Im Kino: "Her" von Spike Jonze: Der Appsturz
Über die Affenliebe zum Smartphone: In Spike Jonzes Science-Fiction-Romanze „Her“ verliebt sich ein Mann in die Stimme seines Mobiltelefons.
Das Beste an der Zukunft – so konservativ wird man auch als Science-Fiction-Fan wohl sein dürfen – ist gar nicht mal, was sie Neues bringt. Sondern das, was an Gutem in ihr wiederkehrt. Und dass es allerlei absehbar Unschönes gibt, mit dem sie uns denn doch verschont.
So gesehen, ist die nahe Zukunft von „Her“ vorbehaltlos zu begrüßen, schon rein technisch. Das Klapphandy etwa, eine der eleganteren Erfindungen der nahen Vergangenheit, ist wieder da – jene Errungenschaft, die die sensibelste Zone des voraneilenden Zeitgenossen, die Membran zu seiner Digital-Identität, so praktisch zu schützen wusste. Andererseits sind jene lästig analogen Kabel verschwunden, mit denen wir heute noch umständlich unser Kommunikationsgerät ans Sinnesorgan anstöpseln; Knopf im Ohr genügt. Und schließlich haben sich jene derzeit knapp vor der Serienreife stehenden Brillen gottlob nicht durchgesetzt, die uns fortlaufend über die Nachmittagstemperatur in Kuala Lumpur informiert hätten. Ganz zu schweigen vom operativ unter die Haut zu pflanzenden Chip zur organisch digitalen Rundumversorgung: Der bleibt einstweilen Material für die gröberen unter den Sci-Fi-Filmen.
Theodore arbeitet als Normalo-Nerd im quitschbunten Frühbüro
Her also mit dem supersonnigen Los Angeles, das Spike Jonze für „Her“ allerdings zwecks Autofreiheit mit den real existierenden Wolkenkratzer-Flaniermeilen Schanghais kompilieren musste. Her auch mit dem quietschbunten Frohbüro, in dem der nette Normalo-Nerd Theodore (Joaquin Phoenix) Dienst tut. Und erst recht her mit seinem hübsch retrofuturistischen Beruf: Als Texter von beautifulhandwrittenletters.com denkt er sich zarte Liebesbriefe aus, deren jeweils unverwechselbare Tintenhandschrift sich simultan auf dem Bildschirm visualisiert. Schon komisch, dass man für so was grad eben noch Tastaturen benötigte, auf denen mehr oder minder konische Humanfingerkuppen herumtackerten.
Ja, die Zukunft in „Her“ ist eine der absolut bewohnbaren Art. Jobmäßig ist nicht bloß kaltes Wissen oder immergleiche logische Kombinationsmotorik gefordert; richtig weit kommt man erst mit gepflegt gemütlichem Emo-Quotienten. In den Kuschelgroßraumbüros möchte man sofort den Küchentapetentisch für die Ewigkeit aufklappen; andererseits muss man auch nach Feierabend in den Apartments mit prächtigen Panoramafenstern zum Analoghimmel keineswegs auf den wandfüllenden Screen verzichten – schließlich lockt er zum interaktiven Spiel mit der virtuellen Lieblingscomicfigur. Arbeit? Locker. Freizeit? Satt. Selbstverwirklichung? Na, sicher doch. Fehlt bloß die Liebe.
Die Stimme Samanthas kracht als Tonsexbombe in sein Angestelltenherz
Da passt es gut, dass Theodore – nach ernüchternden Erfahrungen mit agenturvermittelten Dates – soeben ein neues Betriebssystem installiert hat. Es meldet sich mit dem Angebot einer Art Sekretariatsstimme. Theodore muss nur wählen: klar, weiblich. Den Namen gibt sie sich sofort selbst: Samantha. Ihre Programmierer haben sie mit künstlicher Basisintelligenz ausgestattet, zur unverwechselbaren Arbeitspartnerin aber wird sie, weil höchst lernfähig, erst durch den Dialog mit ihrem Anwender. Beziehungsweise zu dessen Lebenspartnerin – Theodore hat, seit die Scheidung von seiner Jugendliebe läuft, in dieser Hinsicht ein beträchtliches Defizit. So scheinen sich da zwei bilateral humanspontan zu verlieben. Nur dass das Programm namens Samantha die Person Theodore sehen kann, für Theodore dagegen bleibt Samantha nichts als Stimme; aber was für eine.
Hier die betörend junge und zugleich aufregend kratzknarzig verlebte, mitten ins verödete Angestelltenherz krachende Tonsexbombe (Scarlett Johansson), dort die helle und trotz paar Realo-Kontakten reichlich leere Welt Theodores. Das ist die Ausgangsposition, von der aus sich fortan allerlei absehbare Szenerien arrangieren lassen. Die Dramaturgie ist dabei gänzlich linear: Immer tiefer stürzt Theodore in die tags und nachts anknipsbare virtuelle Zweisamkeit, die sein sonstiges Alleinsein eher noch vertieft. Immer inniger auch entwickelt sich Samantha, anfangs bloße Vorleserin von Theodores neuesten Digitalbotschaften, zu seiner unverzichtbaren Freundin, Smartphone- Sex und Seele inklusive. Nur zu gerne vergisst Theodore dabei das Kleingedruckte: ein Industrieprodukt, fragen Sie Ihren Arzt oder Programmierer, bleibt mit analog generierter Individualität grundsätzlich nur bedingt kompatibel.
Worin die Stärke und Schwäche von „Her“ gleichermaßen steckt. Zu erzählen hat Spike Jonze, der Erfinder von so verrückt-verspielten filmischen Mini-Universen wie „Being John Malkovich“ (1999) oder „Adaptation“ (2002), über die großartige Exposition hinaus diesmal wenig. Zudem ist die Besichtigung selbst eines mit imposantem Schnurrbart ausgestatteten und stets in lustig taillierten, bonbonfarbenem Diensthosen steckenden Joaquin Phoenix nur mäßig abendfüllend, wenn er, vor wechselnd reizvollen Hintergründen, bloß Selbstgespräche führt. Natürlich ist da Samantha; andererseits ist „Her“ kein Hörspiel, sondern ein Film.
Als Metapher auf unsere Affenliebe zum Smartphone aber funktioniert „Her“ vorzüglich. Längst ist das omnipräsente Ding, für dessen massenhafte Benutzer sich die Wahrnehmung des öffentlichen Raums ebenso trübt, wie sie selbst in ihrem analogen Solipsismus eben jenen öffentlichen Raum eintrüben, mehr als nur ein praktisches Instrument. In dem Maß, wie es sich – via Apps, Musik, Mails und als Resttelefon – immer mehr individualisiert, wird es zum eigentlichen Persönlichkeitsspiegel und Alltags-Gegenüber. Fehlt nur noch Samantha für die traurigen Pygmalions und Pygmalias unserer Tage.
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