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Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, David McAllister, hat die deutsche und britische Staatsbürgerschaft
© DPA/Peter Steffen

CDU-Europaabgeordneter: McAllister hält Fristverlängerung beim Brexit für möglich

Der Chef des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, David McAllister, über den Spielraum bei den Brexit-Verhandlungen und die Krise in Italien.

Herr McAllister, der neue britische Premier Boris Johnson ist seit drei Wochen im Amt. In dieser Zeit hat er seine Drohung, es notfalls auf einen No-Deal-Brexit ankommen zu lassen, weiter verstärkt. Steuern die EU und Großbritannien auf einen ungeregelten Austritt zu?

Die britische Politik ist in den letzten Wochen noch unübersichtlicher geworden, als dies ohnehin schon der Fall war. Davon konnte ich mir selbst gerade ein Bild machen, weil ich eine Woche in Schottland zu Besuch bei Verwandten war. Niemand kann die Entwicklung der kommenden Wochen verlässlich vorhersagen. Aber die Wahrscheinlichkeit eines No-Deal-Brexit hat stark zugenommen. Denn Boris Johnson und seine engsten Mitstreiter wiederholen ja täglich das Mantra, dass es einen EU-Austritt ohne Wenn und Aber bis zum 31. Oktober geben soll. So hat Johnson in diesen Tagen an alle Staatsbeamten einen Brief geschrieben, dem zufolge die Vorbereitungen auf einen ungeregelten Brexit oberste Priorität haben sollen.

Das lässt befürchten, dass es tatsächlich zum ungeregelten Austritt kommt.

Das Risiko ist in der Tat angestiegen, weil es in London eine Regierung gibt, die fest entschlossen ist, den No-Deal-Brexit billigend in Kauf zu nehmen. Allerdings gibt es im Unterhaus keine Mehrheit für einen ungeregelten Austritt.

Der britische Oppositionschef Jeremy Corbyn will als Übergangspremier einen No-Deal-Brexit verhindern. Halten Sie das Vorhaben für aussichtsreich?

Zunächst einmal: Ein No-Deal-Brexit wäre für das Vereinigte Königreich verheerend: ein massiver Verlust von Arbeitsplätzen und Investitionen. Außerdem bestünde die Gefahr, dass das Vereinigte Königreich auseinanderfällt. Nun gibt es drei Möglichkeiten, den No-Deal-Brexit noch zu verhindern: Entweder stimmt das Unterhaus dem Austrittsabkommen doch noch zu, London zieht gar den Austrittsantrag zurück oder die britische Regierung beantragt nochmals eine Fristverlängerung. Die beiden ersten Optionen sind unwahrscheinlich. Es gibt grundsätzlich zwei Wege, um einen No-Deal-Brexit zu verhindern: Entweder verabschiedet das Unterhaus entsprechende Gesetze. Das ist nicht ganz einfach, aber möglich. Oder es käme nach einem Misstrauensvotum zum Sturz der Regierung. Ob Jeremy Corbyn in einem solchen Fall das Ruder übernehmen könnte, ist allerdings sehr fraglich. Denn die jüngsten politischen Wortmeldungen in London beispielsweise der Chefin der Liberaldemokraten, Jo Swinson, zeigen, dass Corbyn innerhalb der Oppositionsabgeordneten, die nicht Labour sind, nicht den nötigen Rückhalt hat.

Johnson profitiert also von der Zerstrittenheit der Opposition?

Im Unterhaus gibt es zwar mehrheitlich Einigkeit darüber, dass der ungeregelte Brexit vermieden werden muss. Aber über den Weg dorthin sind sich die Abgeordneten bislang nicht einig.

Wäre eine Neuwahl in Großbritannien ein Grund, um erneut die Brexit-Frist über den 31. Oktober hinaus zu verschieben?

