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Das Leben ist stark eingeschränkt - auch in hier in Saarbrücken.
© Oliver Dietze/dpa
Update

Maßnahmen gegen Coronavirus: Mehrere Länderchefs dämpfen Hoffnungen auf Lockerungen

Am Mittwoch soll entschieden werden, wie es in der Coronavirus-Krise weitergeht. Es zeichnet sich ab: Baldige große Veränderungen sind unwahrscheinlich.

Deutschland blickt gespannt dem kommenden Mittwoch entgegen: An diesem Tag will Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten der Länder über die nächste Phase im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus beraten. Dabei soll es - auf Grundlage der Fallzahlen und der Einhaltung der Ausgangsbeschränkungen an den Feiertagen - auch darum gehen, wie es mit den zunächst bis zum zum 19. April befristeten Maßnahmen weitergeht.

Merkel (CDU) hatte die Bürger am Donnerstag zum Einhalten der Corona-Auflagen über die Ostertage aufgerufen. „Wir dürfen jetzt nicht leichtsinnig sein“, mahnte sie. „Wir müssen konzentriert bleiben, die Lage ist fragil.“ Eine Lockerung werde „nur in kleinen Schritten“ erfolgen können, sagte Merkel. „Wir müssen immer wieder die Folgen beachten.“

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Mehrere Länderchefs haben sich nun schon recht deutlich positioniert und Unterstützung für Merkels Kurs signalisiert. Die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer (SPD) sagte der Süddeutschen Zeitung“, für sie stehe „der Schutz der Bevölkerung an erster Stelle“.

Ihre Regierung bereite mit Experten aus Gesundheit, Wirtschaft und Bildung zwar Szenarien für eine allmähliche Rückkehr in normale Verhältnisse vor. Dabei spielten Vorbeugung und der Schutz von gefährdeten Gruppen eine große Rolle. Klar sei aber auch: „Denkbare Lockerungen können nur mit einer großen Hygiene-Offensive einhergehen. Wir alle müssen uns darauf einstellen: Unser Alltag wird noch lange von Abstandsregeln und hohen Hygienestandards bestimmt werden."

„Nicht von null auf hundert schalten“

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) äußerte in dem Blatt die Sorge, dass eine zu schnelle Lockerung eine zweite Welle der Pandemie auslösen und erneute Einschnitte erzwingen könnte. „Ein zweiter Shutdown wäre wirtschaftlich und auch gesellschaftlich schwer zu verkraften“, sagte Kretschmann.

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD), derzeit Präsident des Bundesrates, sagte: „Erst wenn sich die Situation deutlich und nachhaltig verbessert, werden wir die Schublade mit den sukzessiven Ausstiegsplänen ziehen. Sicher ist: Wir werden nicht von null auf hundert schalten.“

Der Regierungschef des bevölkerungsreichsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet (CDU), hatte am Gründonnerstag Hoffnung geweckt, dass sich nach Ostern etwas ändern könne. Er sprach sich dafür aus, das öffentliche Leben nach Ostern allmählich in eine „verantwortbare Normalität“ zurückzuführen. Die Lockerung der Auflagen werde „behutsam“ und „nicht mit einem Schlag“ gehen, sagte Laschet im Düsseldorfer Landtag: „Aber dass wir nach Ostern diesen Versuch wagen sollten, davon bin ich überzeugt.“

Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz: Malu Dreyer (SPD).
Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz: Malu Dreyer (SPD).
© Andreas Arnold/dpa

Es würden Freiheiten entstehen - so viel wie möglich, aber „in neuer Rücksichtnahme, neuer Verantwortung und in Distanz.“ Am Freitag äußerte er sich dann erneut, dieses Mal in einer via Twitter verbreiteten Osterbotschaft. „Wir erleben Ostertage wie wir sie noch nie hatten“, sagte Laschet. Das Zusammensein mit Familie und Freunden und andere liebgewordene Traditionen könnten in diesem Jahr nicht stattfinden.

„Wir schützen und retten Leben mit unserem Verhalten und mit dem Einhalten des Kontaktverbots“, sagte er weiter. Nur so seien die Infektionen einzudämmen und Zeit zu gewinnen, um die Kurve abzuflachen. Der Weg zurück in die Normalität werde bestimmt durch das Verhalten von heute. „Es gilt weitermachen, durchhalten, Abstand halten und zusammenhalten.“

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der in der Pandemie mit scharfen Auflagen für die Bürger im Freistaat zunächst vorgeprescht war, ist der Ansicht, dass die Exit-Strategie in Deutschland nicht zwingend einheitlich sein müsse. „Wir müssen abwarten, ob sich die Zahlen weiter stabilisieren“, sagte er in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur (dpa).

