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Ein Kind aus Südsudan, kurz nach der Ankunft im Kongo, mit seiner Mutter
© Siegfried Modola/UNHCR
Update

Flüchtlingszahlen der UN: Mehr als 82 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht

Die Zahl der Menschen, die flüchten müssen, steigt laut UNHCR kontinuierlich. Das Corona-Jahr 2020 hat die Lage Geflüchteter weiter verschlechtert.

Die Pandemie hat im vergangenen Jahr die Aufmerksamkeit von denen abgelenkt, die vor Kriegen, Hungersnöten, Gewalt, Verfolgung und Umweltkatastrophen fliehen müssen. Manchmal hat sie im globalen Norden auch als willkommenes Argument gedient, die Grenzen noch stärker abzudichten. Doch sie hat die Schrecken nicht gemildert, im Gegenteil: Die Zahl derer, die in aller Welt fliehen müssen, ist 2020 auf ein weiteres Rekordhoch gestiegen.

82,4 Millionen Menschen sind nach dem jüngsten Bericht des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR derzeit entweder im eigenen Land aus ihrer Heimat vertrieben, in Nachbarländer geflohen oder haben weiter weg Zuflucht gesucht. Das ist eine Steigerung um vier Prozent gegenüber dem Vorjahr 2019 und nach UN-Angaben der höchste Wert, seit es überhaupt Daten über Geflüchtete gibt.

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Innerhalb nur eines Jahrzehnts hat sich die Zahl der Geflüchteten damit verdoppelt: Noch 2010 waren “nur” 41 Millionen Menschen weltweit auf der Flucht, etwa ein Prozent der Weltbevölkerung. Das Flüchtlingshilfswerk hat die Zahlen für 2020 an diesem Freitag veröffentlicht.

 Mehr Flüchtlinge, aber weniger Aufnahmen

Demnach werden aktuell 86 Prozent der zwangsweise Vertriebenen nicht im reichen Norden der Welt aufgenommen, sondern in Entwicklungsländern. 73 Prozent der Geflüchteten schaffen es nur bis in die Nachbarländer. Die Türkei ist das Land, das weltweit die meisten beherbergt, 3,7 Millionen Menschen, vor allem aus Syrien, wo seit einem Jahrzehnt ein Bürgerkrieg tobt. Es folgen Kolumbien, Pakistan und Uganda. Deutschland ist mit 1,2 Millionen aufgenommenen Flüchtlingen das erste Industrieland der Reihe, auf Platz 5.

Mehr als zwei Drittel, 68 Prozent der Flüchtlinge, kommen aus gerade einmal fünf Ländern. An der Spitze steht wiederum Syrien mit 6,7 Millionen Binnenvertriebenen und Menschen, die sich in Nachbarländer oder übers Meer retten konnten. Es folgen vier Millionen Venezolaner:innen, die ihr einst reiches Ölland wegen Verfolgung und Hunger verlassen mussten, gefolgt von Afghanistan, dem Südsudan und Myanmar.

Auch wenn diese Zahlen Kriege als Hauptgrund für Flucht und Vertreibung nahelegen: Sie sind es nicht, schreibt UNHCR - es sind vielmehr Umweltkatastrophen: "Allein 2020 zwangen sie 30,7 Millionen Menschen, innerhalb ihres Staats anderswo Zuflucht zu suchen." Das sei die höchste Zahl im letzten Jahrzehnt und mehr als dreimal so viel wie die knapp neun Millionen Flüchtlinge, die auf Konflikte und Gewalt reagieren müssen.

Trotz dieser weiteren Steigerung der Geflüchtetenzahlen ist die Zahl derer, die die Flucht schafften, “massiv nach unten gegangen”, wie es im Bericht heißt. Noch kenne man nicht das ganze Ausmaß der Pandemie, aber die verfügbaren Daten zeigten, dass 1,5 Millionen Menschen weniger ein rettendes Land erreichten, als ohne Covid-19 zu erwarten gewesen wäre, schreibt UNHCR.

Verglichen mit der Zahl der Geflüchteten nimmt sich die Zahl derer, denen es im letzten Jahr möglich war zurückzukehren, winzig aus: 3,4 Millionen schafften dies, davon 251.000 Menschen, die aus dem Ausland in ihr Land zurückkehrten. Alle übrigen waren im Land Vertriebene.

