Wahlen in Weißrussland: Studenten und Beamte zur vorzeitigen Stimmabgabe gezwungen
Im autokratisch regierten Weißrussland wurde am Sonntag gewählt. Viele mussten ihre Stimme vorab abgeben. Kritiker sprechen von Wahlfälschung.
Auf der Treppe des Kulturhauses des Minsker Traktorenwerks haben drei Tänzerinnen mit ihren Partnern Stellung bezogen. Eine adrette Dame kündigt gekünstelt einen Auftritt des „Zigeuner-Ensembles“ an. Bald fliegen die Röcke zu Folkloremusik. Mit der Kultur der Roma hat das Ganze wenig zu tun, aber es geht um Großes: die Werbung für die Parlamentswahlen in Weißrussland.
Wahlkommissionsleiter Alexander Poturajew empfängt den unangemeldeten ausländischen Pressevertreter mit offenen Armen: „Machen Sie ruhig Fotos, schauen Sie sich alles an, hier geht alles völlig demokratisch zu“. Dank eines Mitgliedes der linken Partei „Gerechte Welt“ kann sich Poturajew gar eines Kommissionsmitgliedes aus der demokratischen Opposition rühmen. Landesweit darf diese nur 50 von 66 000 Kommissionsmitgliedern stellen. Dies haben die Akkreditierungsbehörden des autokratisch regierenden Staatspräsidenten Alexander Lukaschenko entschieden.
Der Andrang im Wahllokal Nummer 700 hält sich in Grenzen. Ab und zu kommt eine Rentnerin vorbei, zeigt ihren Pass und nimmt den Wahlzettel entgegen. Sechs Kandidaten stehen in dem Wahlkreis zur Auswahl, drei Parteilose, zwei Mitglieder präsidententreuer Parteien sowie ein Mitglied der pseudo-oppositionellen Liberaldemokraten. Drei Stunden nach Öffnung des Wahllokals haben laut Poturajew 33 Prozent der 1720 hier Stimmberechtigten abgestimmt – zusammen mit den seit Dienstag vorzeitig abgegebenen Stimmzetteln. „Nötig für die Gültigkeit der Wahlen sind 50 Prozent, das kriegen wir locker hin“, erklärt Poturajew. „Am Abend kommen noch Hunderte von der Datscha zurück“, erklärt der Wahlkommissionsleiter sein Kalkül.
Die EU hilft mit Krediten nach
„Erneut sind Bürger massenweise zur vorzeitigen Stimmabgabe gezwungen worden“, heißt es in einem Bericht der weißrussischen Wahlbeobachterinitiative „Recht auf Wahlen 2016“. Vor allem Studenten, Staatsbedienstete und Soldaten seien davon betroffen, kritisiert die Gruppe. „Wer sich weigert, verliert den Studienplatz“, weiß Wera K. zu berichten. „Ich erkenne diese Wahl nicht an, denn sie ist gefälscht“, sagt die Frau. Abgestimmt hat sie nicht.
„Wir beobachten und ziehen am Montag unsere Schlüsse“, sagt Tana de Zulueta, die Leiterin der OSZE-Wahlbeobachtermission vor dem Wahllokal Nummer 700 diplomatisch. Die Missionschefin verweist ausdrücklich auf frühere OSZE-Berichte, die die Stimmenzählung sowie auch die vorzeitige Stimmabgabe in Weißrussland als wenig transparent kritisiert haben. Ein paar Verbesserungsvorschläge seien immerhin von den Behörden aufgenommen worden. „Die Bürger haben kein Vertrauen, dass ihre Stimme überhaupt gezählt wird“, fürchtet de Zulueta dennoch.
In der Tat haben die Parteien der demokratischen Opposition wenig Hoffnungen auf eine freie und faire Wahl. Ein Teil von ihnen hat sich dennoch dazu entschlossen, an den Parlamentswahlen teilzunehmen. Ein Mitte-Rechts-Bündnis stellt fast hundert Kandidaten für die 110 zu vergebenden Parlamentssitze. Die sozialpolitische Bürgerbewegung „Sag die Wahrheit“ macht sich gar Hoffnungen auf die Eroberung einiger Sitze. Insgesamt gibt es fast 500 Bewerber für die 110 Sitze, aber das heißt nicht, dass es demokratisch zugeht.
Die EU will deshalb nachhelfen und ein paar Oppositionelle ins Parlament hieven. Brüssel möchte Fortschritte bei einer vorsichtigen Demokratisierung sehen und ist bereit, dem wirtschaftlich gebeutelten Land dafür mit neuen Krediten unter die Arme zu greifen. Gegen Zugeständnisse gegenüber der EU ist Russland, von dessen günstigen Energielieferungen Lukaschenko abhängig ist. Laut Beobachtern in Minsk ist es deshalb völlig unklar, ob Lukaschenko 2016 erstmals Oppositionspolitiker im Parlament zulässt. Mit einem offiziellen Ergebnis wird am Montag gerechnet.