Mensch und Maschine: Mehr Zeit für Sex und Rock ’n’ Roll
Bald werden uns die Maschinen nicht mehr brauchen – außer als Datenproduzenten und Konsumenten. Keine schlechte Aussicht, findet unser Autor.
Wie viel Mensch braucht Digital? 2008 hat der Technologe Ray Kurzweil geschätzt, dass die Rechenkapazität des menschlichen Gehirns ungefähr bei 20 Quadrillionen Rechnungen per Sekunde liegt. Ich bin beeindruckt von uns Menschen und kann mir gar nicht vorstellen, dass dies auch auf mich zutreffen soll. Egal, Kurzweil glaubt, dass wir nur einen Computer entwickeln müssen, der genauso schnell rechnen kann und ihm eine ordentliche Software dazugeben, und schon könnten wir das menschliche Gehirn simulieren. Im Juni 2014 hat ein chinesischer Supercomputer (ja, die schnellsten Computer kommen jetzt aus China) 34 Quadrillionen Rechnungen per Sekunde geschafft, also fast doppelt so viel wie ein menschliches Gehirn. Sind Computer nun schon besser und schneller als Menschen, und das nicht nur im Rechnen, sondern auch im Denken?
Wer es noch nicht getan hat, sollte sich einmal den Film „Her“ von Spike Jonze angucken, um einen Eindruck davon zu bekommen, wie die Verknüpfung von Daten gekoppelt mit gigantischer Rechenleistung aussehen könnte. In dem Film probiert der männliche Hauptdarsteller eine neue Software aus, die Zugriff auf alle seine Daten wie E-Mails, Kalender, Kontakte, Suchanfragen, Dokumente hat, und diesen Mann durch deren Verknüpfung fast besser kennt als er sich selbst. Die Software spricht mit der Stimme von Scarlett Johansson und so ist es kein Wunder, dass sie die eigentliche Hauptrolle spielt und der männliche Hauptdarsteller sich in die Stimme und die Datenpower dahinter verliebt. Klingt verrückt, aber nur auf den ersten Blick.
Wir alle werden inzwischen von elektronischen Assistenten betreut
Auf den zweiten Blick sieht man, dass wir ja jetzt schon dauernd von digitalen Assistenten betreut werden. Man wird rechtzeitig an Geburtstage und Hochzeitstage erinnert, Termine werden eingetragen und es wird sichergestellt, dass man rechtzeitig hinkommt, das Wetter wird angezeigt, damit man sich richtig kleidet, auch wenn man verreist. Das wird immer besser, und ich find’ das eigentlich gut. Ich muss erinnert werden, ich find’ es gut, wenn jemand meine Reiseplanung übernimmt und im Falle eines Bahnstreiks schnell für mich ein Auto mietet oder das Hotelzimmer verlängert. Jeder kann sich einen persönlichen Assistenten oder eine Assistentin leisten, ohne eine Riesenfirma führen zu müssen. Man muss keine Personalgespräche führen, Überstunden genehmigen und Urlaubsvertretung organisieren. Der digitale Assistent vergisst nichts. Und man kann Berufliches und Privates vermischen, ohne sich schlecht dabei zu fühlen. Man ist der Geschäftsführer seiner selbst mit einer Rundumassistenz. Wenn man will, kann man dies auch mit dem Gesundheitscoach verbinden, der dann auch noch sicherstellt, dass man zu Terminen läuft, damit man sein Laufpensum erfüllt. Wenn man im Stress ist, werden ein paar Yogaübungen empfohlen und ein Kaffeeverbot verhängt. Klingt alles klasse. Aber wer einen effizienten Assistenten hat, weiß auch, dass man viele Dinge nicht mehr selbst entscheidet. Auch wichtige. Sind Maschinen die besseren Menschen? Was Datenverarbeitung und Rechenleistung angeht, definitely.