Die Vereinten Nationen nennen auch die Gründe dafür: Die Zahlen der Rückkehr oder Aufnahme in einem sicheren Drittland seien deswegen so niedrig, weil im Pandemiejahr "viele Regierungen für längere Zeit ihre Grenzen schlossen und auch die innere Bewegungsfreiheit einschränkten".

 Covid-19 wird extreme Armut auf ein historisches Niveau steigen lassen

So konnten die UN im vergangenen Jahr beispielsweise lediglich 34.400 Menschen “resettlen”, also für ihre Unterbringung in aufnahmebereiten Staaten auswählen und die dann organisieren. Das war nur ein Drittel der schon geringen Zahl des Vorjahrs (damals 107.800).

Die Gründe für die Lage im vergangenen Jahr sieht UNHCR in “fortgesetzten Kriegen, extremen Wetterlagen und den wirtschaftlichen Folgen von Covid-19, die vorhandene Krisen weiter verschärft haben”. Und die Aussichten für das laufende Jahr seien gleichermaßen besorgniserregend, heißt es im Bericht. Die Autor:innen zitieren die Weltbank. Die erwarte, dass “die Zahl der Menschen, die durch Covid-19 in äußerste Armut geworfen werden, auf 119 bis 124 Millionen steigen wird, ein nie dagewesenes Niveau”. An das Covid-Jahr 2020, so UNHCR, werde man "sich erinnern wie an keines zuvor". Die Auswirkungen würden Geflüchtete noch auf Jahre spüren, "als Folge von Einkommensverlusten, ungesicherter Ernährung und versäumter Bildung für eine ganze Generation".

Und es sind überdurchschnittlich viele Kinder, die die Tragödie der Flucht und all dessen, was dem vorhergeht, trifft: Den UNHCR-Daten nach waren im vergangenen Jahr Kinder 42 Prozent der Flüchtlinge. Sie machen aber nur 30 Prozent der Menschheit aus. Zwischen 2018 und 2020 wurden im Schnitt jedes Jahr zwischen 290- und 320.000 Kinder in ein Leben als Flüchtlinge hineingeboren.

"Viele von ihnen laufen Gefahr, auf Jahre im Exil aufzuwachsen, einige möglicherweise für den Rest ihres Lebens." Eine besondere Herausforderung sei es, Kindern zu helfen, die unbegleitet seien oder von ihren Familien getrennt würden. Ihre Probleme verschärften sich noch, wenn sie nicht bei Geburt registriert würden und staatenlos seien.

Menschenrechtsinstitut mahnt Deutschland und die EU

Der UN-Bericht bereitet die Zahlen über Flüchtlinge auf und analysiert sie, er enthält kein Kapitel mit Empfehlungen. Nur eine Einschätzung des Chefs der Organisation, Flüchtlingshochkommissar Filippo Grandi, erscheint auf einer der ersten Seiten hervorgehoben im Druck - mit einem Hinweis auf die Genfer Flüchtlingskonvention, die im Juli 70 Jahre alt wird: "Die Flüchtlingskonvention von 1951 und die Weltflüchtlingsvereinbarung stellen die gesetzlichen Grundlagen und Mittel zur Verfügung, auf Vertreibung zu reagieren. Wir brauchen aber vor allem anderen viel mehr politischen Willen, um Konflikte und Verfolgung zu verhüten, die Menschen zwingen zu fliehen."

Das Deutsche Institut für Menschenrechte, Deutschlands nationale Einrichtung für Menschenrechtsfragen, nahm die UN-Zahlen und den jährlichen Weltflüchtlingstag an diesem Sonntag zum Anlass für eine Mahnung an die EU und die Bundesregierung: "Illegale und gewaltsame Zurückweisungen an den EU-Außengrenzen, wie sie in zahlreichen Berichten dokumentiert sind", führten in den letzten Jahren "zu einer fortschreitenden Aushöhlung des Flüchtlingsschutzes."

Dabei verpflichte die Genfer Konvention ihre Mitgliedstaaten, niemanden in ein Land zurückzuweisen, in dem ihm Verfolgung oder die weitere Abschiebung in das Land der Verfolgung droht. "Lediglich ein Bruchteil der 82,4 Millionen Schutzsuchenden gelangt nach Europa. Dennoch ist die politische Debatte hierzulande geprägt von einer Rhetorik der Abwehr und der Abschottung und nicht von den menschenrechtlichen Schutzverpflichtungen der EU und ihrer Mitgliedstaaten.“

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