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Weiter sagte Söder: „Tatsächlich ist die Situation regional unterschiedlich - in Bayern und Baden-Württemberg ist sie anders als in Mecklenburg-Vorpommern oder Schleswig-Holstein. Dort ist das Infektionsgeschehen von Anfang an deutlich niedriger gewesen. Insofern muss auch das gemeinsame Konzept in Deutschland den unterschiedlichen Situationen gerecht werden.“

Söder forderte dennoch, es solle so viel gemeinsam geschehen wie möglich. „Leider scheren jetzt schon einzelne Länder aus. Wir sollten in Deutschland aber eine Linie behalten. Im Moment kommen wir besser durch die Krise als andere Länder. Aber Ungeduld kann zu erheblichen Rückschlägen führen. Die Balance von Freiheit und Sicherheit ist zentral. Wer aus Ungeduld zu früh und zu viel lockert, riskiert Leben“, sagte Söder.

In seiner Osteransprache sagte Söder dem vorab verbreitetem Redemanuskript zufolge: „Es wird auch nach den Osterferien nicht einfach so weitergehen können wie vorher.“ Solange es keinen Impfstoff oder keine Medikamente gebe, sei Vorsicht geboten. Trotzdem gab sich der Ministerpräsident zuversichtlich. „Unsere Experten sagen: Wir bekommen Corona langsam unter Kontrolle“, betonte er und fügte hinzu, dass mehr als 50.000 zusätzliche Neuinfektionen verhindert werden konnten.

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Insbesondere aus der Wirtschaft waren zuletzt Rufe nach Lockerungen laut geworden. Das Verständnis für den Shutdown sei auch in der Wirtschaft groß. „Die Unternehmen brauchen aber möglichst bald eine klare Orientierung, wie sie künftig - jenseits der konkreten Terminfrage - ihre Geschäftstätigkeit an die höheren Vorgaben des Gesundheitsschutzes anpassen können“, sagte der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, Eric Schweitzer, der „Saarbrücker Zeitung“.

Wirtschaftsminister Altmaier warnt vor voreiligen Schritten

Der Präsident des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung, Christoph Schmidt, forderte in der „Rheinischen Post“: „Nun sollte umgehend eine Phase der wachsamen Normalisierung aufgenommen werden.“

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier warnte dagegen vor voreiligen Schritten. „Wir sehen einen ersten Silberstreif am Horizont, denn die Zahl der Neuinfektionen nimmt nicht mehr so stark zu“, sagte der CDU-Politiker der „Augsburger Allgemeinen“. Dies sei der großen Disziplin der Bürger zu verdanken. „Wenn wir aber die Beschränkungen zu früh lockern oder aufheben, waren all diese Opfer möglicherweise umsonst.“

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).
© Peter Kneffel/AFP

Als eines der größten Unternehmen hat der Autokonzern Volkswagen bereits angekündigt, in wenigen Tagen seine Pläne für das Hochfahren der Produktion in Deutschland nach dem Stillstand in der Corona-Krise vorzustellen. „Die Planung für den Wiederanlauf wird ausgearbeitet“, sagte der Beschaffungsvorstand im Volkswagen-Konzern, Stefan Sommer, der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Wir werden sie nach Ostern vorstellen.“ Alles hänge aber stark an den Vorgaben der Politik, „und wann sie plant, das öffentliche Leben wieder hochlaufen zu lassen“.

Volkswagen selbst werde aber „schon bald mit einer klaren Vorstellung kommen, wann die Werke wieder hochgefahren werden, wie die Lieferketten wieder anlaufen“. Dazu müssten zunächst die Lieferketten wieder aufgebaut werden, sagte er, „und gleichzeitig muss auch die Nachfrage wieder da sein.“

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Eine der wichtigsten Fragen bei möglichen Lockerungen dürfte für viele Eltern sein, wann der Schulunterricht wieder aufgenommen wird. Auch dies dürfte Thema bei dem Treffen am Mittwoch sein. Die Meinungen, wie es dort konkret weitergehen soll, gingen zuletzt auseinander. Merkel hatte in ihrer Pressekonferenz vor Ostern gesagt, sie halte Schulen und Kindergärten „nicht für den Ort, an dem man nun mit einfachster Maßnahme den Abstand sicherstellen kann, den man noch braucht“.

Konsens scheint zu sein, dass der Schulbetrieb nur schrittweise wieder anlaufen sollte. Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, plädiert dafür, zuerst die Abschlussklassen zurückkehren zu lassen. Einen Unterrichts-Vollstart werde es nach den Osterferien an den Schulen jedenfalls nicht geben.

