Flüchtlinge in Deutschland: Mehr Arbeitslose erwartet - Kritik an Thomas de Maizière
Während die Koalition am verschärften Asylrecht bastelt, weist das Arbeitsministerium schon einmal auf die Folgen der Flüchtlingskrise für den Jobmarkt hin. Innenminister Thomas de Maizière werden schwere Vorwürfe gemacht.
Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) rechnet aufgrund der vielen Flüchtlinge mit einer zunehmenden Arbeitslosigkeit in Deutschland. „Wir denken, dass im nächsten Jahr der Zustrom auf den deutschen Arbeitsmarkt deutlich ansteigt. Ich rechne auch damit, dass die Arbeitslosenzahlen steigen“, sagte sie im Deutschlandfunk. Nach Einschätzung des Münchner Ifo Instituts sind die meisten Flüchtlinge so gering qualifiziert, dass sie ohne Absenkung des Mindestlohns keine Chance auf bezahlte Arbeit haben werden.
Damit Flüchtlinge nicht nur Deutschland, Österreich und Schweden ansteuern, strebt Innenminister Thomas de Maizière (CDU) feste EU-Flüchtlingskontingente für eine legale Zuwanderung an. Viele EU-Länder, gerade in Osteuropa, sperren sich gegen verbindliche Quoten. Fraglich ist, ob der innenpolitisch unter Druck stehende de Maizière seine Kollegen bei einem neuen Treffen der Innen- und Justizminister am Dienstag in Brüssel davon überzeugen kann. Am Mittwoch folgt dort ein Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs.
Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte die Hoffnung, dass bei diesen Beratungen Erfolge erzielt werden. „Das wird viel aussagen über die Zukunftsfähigkeit dieses Europas“, sagte die CDU-Vorsitzende am Sonntagabend beim Verdi-Bundeskongress in Leipzig. Die EU müsse den Menschen jetzt zeigen: „Europa nimmt sich der Verantwortung gemeinsam an.“
de Maizières Vorstoß sorgt für Streit
SPD-Chef Sigmar Gabriel kritisierte de Maizières Vorstoß, der auch beinhaltet, Flüchtlinge bei Ausschöpfung der Kontingente in ihre Heimatregionen zurückzuschicken. „Ich habe es nicht verstanden, weil es ja das Gegenteil dessen ist, was die Kanzlerin zu Recht gesagt hat. Nämlich: Wer in Deutschland ankommt und Asyl beantragt, der braucht ein faires Verfahren“, sagte der Vizekanzler in der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“.
Rücktrittsforderungen aus den eigenen Reihen an den Innenminister wies Gabriel allerdings als „Quatsch“ zurück. Gabriels Stellvertreter Ralf Stegner hatte in der „Bild am Sonntag“ erklärt, falls de Maizière die Probleme bei den stockenden Asylverfahren in Deutschland nicht in den Griff bekomme, sollte er als verantwortlicher Minister seinen Hut nehmen.
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Niels Annen, bezeichnete de Maizières Vorstoß bei „Spiegel Online“ als „einem Verfassungsminister unwürdig“. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sagte dem gleichen Internetportal hingegen, es gehe nicht um willkürlich festgelegte Kontingente, sondern um objektiv ermittelte Obergrenzen für die „mittlerweile einfach unkontrollierte Migration“. CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt verteidigte die Koalitionspläne zur Verschärfung des Asylrechts in der „Welt“ (Montag): „Nichtschutzbedürftige müssen Deutschland so schnell wie möglich wieder verlassen.“ Auch Justizminister Heiko Maas wurde von der „Passauer Neuen Presse“ mit den Worten zitiert: „Wer keine Chance auf Asyl hat, dem darf keine falsche Hoffnung gemacht werden.“
Geplant ist, dass Länder auf Sachleistungen statt Bargeld umstellen können. Asylanträge von Flüchtlingen, die sich in einem anderen EU-Land hätten melden müssen, sollen nach Vorstellungen des Innenministeriums binnen drei Wochen abgewickelt sein.
Entscheidungen über mehr Hilfen beim Bund-Länder-Gipfel
Am Donnerstag kommt es in Berlin zu einem weiteren Gipfel von Bund und Ländern. Innenminister de Maizière sagte am Sonntagabend in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“ konkrete Entscheidungen über mehr Hilfen des Bundes für Länder und Kommunen zu. „Es wird deutlich mehr Geld geben.“ Konkrete Summen nannte er allerdings nicht. Der Bund will den Ländern 2016 drei Milliarden Euro zusätzlich geben - die Länder wollen doppelt so viel. „Der nächste Flüchtlingsgipfel muss mehr als eine Schippe drauflegen“, sagte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) der „Thüringer Allgemeinen“ (Montag). Laut Nachrichtenmagazin „Spiegel“ bereitet Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) für 2016 nun ein Sparpaket von 2,5 Milliarden Euro vor, um die Flüchtlingshilfe gegenzufinanzieren. Die SPD warnt davor, den Eindruck entstehen zu lassen, dass Flüchtlinge und Bürger gegeneinander ausgespielt würden.