Heißt das, dass wir uns selbst outsourcen? Trifft auf die Digitale Revolution zu, was auch auf die meisten analogen Revolutionen zutrifft, dass sie ihre Kinder frisst? Und sind die Kinder in diesem Fall nicht nur die verschiedensten Softwareentwickler und Internet-Gurus, sondern die Menschen selbst, die sich mit besser denkenden Maschinen die besseren Menschen schaffen werden?
Frei nach Keynes: Menschen werden in Zukunft nur noch als Konsumenten gebraucht
Für Holger Steltzner, einen der Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, sieht die Zukunft etwa so aus: „Es wird eine kleine Gruppe von Menschen geben, die Computern sagen, was sie tun sollen. Und eine viel größere Gruppe von Menschen, denen Computer sagen, was sie zu tun haben. Auf einen guten Lohn wird nur die erste Gruppe hoffen dürfen.“ Vermutlich sieht er sich in der ersten Gruppe, unabhängig davon, ob es die „F.A.Z.“ auch in Zukunft noch gibt. Vielleicht ist er aber auch zu optimistisch, denn warum sollten Computer Befehle von Menschen entgegennehmen, die ihnen geistig unterlegen sind? Wenn diese „besser funktionierenden Menschen“ fast alles von uns übernehmen können, nicht nur mechanische, sondern auch intelligente, vielleicht sogar intellektuelle Aufgaben, können wir uns dann zurücklehnen, Tee trinken, gut essen, Fußball gucken und über Dialektik philosophieren?
Einer der wichtigsten Ökonomen der letzten 100 Jahre war John Maynard Keynes. Die Konjunkturtheorie, die ihn berühmt gemacht hat, besagt stark vereinfacht, dass der Staat in Krisenzeiten den Konsum stimulieren sollte, um Nachfrage zu generieren und dem durch die Krise hervorgerufenen Konjunktureinbruch entgegenzuwirken. Zur Not auch auf Pump.
Keynes war einer der klügsten Köpfe around. Seine Ideen haben maßgeblich zum Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg beigetragen. Dass die Finanzkrise 2008 nicht noch viel schlimmer abgelaufen ist, hat auch mit Keynes’ Ideen zu tun. Also dieser kluge Kopf sagte 1930 in seinem Essay „Economic Possibilities for our Grandchildren“ („Wirtschaftliche Möglichkeiten für unsere Enkelkinder“) voraus, dass aufgrund des technischen Fortschritts, der immer höheren Produktivität und des steigenden Vermögens „das wirtschaftliche Problem innerhalb von hundert Jahren gelöst sein dürfte“. Die Menschen werden im Jahr 2030 von den „drückenden wirtschaftlichen Sorgen erlöst sein“, ihr größtes Problem werde es vielmehr sein, „wie die Freizeit auszufüllen ist“. Denn „Drei-Stunden-Schichten oder eine Fünfzehn-Stunden-Woche“ seien völlig ausreichend, um die Lebensbedürfnisse zu befriedigen.
Klingt toll, oder? Er hat sich hier wohl mächtig geirrt. Zwar sind es noch ein paar Jahre bis 2030, aber 85 Jahre später arbeiten wir mindestens 40 Stunden in der Woche, das Rentenalter wurde auf 67 Jahre hochgesetzt. Bei Kopfarbeitern ist die Wochenarbeitszeit sogar eher gestiegen. Die Arbeitszeiten der sozialen Schichten haben sich vertauscht. Während Industriearbeiter meist eine tariflich geregelte 40-Stunden-Woche haben, kommen Geistesarbeiter schnell auf 60-Stunden-Wochen. Digital bringt nicht mehr Freizeit, sondern Zeitnot. Anscheinend führt mehr Technik, höhere Produktivität und größeres Vermögen nicht zu weniger Arbeit, sondern zu mehr. Warum?
Dass das Übermitteln von Nachrichten durch E-Mail und Social Media viel einfacher und schneller geworden ist, hat nicht dazu geführt, dass wir nun mehr Zeit für andere Dinge haben. Wir übermitteln einfach mehr Nachrichten, die es vorher gar nicht gab, und die es vorher scheinbar auch gar nicht brauchte.