Auch die Kommunen plädieren bei möglichen Lockerungen für einen zwischen Bund und Ländern abgestimmten Stufenplan. Der Präsident des Städtetags, Burkhard Jung, sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: „Wir müssen noch auf längere Sicht Geduld haben, um das Ansteckungsrisiko mit dem Coronavirus weiter gering zu halten.“

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Ein zu erarbeitendes Stufenkonzept könne vielleicht regional angepasst umgesetzt werden, weil die Lage in Bayern anders sei als in Mecklenburg-Vorpommern. „Aber die Basis sollte ein bundesweites Konzept sein“, forderte der Leipziger Oberbürgermeister.

„Die Menschen müssen nachvollziehen können, was sie zu erwarten haben“, sagte Jung: „Dann können sie abschätzen, unter welchen Voraussetzungen ihre Kinder wieder Schule oder Kita besuchen können. Dann können sie absehen, dass sie ab einer bestimmten Stufe wieder zum Friseur gehen können, ins Schwimmbad oder in eine Gaststätte.“

„Die Menschen sehnen sich danach, wieder mehr außerhalb ihrer Wohnungen unternehmen zu können", sagte der SPD-Politiker weiter. Auch kleine Geschäfte und die Wirtschaft insgesamt bräuchten einen Hoffnungsschimmer. „Klar aber muss bleiben: Auch im Mai, Juni oder Juli wird unser Leben nicht wieder so ablaufen wie vorher", betonte Jung.

Hintergrund zum Coronavirus:

Wie ernst die Führung des Staates die Lage weiter einschätzt, zeigt auch, dass Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Samstagabend eine Fernsehansprache zur aktuellen Situation in der Coronavirus-Pandemie halten will. Für gewöhnlich richten sich die Bundespräsidenten einmal im Jahr mit einer Weihnachtsansprache an die Bürger.

Dem vorab veröffentlichen Redemanuskript zufolge mahnte Steinmeier die Bürgerinnen und Bürger an Ostern zu Geduld, Disziplin und Solidarität. Er zeigte sich aber auch optimistisch: „Wir können und wir werden auch in dieser Lage wachsen.“ Steinmeier sagte, es sei „gut, dass der Staat jetzt kraftvoll handelt - in einer Krise, für die es kein Drehbuch gab.“ Zugleich appellierte er an die Menschen in Deutschland: „Ich bitte Sie alle auch weiterhin um Vertrauen, denn die Regierenden in Bund und Ländern wissen um ihre riesige Verantwortung.“

Mehrheit zufrieden mit Krisenmanagement der Regierung

Noch zumindest darf sich die Bundesregierung dem Rückhalt der Mehrheit der Bevölkerung für ihren Kurs sicher sein. In einer Befragung des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der dpa bewerteten 66 Prozent das Agieren des schwarz-roten Kabinetts unter Leitung von Merkel in der Krise eher positiv. Vor zwei Wochen waren es noch 54 Prozent. Der Anteil der Unzufriedenen ist in diesem Zeitraum von 38 auf 27 Prozent gesunken.

Das Krisenmanagement wird demnach über die Parteipräferenzen hinweg überwiegend positiv bewertet, mit einer Ausnahme: Die Wähler der AfD sind zu 52 Prozent unzufrieden und nur zu 45 Prozent zufrieden. Aber auch hier wächst die Zustimmung zum Regierungskurs: Vor zwei Wochen waren noch 68 Prozent der AfD-Wähler eher unzufrieden und nur 27 Prozent zufrieden.

Die Bundesregierung ist sich andererseits der Gefahr, dass die Stimmung kippen könnte, sehr wohl bewusst. Dies zeigt ein Strategiepapier des Innenministeriums von Horst Seehofer (CSU) zu „psychosozialen und soziologischen Effekten“ der Coronavirus- Krise, das dem Tagespiegel vorliegt. Darin heißt es: „Nach Ostern spätestens ist damit zu rechnen, dass eine ,Isolationsmüdigkeit‘ auftritt.“

Es sei müsse einkalkuliert werden, „dass die derzeit bestehende hohe Zustimmungsrate für die Maßnahmen massiv sinkt und die Notwendigkeit, Sinnhaftigkeit und rechtliche Zulässigkeit der Maßnahmen deutlich hinterfragt wird“. Die mit dem warmen Wetter gegebenen Möglichkeiten und Bedürfnisse zum Aufenthalt im Freien könnten „die Anordnung des Verbleibs in engen Wohnungen zusätzlich in Frage stellen“.

In dem Papier schreibt das Ministerium ausdrücklich von der Sorge einer Verrohung der Gesellschaft, wachsender Aggressivität, Denunziantentum und einem zu befürchtenden Anstieg von Suiziden.

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