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Gesicht des ukrainischen Widerstands. Natalia Klitschko, Ehefrau des Kiewer Bürgermeisters Vitali Klitschko, bei der Solidaritätskundgebung "Sound of Peace" vor dem Brandenburger Tor .
© Jörg Carstensen/dpa

Föderalismus und Demokratie: Mehr Schweiz für die Ukraine

Wie eine Befriedung der Ukraine nach dem Krieg aussehen könnte. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Caroline Fetscher

Aufgeben ist für die Ukraine keine Option. Kapitulieren wäre nicht nur eine Einladung an aggressive Politik, auch über das Kreml-Regime hinaus. Und dessen Führung wäre konfrontiert mit einer Bevölkerung, die sich keiner Autokratie unterordnen möchte. Loyale Ämter und Steuerzahler würde es kaum geben, wissenschaftliche und technische Eliten würden emigrieren. Nur als Polizeistaat ließe sich das Szenario denken, brutal, kostspielig, zermürbend.

Vermutlich wird der Krieg weitergehen, bis eine Aussicht auf Frieden aufleuchtet. Und dann? Russland behauptet, erstens, für die Rechte einer russischen Minderheit in der Ukraine zu streiten, die „lieber russisch“ sein wolle, und zweitens, der Ukraine stehe keine Eigenstaatlichkeit zu. Doch die Ukraine ist ein von den Vereinten Nationen anerkannter Staat. Produktiv verhandeln ließe sich über den ersten Punkt.

Angesichts von Gruppen, die ihre Identität stärker repräsentiert sehen wollen, plädiert der Politologe Michael Wolffsohn in seinem Buch „Zum Weltfrieden – Ein politischer Entwurf“ für den Realismus föderaler Kompromisse: Jeder im Land im Rahmen des Gesetzes nach seiner Façon. Wolffsohn erwägt sogar, Nationalstaaten vollends durch föderative Systeme zu ersetzen. Dafür sind nationale Konstrukte derzeit zu verfestigt, doch der föderative Gedanke hat viel Potenzial.

Verspätete Nationen

In Osteuropa und Südosteuropa entstand nach dem Kalten Krieg eine Reihe verspäteter Nationen. Ihre Gründung oder Neugründung fiel paradoxerweise in die Epoche wachsender Globalisierung, in der Daten- und Warenströme supranationale Netzwerke bilden. Demokratie und Marktwirtschaft hatten im Kalten Krieg mit Sozialismus und Planwirtschaft rivalisiert, und Staaten wie die UdSSR und Jugoslawien definierten sich explizit nicht ethnisch.

Etwas Folklore war erlaubt, im Übrigen sollten alle Gruppen im Gesamtstaat aufgehen. Als dieser ökonomisch an seine Grenzen geriet, implodierte der Ostblock. China lernte daraus und justierte neu, weshalb es inzwischen einen digital kontrollierten Kommunismus samt Millionären gibt, was Generationen davor sich nie hätten träumen lassen.

Die Territorien der ehemaligen UdSSR schlugen, wie Ex-Jugoslawien, den Weg der Aufgliederung in Nationalstaaten ein, und Russland glitt dabei in kleptokratische Privatisierung ab, ohne sich zu konsolidieren. In Krisen nutzten Politiker unbewältigte Verwerfungen, um für ihre Großgruppe („die Russen“, „die Serben“) Ansprüche auf Suprematie zu erheben.

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Was einem Verrat am Sozialismus gleichkam, mündete in hohle Machtmodelle, es blühten Autokratie und Despotie, oftmals mit Oligarchen in den Funktionseliten. Macht um der Macht willen dominiert, und ethnisch inspirierte Geschichtsklitterung ist bemüht, dem nationalistischen Anspruch legitimen Anstrich zu verleihen.

Nationalstaat plus Frieden ist damit nicht mehr zu haben. Er braucht eine hohe Dosis Demokratie und föderale Kompromissfertigkeit als Zutat. Der Schweiz ist das mit ihren 26 Kantonen gelungen, und mit vier Sprachen im Parlament. Skandinavische Staaten, auf deren Territorien einst Bruderkriege tobten, teilen sich heute in Berlin einen der schönsten Botschaftsbauten mit gemeinsamer Kantine. Das Berliner Gebäude ist ein Modellbau des Friedens, eine Blaupause für demokratische Kooperation.

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