Die britische Regierung müsste dann zunächst einen glaubhaften und überzeugenden Antrag stellen. Eine Neuwahl wäre natürlich eine völlig neue Lage und damit eine glaubhafte Begründung. Ich gehe davon aus, dass es in einem solchen Fall unter den 27 Staats- und Regierungschefs der EU die erforderliche Einstimmigkeit geben dürfte, die Frist zu verlängern.

Welche Zugeständnisse an London könnte die EU noch mit Blick auf den Austrittsvertrag machen?

Die Position der 27 Mitgliedstaaten und der EU-Institutionen ist eindeutig. Wir wollen den ungeordneten Brexit vermeiden. Auf der anderen Seite haben es die Staats- und Regierungschefs richtigerweise abgelehnt, den Austrittsvertrag noch einmal aufzuschnüren. Der Vertrag ist das Ergebnis von 18-monatigen gemeinsamen Verhandlungen von London und Brüssel. Er stellt unter anderem sicher, dass eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland vermieden wird. Zwar kann das Austrittsabkommen nicht geändert werden, aber bei der Politischen Erklärung über unsere künftigen Beziehungen wären weitere Präzisierungen möglich. Dieses Angebot der EU steht. Viele Fragen des sogenannten Backstop, mit dem eine harte Grenze auf der irischen Insel dauerhaft verhindert werden soll, beziehen sich auf die langfristigen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU. Ein Verzicht auf den Backstop im Austrittsvertrag, wie ihn Johnson fordert, ist nicht zielführend. Hier steht die EU an der Seite der Republik Irland.

Nicht nur der Brexit beschäftigt die EU, sondern auch die instabile Lage in Italien. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Innenminister Matteo Salvini demnächst zum Premierminister wird?

Ähnlich wie im Vereinigten Königreich ist auch in Italien die politische Entwicklung schwer vorhersehbar. Sollte der Senat tatsächlich Ministerpräsident Giuseppe Conte das Misstrauen aussprechen, dann müsste Staatspräsident Sergio Mattarella entscheiden, ob er Neuwahlen ansetzt. Mattarella hat zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Regierung im Amt sein muss, um den Haushaltsplan für das kommende Jahr zu verabschieden. Der Etatentwurf muss bis Ende September der Kommission vorgelegt werden. Die Italiener müssen selber über das weitere Vorgehen entscheiden. Fakt ist: Italien weist nach Griechenland den höchsten Schuldenstand in der EU auf. Weil Rom bei der aktuellen Neuverschuldung Zugeständnisse gemacht hat, hat die Kommission vorerst auf ein Defizitverfahren verzichtet. Diese politischen Vorgaben müssen jetzt in Rom umgesetzt werden. Es wäre schlecht, wenn während der Haushaltsberatungen Wahlkampf stattfindet.

Wie schätzen Sie Salvini grundsätzlich ein?

Im Europäischen Parlament habe ich ihn erlebt. Er ist ein nationalistischer Populist, der mit der EU wenig bis gar nichts am Hut hat. Er nutzt aber Polemiken gegen Brüssel, um sich als vermeintlicher Wahrer italienischer Interessen zu verkaufen. Damit schadet er nicht nur der EU, sondern vor allem Italien.

Italien gehört innerhalb der Euro-Zone zu den besonders wirtschaftsschwachen Ländern. Wer trägt die Schuld daran, Brüssel oder Rom?

Die wirtschaftliche Situation in Italien ist seit der Finanzkrise wie auch in anderen Mittelmeerländern nicht einfach. Die gegenwärtige Regierung in Rom hat zu einer weiteren Verschärfung dieser Lage beigetragen. Denn die Ausgabenpläne erhöhen das Defizit. Und die gegenwärtige Regierungskrise belastet den Standort Italien zusätzlich. Was Italien jetzt dringend braucht, sind stabile Verhältnisse, um die notwendigen Reformen zu beschließen und dann umzusetzen. Diese Reformen sind schließlich zwischen der Regierung und der Kommission verbindlich vereinbart worden.

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