Nach G20-Krawallen in Hamburg: Martin Schulz wagt sich in die Krisenzone
Der SPD-Kandidat besucht das Schanzenviertel und sucht die Konfrontation mit Merkel. Doch er hat einen schweren Stand.
Ein leichter Gang wird es nicht für Martin Schulz. „Hau ab, Schulz“, dröhnt es über die Straße des Szeneviertels in Hamburg. Ein anderer ruft: „Verräterschweine, euch braucht hier keiner!“ Der SPD-Kanzlerkandidat, abgeschirmt von Leibwächtern in Zivil, Polizisten in Uniform und einem Pulk von Presseleuten, zieht weiter und verschwindet in einem Weinladen. Dabei sind die jungen Männer, die ihrer Wut Luft machen, nicht sein einziges Problem am Ende dieser Wahlkampfwoche.
Der bärtige Politiker ist unterwegs im Schanzenviertel der Hansestadt – dort, wo der Ausbruch der Gewalt während des G-20-Gipfels die Menschen am härtesten traf und den größten Schaden hinterließ. Als Abschluss einer fünftägigen „Sommertour“ war Hamburg eingeplant und am Donnerstag eine Hafenrundfahrt. Das hätte schöne Fernsehbilder aus der Hansestadt gegeben, die Dank der Autorität des unangefochtenen Bürgermeisters Olaf Scholz als sozialdemokratisches Musterland galt.
Reparierte Fensterscheiben
Doch nach den Chaostagen während des Gipfels, die die Republik erschütterten, hätte ein Bootstrip wohl zynisch gewirkt. Also entschied sich Schulz, direkt auf das Problem zuzusteuern und im Schanzenviertel mit Menschen zu reden. Jetzt läuft der Kandidat an notdürftig reparierten Fensterscheiben und Protestplakaten vorbei: „FCK G20. Make capitalism history.“
Er spricht mit den Bewohnern, etwa mit Maurice Khalil, dem Inhaber der Apotheke am Neuen Pferdemarkt. Durch ihr Schaufenster sieht man auf das eingerüstete Haus gegenüber, von dessen Dach aus die Randalierer die Polizei angegriffen hatten. Der Apotheker zeigt dem Kandidaten einen faustgroßen Pflasterstein, den er in einer violetten Plastiktüte aufbewahrt. Geworfen hatte ihn einer der Krawalltouristen.
In der Not versucht Schulz das, was er gern als seine Stärke beschreibt: Die Sorge der Menschen aufzunehmen. Jetzt aber ist es eine SPD-geführte Landesregierung, die den Anwohnern den Schlamassel beschert hat. Immerhin: Sie sprechen mit ihm. Aber auch generell läuft es nicht gerade rund für den Merkel-Herausforderer.
Schlechte Umfragewerte
Die Umfragewerte sind immer noch schlecht, eine Mehrheit jenseits der Union ist nicht in Sicht. Das Thema innere Sicherheit, das nun alles dominiert, erwischt die Sozialdemokraten kalt (siehe Interview). Und bei der Reaktion auf die neue Krise scheint der SPD ein strategisches Zentrum zu fehlen: Außenminister Sigmar Gabriel startet Angriffe auf Merkel, die so gar nicht zur Verteidigungslinie von Olaf Scholz passen wollen. Auch andere SPD-Minister fallen dem Hamburger in den Rücken. Der Parteichef aber wirkt, als stehe er irgendwo in der Mitte.
Die Menschen seien auf Olaf Scholz und seine SPD nicht gut zu sprechen, hat der Beamte vom „Kommunikationsteam Polizei“ gesagt, der mit seinen Kollegen am Stand wartet. „Ihr habt uns verheizt, wir wurden geopfert für die Staatsgäste“, so sei die Stimmung. Zum Besuch des Kandidaten meint er: „Persönlich halte ich das für daneben.“ Den Bewohnern des Viertels werde das kaum gefallen.