Flüchtlingsstrom nach Europa hält an
Ungarn und Kroatien schicken Flüchtlinge nach Österreich weiter - Dutzende Tote bei zwei Bootsunglücken in der Ägäis
Trotz Stacheldrahts und scharfer Grenzkontrollen in Ungarn, Kroatien und Slowenien sind am Wochenende erneut tausende Flüchtlinge nach Österreich gekommen. Allein am Samstag erreichten laut österreichischem Rotem Kreuz bis zu 13.000 Flüchtlinge die Alpenrepublik, mehr als 7000 folgten bis Sonntagnachmittag. Tausende weitere machten sich über das Mittelmeer auf den gefährlichen Weg in die EU, viele verloren dabei ihr Leben. Der Andrang von Flüchtlingen über die sogenannte Westbalkanroute hielt am Wochenende unvermindert an: Nachdem Ungarn seine Grenze zu Serbien mit einem Zaun und Stacheldraht abgeriegelt hatte, kamen in Kroatien seit Mittwoch nach Angaben der Regierung in Zagreb 25.000 Flüchtlinge an, manche von ihnen einfach zu Fuß über Felder aus Serbien.
Kroatien hatte deshalb damit begonnen, Flüchtlinge an die ungarische Grenze zu bringen, was wütende Reaktionen in Budapest zur Folge hatte. Ungarn stellte nun einen Stacheldrahtzaun auch an der Grenze zu Kroatien fertig. Zugleich wurde der Hauptgrenzübergang Horgos-Röszke 1 nach Serbien am Sonntag wieder geöffnet. Zudem begann Budapest stillschweigend, die Flüchtlinge möglichst rasch in Bussen in Richtung Österreich weiterzuleiten.
Hunderte Flüchtlinge versuchten zudem, von Kroatien aus nach Slowenien zu gelangen. Beim Grenzort Bregana fuhren am Sonntagmorgen bereits die ersten Busse mit Flüchtlingen ab, ein slowenischer Polizist versicherte, dass "stündlich" hundert Menschen befördert würden. Bei dem Grenzort hatte die slowenische Polizei am Freitag noch Tränengas gegen die Flüchtlinge eingesetzt.
Die meisten Flüchtlinge wollen von Österreich aus weiter nach Deutschland oder Schweden. Nach Angaben der Bundespolizei in München reisten mehr als 1300 Flüchtlinge am Wochenende nach Bayern ein.
Bei der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland kam es erneut zu Tragödien
Die Außenminister der Visegrad-Gruppe aus Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn kommen am Montag mit ihrem luxemburgischen Kollegen in Prag zu Beratungen über die Flüchtlingskrise zusammen. Luxemburg hat derzeit die rotierende EU-Ratspräsidentschaft inne. Die Länder der Visegrad-Gruppe lehnen bislang die Einführung verbindlicher Quoten für die Verteilung der Flüchtlinge in Europa ab, wie sie die EU-Kommission anstrebt.
Die EU-Innenminister wollen am Dienstag erneut versuchen, sich auf eine Verteilung der Flüchtlinge zu einigen. Laut einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" sollen nun auch die EU-Mitglieder Kroatien und Slowenien wegen der hohen Flüchtlingszahlen entlastet werden.
Berlin und Wien forderten zudem eine Aufstockung der UN-Hilfen für die syrischen Flüchtlinge im Libanon und Jordanien um fünf Milliarden Euro. "Wir müssen in den Ländern helfen, wo das Elend so groß ist, dass sich die Menschen auf den Weg machen", sagte Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) am Samstag in Wien. EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn plädierte zudem für eine Hilfe von "bis zu einer Milliarde Euro" für die Türkei.
Auch direkt über das Mittelmeer versuchten wieder tausende Menschen, Europa zu erreichen. Vor der libyschen Küste retteten die italienische Küstenwache und andere Schiffe am Samstag mehr als 4500 Flüchtlinge aus dem Mittelmeer. Eine Frau konnte nur dabei noch tot geborgen werden. Die libysche Küstenwache rettete am Samstag und Sonntag knapp 500 weitere Flüchtlinge.
Bei der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland kam es erneut zu Tragödien: Vor der türkischen Küste ertranken am frühen Sonntag bis zu 24 Flüchtlinge, als ihr Schlauchboot auf dem Weg zur Insel Lesbos von einer türkischen Fähre gerammt wurde, die es in der Dunkelheit offenbar nicht gesehen hatte. Von den 46 Insassen konnten 22 zunächst gerettet werden, 13 wurden nur noch tot geborgen. Unter ihnen waren nach Angaben der Nachrichtenagentur Dogan sechs Kinder.
Nach einem weiteren Bootsunglück vor der Küste von Lesbos suchte die Küstenwache unterdessen weiter nach 26 vermissten Flüchtlingen, darunter ebenfalls auch Kinder. 20 Überlebende konnten laut Behörden gerettet werden. (dpa, AFP)
Die Ereignisse vom Samstag können Sie hier nachlesen.
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