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Schiffbrüchige unter Tarnnetzen, die als Sonennschutz dienen, auf dem Flugdeck des Tenders Werra. Die Besatzung rettete 627 Menschen aus einem maroden Holzboot 55 Kilometer nordwestlich von Tripolis vor der libyschen Küste und übergab diese an die italienischen Behörden.
© dpa

Europa und die Flüchtlinge: Mehr Solidarität! - Oder die EU zerbricht

Die Aufkündigung der Solidarität in der Flüchtlingsfrage untergräbt alle Fundamente der EU. Selbst eine Vereinbarung in der Griechenland-Frage wäre nicht viel wert, wenn viele sich beim Flüchtlingsthema dem verweigern, was Europa zusammenhält: dem Kompromiss. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hans Monath

Symbolische Ereignisse können deprimierend ausfallen, besonders, wenn sie eine strahlende Vorgeschichte haben. Im August 1989 öffnete Ungarn für kurze Zeit den Grenzzaun zu Österreich, Hunderte von DDR-Bürgern konnten in den Westen fliehen. 26 Jahre später geht es in Ungarn wieder um einen Zaun. Die Regierung will die Grenze zu Serbien mit einer vier Meter hohen Befestigung gegen Flüchtlinge sichern. Zudem drohte sie den EU-Partnern vorübergehend mit einem Alleingang: Man wolle keine in andere EU-Länder weitergereisten Flüchtlinge mehr zurücknehmen.

Das Problem wäre schlimm genug, wenn es nur um eine einzelne EU-Regierung ginge, die immer wieder EU-Grundwerte untergräbt. Doch in der Flüchtlingsfrage fordert nicht nur Ungarn die Gemeinschaft heraus. Auch andere Mitglieder verweigerten sich. Die EU-Kommission musste vor dem Brüsseler Gipfel den Plan aufgeben, 40 000 Flüchtlinge aus dem Süden Europas nach einer Quote auf andere Staaten zu verteilen.

Die EU will all die Flüchtlinge aus Syrien und Libyen nicht aufnehmen

Das Verfahren sollte Italien und Griechenland entlasten – nach einem transparenten und gerechten Schlüssel. Denn allen ist bewusst, dass die 40 000 nicht die letzten Flüchtlinge sein werden, die nach Europa gelangen. Vier Millionen Syrer sind vor dem Krieg in Nachbarstaaten geflohen. Eine Million Menschen wartet in Libyen auf eine Überfahrt.

Das moralische Dilemma der EU besteht darin: Sie will nicht all diese Flüchtlinge aufnehmen. Doch die Verweigerung freier Einreise mit Flugzeugen, die Abschottung und Grenzsicherung verleiten viele dazu, sich in Todesgefahr zu begeben und die Fahrt übers Mittelmeer zu wagen. Tausende sind schon ertrunken. Schnelle Erfolge verspricht auch der Kampf der EU gegen Schleuser oder Hilfe für die Herkunftsländer nicht. Aber mit der Debatte darüber, wo die Obergrenze der eigenen Aufnahmebereitschaft liegt, hat bislang weder die deutsche Politik noch die EU angefangen.

Denn es geht nicht nur um Zahlen, sondern darum, dass anerkannte Flüchtlinge eine Heimat finden und gut auskommen mit denen, die schon hier sind. Eine Mehrheit der Deutschen begreift Zuwanderung heute als Bereicherung – anders als vor einem Vierteljahrhundert. Aber darin liegt keine Garantie dafür, dass die Stimmung nicht kippt, wenn die Zahlen steigen. Es ist ein böses Zeichen, dass in Skandinavien, in den Visegrad-Staaten und in Österreich politische Strömungen Erfolg haben, die Migration bekämpfen.

Entscheidend sind drei Faktoren: Die Menschen wollen das Gefühl haben, dass es gerecht zugeht. Deshalb wäre eine EU-Verteilungsquote so wichtig. Sie wollen das Gefühl haben, dass die Politiker (und die Medien) ehrlich reden und ihre Ängste verstehen. Und sie wollen, dass die Politik die Probleme im Griff hat. Auch deshalb wirkte die Grundgesetzänderung von 1993 stabilisierend, mit der das Asylrecht eingeschränkt wurde.

Der Flüchtlingsgipfel von Brüssel wird dazu kaum einen Beitrag liefern. Im Gegenteil: Die Aufkündigung der Solidarität durch viele Länder untergräbt alle Fundamente. Selbst eine Vereinbarung in der Griechenland-Frage wäre nicht mehr viel wert, wenn viele sich beim Flüchtlingsthema dem verweigern, was Europa zusammenhält: dem Kompromiss. Sollte eine kritische Zahl von Regierungen hier weiter auf stur schalten, kapitulieren sie nicht nur vor einem Menschheitsproblem. Sie geben auch die EU auf.

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