Warum wir immer mehr arbeiten, obwohl die Maschinen unser immer mehr abnehmen
Um mit der neuen Datenflut klarzukommen, erfinden wir Software- und Weiterbildungsprogramme, die uns helfen, möglichst wieder auf das Niveau zu kommen, bevor es E-Mail gab. Auch Psychologen haben mehr zu tun, weil mehr und mehr Menschen zu ihnen kommen, die mit der Nachrichtenflut nicht mehr zurechtkommen. Als ich anfing, mich mit dem Problem des Klimawandels zu beschäftigen, entdeckte ich das Phänomen des schon erwähnten Rebound-Effektes. In den letzten 30 Jahren haben wir die Energieeffizienz unserer Produkte kontinuierlich und teilweise dramatisch gesteigert. Ein Fernseher von heute verbraucht nur einen Bruchteil der Energie eines vergleichbaren Vorgängermodels von vor 30 Jahren. Unser Energieverbrauch könnte also kontinuierlich zurückgehen, wir müssten immer weniger Energie aus fossilen Rohstoffen wie Kohle und Gas produzieren und könnten damit die CO2-Werte in der Atmosphäre so senken, dass sich die Erde nicht mehr als 2 Grad Celsius erwärmt. Wir könnten den Klimawandel in den Griff bekommen.
Maschinen übernehmen mehr und mehr Aufgaben von uns, mit der gewonnenen Zeit schaffen wir neue Dinge
In Wirklichkeit produzieren wir mehr Energie und auch mehr CO2. Sogar das Klimamusterland Deutschland kann sich diesem Trend nur schwer entziehen. Warum? Weil die Energieeinsparungen sofort von neuen Bedürfnissen aufgefressen werden. Jeder Fernseher ist zwar jetzt viel effizienter, aber dafür leisten wir uns immer größere, viel mehr davon und ersetzen sie immer schneller. In der Summe verbrauchen wir meist mehr Energie als zuvor. Das ist der Rebound-Effekt. Damit kann man vielleicht auch erklären, warum viele digitale Erfindungen nicht zu einer Reduzierung von Arbeit, sondern zu einem Mehr an Arbeit geführt haben. Bleiben wir beim Beispiel E-Mail. Statt Briefe einfach digital zu verschicken, hat die Erfindung von E-Mail dazu geführt, dass wir einfach viel mehr Post an viel mehr Leute produzieren und verschicken. Die Zeit, um eine Nachricht von A nach B zu bringen, ist um Tage geschrumpft, aber statt die Früchte dieser neuen Freiheit zu nutzen, produzieren wir jetzt so viel Post, dass wir darin versinken.
Maschinen übernehmen mehr und mehr Aufgaben von uns, mit der gewonnenen Zeit schaffen wir neue Dinge, die wir vorher nicht brauchten und danach schaffen wir Programme, die uns helfen sollen, den Zustand zu erreichen, bevor uns Maschinen die Arbeit abgenommen hatten. Eine Antwort von Digital heißt Life Hacking, also das Nutzen von digitalen Hilfen, mit denen man sein Leben effizient durchorganisieren kann. Durch Life Hacking hat man dann mehr Zeit, um sich damit zu beschäftigen, wie man seine Zeit noch effizienter nutzen kann. Wir werden effizienter, um noch effizienter werden zu können. Ist das der Sinn des digitalen Lebens?
Mir ist, definitely, nicht bange, dass Maschinen keine Aufgaben mehr für Menschen übrig lassen. Arbeit ist ein Perpetuum mobile. Aber wie viel der von uns heute erbrachten Arbeit ist sinnvoll? Was davon kann man als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bezeichnen? Ich schätze mal 70 Prozent. Ist das übertrieben?