Als Schulz dann auf die Polizisten zusteuert und mit ihnen spricht, ist auch der anfangs skeptische Beamte freundlich und aufgeschlossen. Man dürfe auch die Vertreter der Protestszene nicht alle über einen Kamm scheren, warnt er: Auch im linken Kulturzentrum „Rote Flora“, das nun massiv in der Kritik steht, gebe es Gruppen, die gute Arbeit machten und zum Dialog bereit seien.
Empörte Genossen
Der Kandidat hört zu und nickt. Der Appell, genauer hinzusehen, gefällt ihm. Daraus macht er eine Botschaft: „Ich würde mir wünschen, eine durchaus emotionale, aber auf Verständigung und Dialog ausgerichtete Diskussion würde auch bundesweit stattfinden“, sagt er in die Kameras und Mikrofone.
Das ist auch eine Klage. Denn von Kanzlerin Angela Merkel und ihrer Union, so behaupten die Sozialdemokraten, seien sie hereingelegt worden. Der Vorwurf aus den Reihen von CDU und CSU, der Linksextremismus sei jahrelang verharmlost worden, die SPD müsse sich endlich klar von ihm distanzieren, empört die Genossen. Merkel, so glauben sie, mache sich einen schlanken Fuß und inszeniere sich nach dem G-20-Gipfel als erfolgreiche Weltenlenkerin, während ihre Partei die Schuld für die Gewalt bei Olaf Scholz ablade. Leider passt diese Erzählung so gar nicht zur Krisenstrategie des Hamburgers, der sich eben nicht als Opfer von Merkel inszeniert, sondern als einen Politiker, der zu seinen Entscheidungen steht.
Vorwürfe gegen Merkel
Der Besuch bei Airbus in Finkenwerder am Freitagmorgen gibt dem Kandidaten Gelegenheit, für ein Herzensthema zu werben. Nur europäische Zusammenarbeit wie bei dem Flugzeugbauer könne die Zukunft sichern, sagt er in der Werkshalle, in der die Komponenten aus vielen EU-Ländern zu fertigen A320-Maschinen zusammengefügt werden.
Olaf Scholz ist nur ein paar Minuten mit den Airbus-Managern und dem Kanzlerkandidaten in die Montagehalle gekommen, dann muss er weg. Aber er hat vorher mit Schulz über den G-20-Gipfel gesprochen. Eine Journalistin legt den Finger in die Wunde und fragt den Kandidaten, ob sich der Hamburger von Merkel auch im Stich gelassen fühle. „Darüber habe ich mit Herrn Scholz nicht gesprochen“, sagt der SPD-Chef nur.
Es gibt noch ein weiteres Thema, bei dem der Herausforderer Merkel angreifen kann. Ein „starkes Stück“ sei es, dass die Kanzlerin beim deutsch-französischen Gipfel erkläre, sie wolle zu den Reformplänen von Präsident Emanuel Macron erst nach der Bundestagswahl Stellung nehmen. „Vor der Wahl und nicht nach der Wahl“, hätten die Wähler in Deutschland einen Anspruch auf Klarheit, meint Schulz. Merkel gelinge es gut, „das Hangeln von Gipfel zu Gipfel als Erfolg zu verkaufen“. In Wirklichkeit vertage sie Entscheidungen, während viele Krisen nicht gelöst seien.
Deutschlandplan wird präsentiert
Am Sonntag will der Kandidat in Berlin seinen Deutschlandplan präsentieren, der aus dem Wahlprogramm konkretere Vorschläge ableitet. Am gleichen Tag gibt Merkel der ARD ihr Sommerinterview. Womöglich stellen die Medien in der Berichterstattung die Positionen des Herausforderers und der Kanzlerin gegeneinander. Wenn es für die SPD an diesem Tag einmal besser laufen sollte als in der Woche zuvor, vielleicht sogar auf Augenhöhe.
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