Großbritannien: Labour-Chef Corbyn will Premierminister Johnson stürzen
Um einen No Deal-Brexit zu verhindern, will Jeremy Corbyn Premier Johnson stürzen - mit den anderen Oppositionsparteien. Ob der Plan gelingt, ist fraglich.
Der britische Labour-Chef Jeremy Corbyn will Premierminister Boris Johnson offenbar mit einem Misstrauensvotum stürzen und so einen ungeregelten Brexit in letzter Minute verhindern. In einem Brief an die Chefs der oppositionellen Parteien und mehrere einflussreiche Unterhaus-Abgeordnete der Konservativen, die den Kurs Johnsons ablehnen, warb er für eine Übergangsregierung unter seiner Führung. Diese werde umgehend Neuwahlen ansetzen und auch ein zweites Referendum über den Ausstieg aus der Europäischen Union auf den Weg bringen.
Der Chef der britischen Sozialdemokraten gehe davon aus, auch viele seiner Kritiker auf seine Seite ziehen zu können, wenn seine Zeit als Premier klar befristet wäre. Einen Brief mit seinem Vorschlag soll Corbyn am späten Mittwochabend an die Chefs der oppositionellen Parteien und Rebellen der regierenden Konservativen geschickt haben.
Brexit-Hardliner Johnson will die EU auf jeden Fall Ende Oktober verlassen, selbst wenn es keinen Austrittsvertrag geben sollte. Die Sommerpause des Unterhauses endet am 3. September. Die Mehrheit der britischen Politiker strebt nach wie vor einen Austrittsvertrag mit der Europäischen Union an. Zwar war der von Johnsons Vorgängerin Theresa May mit der EU ausgehandelte Vertrag mehrfach im Parlament durchgefallen. Allerdings hatten sich die Abgeordeneten auch klar gegen einen "No-Deal-Brexit" ausgesprochen.
Corbyn: Johnson hat „kein Mandat für einen No-Deal“
In dem Brief Corbyns heißt es unter anderem, die Regierung von Johnson habe "kein Mandat für einen No-Deal". Auch aus dem Ergebnis des Referendums im Jahr 2016, bei dem die Briten mehrheitlich für den Ausstieg aus der EU gestimmt hatten, lasse sich kein entsprechendes Mandat ableiten. "Ich habe deshalb vor, ein Misstrauensvotum zu beantragen, sobald wir hinreichend sicher sein können, dass es auch Erfolg haben wird."
„Unsere Priorität sollte es sein, im Parlament zusammenzuarbeiten, um einen stark schädigenden No-Deal-Brexit zu verhindern“, zitieren die Medien aus dem Schreiben, das auf ein geteiltes Echo gestoßen sein soll. So bezeichnete die neue Chefin der Liberaldemokraten, Jo Swinson, Corbyns Vorschlag den Berichten zufolge als „Unsinn“. Die Grünen begrüßten demnach zwar das vorgeschlagene Misstrauensvotum, wollen aber ein neues Referendum noch vor Neuwahlen.
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Ein Regierungssprecher sagte dazu: „Es gibt eine klare Wahl: Jeremy Corbyn, der das Referendum außer Kraft setzen und die Wirtschaft ruinieren wird, oder Boris Johnson, der das Referendum respektieren und mehr Geld für das (staatliche Gesundheitssystem) NHS und mehr Polizei auf unseren Straßen zur Verfügung stellen wird.“
Eine Sprecherin Johnsons sagte, die Fronten seien damit klar: "Diese Regierung glaubt, dass die Leute bestimmen und dass Abstimmungen respektiert werden müssen. Jeremy Corbyn glaubt, dass die Leute wie Sklaven sind und Politiker Abstimmungen, die ihnen nicht passen, einfach übergehen können."
Findet Corbyn genügend Unterstützer für sein Vorhaben?
Käme es tatsächlich zu einem Misstrauensvotum gegen Johnson im Unterhaus und würde der amtierende Regierungschef dieses verlieren, hätten die Abgeordneten maximal zwei Wochen, um eine neue Regierung zu bilden. Sollte ihnen dies nicht gelingen, käme es automatisch zu Neuwahlen. Diese könnten wohl nicht mehr vor dem von Johnson als Austrittsdatum deklarierten 31. Oktober stattfinden. Labour-Chef Corbyn ist umstritten und es ist keineswegs sicher, dass er genügend Unterstützer für sein Vorhaben findet.
Johnson will Großbritannien unter allen Umständen am 31. Oktober aus der Europäischen Union führen. Er pocht auf Änderungen am fertigen Austrittsvertrag mit der EU, will aber notfalls auch ohne Abkommen gehen. Das Parlament hatte das Austrittsabkommen drei Mal durchfallen lassen, aber auch klar gegen einen Brexit ohne Vertrag gestimmt. Johnson hatte zuletzt nicht ausgeschlossen, zur Not dem Parlament eine Zwangspause aufzuerlegen und es so handlungsunfähig zu machen.
Johnson will den vereinbarten Backstop im Abkommen streichen, was die EU ablehnt. Diese Garantieklausel soll verhindern, dass zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland wieder Grenzkontrollen eingeführt werden müssen. Das könnte den alten Konflikt zwischen katholischen Befürwortern einer Vereinigung Irlands und protestantischen Loyalisten wieder schüren.
Der Backstop sieht vor, dass Großbritannien so lange Teil einer Zollunion mit der EU bleibt, bis das Problem anderweitig gelöst ist. Für Nordirland sollen zudem teilweise Regeln des Europäischen Binnenmarkts gelten. Johnson sieht in der Klausel ein „Instrument der Einkerkerung“ Großbritanniens in Zollunion und Binnenmarkt. (Reuters, dpa)