Zurück zu Keynes. Die Wirtschaft braucht Konsum. Konsum hält die Wirtschaft am Laufen. Und Konsum braucht Menschen, bisher. Auch wenn mehr und mehr Aufgaben von Maschinen übernommen werden, brauchen wir den Menschen als Konsumenten. Vielleicht wird die wirtschaftliche Hauptaufgabe des Menschen darin bestehen, ein Konsument zu sein. Oder kann der Konsum auch von Maschinen übernommen werden? Bei Strom ist dies ja schon der Fall. Mehr und mehr Technik braucht mehr und mehr Strom. Aber ist es auch denkbar, dass intelligente Maschinen selber immer mehr Gadgets für sich selbst brauchen und damit selber zu Konsumenten werden? In dem Fall würde der Mensch auch seine wichtige Stellung als Konsument verlieren.
Der Mensch von morgen - Datenproduzent und Konsument
Daten sind das Schmiermittel der digitalen Welt. Daten müssen also kontinuierlich produziert werden. Neuigkeiten, Bilder, Celebrity Gossip, Sport, Gesundheit, Musik, Unterhaltung, Mode, all das produziert Daten. Menschen produzieren diese Daten, sind also ein essenzieller Wirtschaftsfaktor. Dadurch, dass wir leben, uns amüsieren, produzieren wir den Rohstoff, der unser Wirtschaftssystem am Laufen hält.
Keynes hatte also ganz dialektisch recht und unrecht. Wir werden weniger arbeiten. Das, was wir bisher als Arbeit bezeichnen, wird gegen null gehen. Gleichzeitig wird die Arbeit der Zukunft uns zu fast 100 Prozent und rund um die Uhr beschäftigen. Denn die Arbeit der Zukunft wird darin bestehen, zu leben, uns zu amüsieren, daraus Daten zu produzieren und zu konsumieren. Und das auf kontinuierlich hohem und wachsendem Niveau.
Der Mensch bleibt also wichtig. Als Produzent von Daten und als Konsument von Produkten. Klingt auf den ersten Blick ernüchternd, aber daraus kann man doch etwas machen. Der Mensch ist einfach durch sein Sein und seine immer weiter steigenden Bedürfnisse der Faktor, der unsere Wirtschaft am Laufen hält. Arbeit im herkömmlichen Sinne braucht es dafür nicht unbedingt. Je nachdem, wie man zur Arbeit als notwendiger Lebensaktivität steht, ist dies ein definitely maybe. Erik Brynjolfsson vom MIT und auch Evgeny Morozov schlagen als Antwort auf die sich ändernde Rolle des Menschen im Arbeitsprozess ein Grundeinkommen für alle Bürger vor, das sie an den Produktionszuwächsen beteiligt. Je mehr Maschinen die Produktivität steigern, umso schneller wächst das Grundeinkommen für alle. Klingt wie digitaler Kommunismus.
Aber kann es das sein? Menschen werden nicht mehr gebraucht. Sie sind nur Accessoires. Man hält sie sich im Luxus- Zoo oder in Reservaten, wo sie miteinander spielen können, ohne das System zu schädigen, und dabei fleißig Daten produzieren. Ein ähnliches Setting hat der Regisseur Andrew Stanton im Film „Wall-E“ mit dem Raumschiff Axiom entworfen, das die Menschen vor der Erde bewahrt, die sie selbst vorher zerstört haben. Stanton hat übrigens 2009 für „Wall-E“ einen Oscar für den besten Animationsfilm gewonnen.
Der Mensch wird gut leben können ohne zu arbeiten. Er wird die Ökonomie am Laufen halten, indem er sich amüsiert. Definitely keine schlechte Aussicht. Aber reicht uns das? Maybe nicht. Wenn alles andere von Maschinen gemacht wird, können wir uns auch ganz der Weltverbesserung zuwenden. Weltverbesserung ist eine zutiefst menschliche Aufgabe und Tätigkeit. Das ist, neben Sex und Rock ’n’ Roll, mit das Beste am Leben. Wenigstens dies sollten wir nicht an Maschinen outsourcen. Es ist zu wichtig und schön, um es nicht selber zu machen
Andre Wilkens lebt in Berlin und arbeitet für eine Stiftung. Sein Buch "Analog ist das neue Bio" erscheint am 9. März 2015 im Metrolit-Verlag (220 Seiten, 18 Euro, E-book 13,99 Euro).
Andre Wilkens