Rücktritt der russischen Regierung: Medwedew geht – damit Putin der gute Zar bleiben kann
Propaganda und Patriotismus allein halten Russlands Gesellschaft nicht mehr zusammen. Putin erkennt das – und sägt den zweiten Mann im Staate ab. Ein Kommentar.
Traditionell beginnt das politische Jahr in Russland mit einer Art Feldgottesdienst für die wirtschaftliche und bürokratische Elite des Landes. Sie versammelt sich in Moskau und Wladimir Putin spricht zur Lage der Nation. Danach geht es weiter wie bisher. Doch dieses Mal ist es anders, es folgt ein Paukenschlag: Unmittelbar nach Putins Rede tritt die russische Regierung zurück. Ministerpräsident Dmitri Medwedew muss seinen Sessel räumen.
Putin und Medwedew – die beiden galten als ein Tandem seit der gemeinsamen Zeit in der St. Petersburger Stadtverwaltung. Jetzt geht der Mann, dem Putin so sehr vertraute, dass er mit ihm den Tausch des Präsidentenamtes vereinbarte.
Was in anderen Ländern eine politische Krise wäre, ist in Russland keine. Oder zumindest keine große, denn alles Wichtige entscheidet ohnehin Putin höchstselbst. Fragen muss man dennoch, warum er jetzt entschieden hat, seinen Getreuen zu opfern.
An Putin führt kein Weg vorbei
International hat der russische Präsident gerade eine gute Zeit. Putin ist gefragt wie kaum jemals zuvor. Syrien, Iran, Irak, Libyen, Venezuela, der Konflikt in der Ostukraine – wohin man auch schaut, überall macht er in den Konflikten dieser Welt seinen Einfluss geltend. Lösungen sind ohne ihn nicht möglich. Putin – nicht Trump – ist der Dealmaker der Stunde.
Doch zu Hause läuft es schon längere Zeit nicht rund. Die Führung im Kreml hat die junge Generation verloren, die geht auf die Straße und will mehr Mitsprache. Oder sie denkt ans Auswandern. Die Alten rebellieren, weil das Rentenalter heraufgesetzt werden soll.
Die gesellschaftliche Mitte ist verunsichert, ob sie ihren gerade errungenen Wohlstand in den heraufziehenden Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs halten kann. Die Provinz begehrt auf, wenn Moskaus Müll gleich neben ihren Städten verklappt werden soll.
In weiten Teilen Sibiriens verbrennt der Wald und die einzige Reaktion der Gouverneure ist: Das war doch im Sommer immer so. Die Oligarchen und die Nomenklatura sind verunsichert, weil sie nicht wissen, was Putin nach dem Jahr 2024 macht, wenn seine Amtszeit endet.
Der Innendruck in Russland steigt
Die Liste mit Gründen für den Unmut und für Verunsicherungen ließe sich verlängern. Der Innendruck in Russland steigt. Militärische Erfolge in Krisenregionen, Propagandaschlachten gegen den Westen und patriotische Kampagnen genügen offensichtlich nicht mehr, um die Gesellschaft zusammenzuhalten.
Das hat der russische Präsident in seiner Rede auch mehr oder weniger eingestanden. Mit einem großen Sozialprogramm und vielen Milliarden Rubeln sollen die Spannungen gemindert werden. Russlands größtes Problem sei die Armut, ist Putins aktuelle Botschaft an die Nation. Die sei so groß, dass Familien es sich nicht mehr leisten könnten oder wollten, Kinder zu bekommen. Ein gewaltiges demografisches Problem zieht herauf.
Seit zwei Jahrzehnten ist Putin an der Macht. 20 Jahre, in denen Russland Billionen mit Öl und Gas verdient hat. Jahre, in denen sich die Oligarchen im Umfeld des russischen Präsidenten hemmungslos bereicherten, in denen aber auch etwas vom gedeckten Tisch der Reichen für das Volk herabfiel.
Und dann gesteht das Staatsoberhaupt ein, dass Russland zwar die besten Atomraketen der Welt hat, aber keine funktionierende Schulspeisung und zu wenig Anreize für Familien, Kinder in die Welt zu setzen. Putin hat es jetzt ausgesprochen – und das könnte gefährlich werden für ihn.
Deshalb schiebt er, wie gewöhnlich, die Verantwortung für Schwierigkeiten und Missstände weg. Bisher hat es genügt, bei Missständen im Land eine untere Charge der Nomenklatura abzusägen. War dann noch keine Ruhe, schritten die Sicherheitsorgane ein. Das reicht offensichtlich nicht mehr, deshalb musste der zweite Mann im Staate gehen. Nicht weit – nur in ein anderes Amt. Medwedew geht, damit Putin der gute Zar bleiben kann. Sonst geht es weiter wie bisher. Vorerst jedenfalls.