„Unerhörter Vergleich mit dem Holocaust“: Selenskyj irritiert bei Videorede vor Israels Knesset
Präsident Selenskyj spricht per Video zu Israels Parlament. Die Ukraine-Solidarität ist groß, doch gute Beziehungen zu Russland sind für Israel wichtig.
Ein heikler Auftritt vor Politikern, die sich seit Beginn des Ukraine-Kriegs in Äquidistanz zu Kiew und Moskau versuchen: Per Videoschalte wandte sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Sonntag an Israels Parlament. Den Knesset-Abgeordneten sagte er, Israel werde „damit leben“ müssen, der Ukraine keine Waffen geliefert und Russland nicht mit Sanktionen belegt zu haben. Seit der russischen Invasion seien Ukrainer so auf der Flucht wie einst die Juden.
Der russischen Führung warf Selenskyj vor, „die Terminologie der NSDAP“ zu verwenden, mit Bezug zur Ukraine gar von einer „finalen Lösung“ gesprochen zu haben.
„Seine Kritik an Israel war legitim“, wird Bezalel Smotrich von der Religiös-Zionistischen Partei in der „Jerusalem Post“ zitiert, nicht aber Selenskyjs „lächerlicher Vergleich mit dem Holocaust“ und die Umdeutung der Rolle der Ukrainer. Israels Kommunikationsminister Yoaz Hendel twitterte: „Der Krieg ist schrecklich, aber der Vergleich mit den Schrecken des Holocaust und der Endlösung ist unerhört.“
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Selenskyjs Rede wurde in Tel Aviv öffentlich übertragen, Tausende sammelten sich auf dem Habima-Platz. Der Auftritt ist schwierig, weil Israels konservativer Premier Naftali Bennett seit zwei Wochen zwischen Kiew und Moskau zu vermitteln versucht. Israels liberaler Außenminister Yair Lapid verurteilte die russische Invasion zwar, Bennett aber blieb öffentlich vage.
Oppositionsführer und Ex-Premier Benjamin Netanjahu, dem ein besonders guter Kontakt zu Wladimir Putin nachgesagt wird, hatte angekündigt, sich Selenskyjs Rede auf jeden Fall anzuhören – das Statement kam wohl auch deshalb, weil es um die Videoschalte tagelanges Hin-und-Her gab: Selbst die Renovierung der Knesset wurde in israelischen Medien als ein unter Abgeordneten genannter Verzögerungsgrund angeführt.
Traditionell haben die Regierungen in Jerusalem gute Beziehungen zu beiden Staaten, insbesondere Russland aber ist für Israel seit 2015 noch bedeutsamer geworden: Russische Soldaten operieren seitdem in Syrien, sie sind dort auch Ansprechpartner der Israelis, die nicht direkt mit dem verfeindeten Regime in Damaskus sprechen, das zudem proiranische Fanatiker nach Syrien holen ließ. Irans israelfeindliche Mullahs drohen zudem mit atomarer Aufrüstung, wofür Jerusalem ebenfalls Moskaus Regenten Putin braucht, der mit den Herrschern in Teheran verhandelt.
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Die US-Regierung ermahnte die Jerusalemer Regierungskoalition dagegen vor einigen Tagen: Russlands vom Westen sanktionierte Oligarchen dürften sich nicht ungestört in Israel zurückziehen, teilte Washington mit. Dabei sind einige von ihnen auch israelische Staatsbürger. Die Familien von Millionen Israelis stammen aus der einstigen Sowjetunion, Hunderttausende aus Russland selbst. Außenminister Lapid sagte, Israel biete keinen Weg zur Umgehung von Sanktionen. Russlands Botschafter in Israel warnte die Regierung in Jerusalem davor, nicht zu „unausgeglichen“ zu werden.
Während im liberalen Tel Aviv gelb-blaue Ukraine-Flaggen vor Lokalen und von Balkonen wehen, weisen israelische Diplomaten vereinzelt darauf hin, in der Ukraine seien seit Jahren antisemitische Rechtsradikale aktiv, trotz des jüdischen Präsidenten Selenskyj. Ukrainische Nationalisten unterstützten zudem einst die Nazis. Vor allem aber sei da die „Realpolitik“: An den Golan-Höhen teile man nicht nur mit Syrien eine Grenze, sondern de facto auch mit Russland.