremismus als Gefahr für das Land.”

Beate Küpper, Professorin der Hochschule Niederrhein und mit Andreas Zick vom Bielefelder IKG Herausgeberin der Mitte-Studie, verwies darauf, dass tatsächlich auch hart rechtsextreme Einstellungen in der gesellschaftlichen Mitte weiter auf dem Rückzug seien. Die Studie misst dies daran, dass die Befragten sowohl einen Führerstaat befürworten, den Nationalsozialismus verharmlosen als auch Deutsche anderen für überlegen halten. Das sei "allerdings ein sehr strenges Kriterium", so Küpper, "was der Grund für die sehr niedrigen Prozentzahlen harten Rechtsextremismus in der Studie sein könne. Nur 1,4 Prozent der Befragten verharmlosten etwa die NS-Herrschaft. Weil die Fragen auch per Telefon gestellt wurden, was die Scheu der Befragten erhöht, sich klar rechts zu positionieren, handle es sich um "eher zurückhaltende, konservative Zahlen. "Wichtig ist aber: Rechtsextremismus geht deutlich zurück."

Klare Mehrheit bezeichnet sich als demokratisch gesinnt

Fast gleichauf mit denen, für die er im Gegenteil die Hauptgefahr ist, liegen die, die in der Studie den Klimawandel als schlimmste Bedrohung ansehen (69,9 Prozent). Auf den nächsten Plätzen folgen soziale Spaltung (61,5%), die Coronapandemie (60,5%) und Vereinsamung (53,8%). Mit Abstand folgen Linksextremismus (40,4%) und Islamismus (38,9%).

Eine klare Mehrheit bezeichnet sich zudem als demokratisch gesinnt. 72,8% der Befragten erklärten sich als "überzeugte Demokrat:innen"; knapp zehn Prozent lehnten dies für sich ab.

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Das Bild ändert sich jedoch mit den Detailfragen. Da haben mehr als 20 Prozent ihre Zweifel, ob die Demokratie wirklich dazu führt, dass sachgerechte Entscheidungen getroffen werden, und halten die Kompromisse für faul, zu denen sie zwingt. Etwa so viele meinen auch, es werde zuviel Rücksicht auf Minderheiten genommen und ein knappes Viertel stimmt folgendem Satz zu: „Im nationalen Interesse können nicht wir nicht allen die gleichen Rechte gewähren“.

Und etwa 16 Prozent sind der Meinung: „Die regierenden Parteien betrügen das Volk“. Ebensoviele sind sogar der Meinung, die Bundesrepublik ähnele einer Diktatur mehr als einer Demokratie. Mit einem Viertel, das Neigungen zum Populismus, darunter 13 Prozent zum Rechtspopulismus zeigt, sei die gesellschaftliche Mitte “in Teilen offen” für antidemokratische Tendenzen, der ein “Türöffner für Rechtsextremismus” sein könne.

Sozialdarwinismus wird stärker

Und während hart rechtsextreme Aussagen immer seltener offene Zustimmung finden und in der aktuellen Mitte-Studie sogar weniger Fremdenfeindlichkeit zu messen war, steigt das Einverständnis mit sozialdarwinistischen Aussagen seit 2014 leicht, aber kontinuierlich an. Die Aussage zum Beispiel, dass es wertvolles und "unwertes" Leben gebe, fanden 16,6 Prozent der Befragten mindestens teilweise in Ordnung.

Das Team der Mitte-Studie warf nach Aussage von Küpper und dem Leiter des Bielefelder IKG, Andreas Zick, auch erstmals einen genaueren Blick auf die "teils-teils"-Antworten, die verraten, dass bestimmte Behauptungen mindestens nicht abgelehnt oder teils geteilt werden. Sie seien nämlich mehr geworden, schon zwischen den Studien von 2016 und 2018 und nun erneut. Dies verrate Unsicherheit und womöglich eine tatsächliche latente Zustimmung, die man nur nicht so klar äußern wollte, meinte Küpper. "Alle klaren Ablehnungen sind rückläufig", auch die zum Antisemitismus. "Dies spricht dafür, dass das Aufweichen der öffentlichen Ächtung von Antisemitismus inzwischen Spuren hinterlässt."

Das Fazit der Bielefelder Forschungsgruppe: “Insgesamt zeichnet die Studie einerseits eine mehrheitlich demokratisch orientierte Gesellschaft, andererseits eine immer unkonkretere Ablehnung gegenüber rechtsextremen Einstellungen, die sich in Uneindeutigkeiten, Ambivalenzen und subtilen Zustimmungen zeigt. Es braucht mehr politische Demokratiebildung, Arbeit gegen Vorurteile und weniger Verharmlosung von Demokratiefeindlichkeit und rechten Meinungen.”

Andreas Zick sagte bei Vorstellung der Studie, demokratische Grundeinstellungen seien in der deutschen Bevölkerung "durchaus weit verbreitet". Gerade jetzt, da das Land in den Ausläufern einer Krise stecke und neue Krisen vor der Tür stünden, brauche es eine starke demokratische Mitte aber auch. Die könne man fördern. Er und sein Team sähen "Riesenchancen" in politischer Bildung.

Andrea Dernbach

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