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Neben dem Mandat bleibt vielen Abgeordneten nur wenig Zeit für die Familie.
© Sebastian Gabsch/PNN

„Schuldgefühle gegenüber Partner und Kindern“: Mandat und Familie für viele Abgeordnete nur schwer zu vereinbaren

In den Sitzungswochen sind sie nicht zu Hause, auch sonst bleibt wenig Zeit. Nun fordern mehrere Abgeordnete mit Kindern familienfreundlichere Strukturen.

Das politische Mandat und die eigene Familie unter einen Hut zu bekommen, scheint für viele Abgeordnete im Deutschen Bundestag immer noch eine große Herausforderung zu sein. Dem Tagesspiegel schildern fünf Politikerinnen und Politiker aus verschiedenen Fraktionen ihre Probleme.

„Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es immer ein Spaziergang ist – gerade auch jetzt in Zeiten von Homeoffice und Homeschooling“, sagte die CSU-Politikerin und dreifache Mutter Dorothee Bär. Sie fordert ein Umdenken im politischen Betrieb, der noch familienfreundlicher werden müsse: „Wir brauchen mehr Eltern – gerade auch Mütter – an den Schalthebeln des politischen und gesellschaftlichen Lebens“, sagte Staatsministerin Bär. 

Grünen-Politiker Chris Kühn, der drei kleine Kinder hat, beklagt das zunehmende Arbeitspensum: „Gerade durch die Digitalisierung und Corona ist die Entgrenzung der Arbeit auch im häuslichen Bereich enorm. Hier ein Tweet, da Instagram checken, dort eine Mail.“ Der Politik-Betrieb kenne keinen Feierabend, darunter leide er, sagte Kühn weiter: „Man hat Schuldgefühle gegenüber seinem Partner und den Kindern. In den 22 Sitzungswochen bin ich einfach nicht da, und das tut weh.“

Die FDP-Politikerin Carina Konrad sieht dagegen ihre häufige Abwesenheit nicht als Problem für ihre drei Kinder. „Das Leben geht in dieser Zeit für meine Kinder ganz normal weiter. Sie haben ja schließlich auch einen Papa“, sagte Konrad. Ihr Mann stehe wegen ihrer Arbeit nicht zurück, sagte sie – betonte aber auch: „Meinen Job müssen aber alle tragen. Ich habe einen riesigen Rückhalt aus der Familie, auch die Großeltern helfen mit und sind da. Ohne diese Unterstützung hätte ich das Mandat nicht annehmen können.“

[Kinder an die Macht! Lesen Sie die vollständigen Erfahrungsberichte von Dorothee Bär, Chris Kühn, Carina Konrad, Gregor Gysi und Franziska Brantner bei Tagesspiegel Plus]

Franziska Brantner, alleinerziehende Mutter und Grünen-Abgeordnete, beklagt familienunfreundliche Strukturen im politischen Berlin. Die frühere Europaabgeordnete sagte: „Statt der „Lunch Debate“, wie es sie in Brüssel gab, wird hier am „Parlamentarischen Abend“ festgehalten. Das sind alte Traditionen und Strukturen, die familienunfreundlicher sind.

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Gleichzeitig wird dort sehr viel Politik gemacht und es werden Netzwerke geknüpft.“ Sie habe aufgehört, sich zu entschuldigen, wenn sie an Abendterminen nicht teilnehmen könne: „Wenn die Gesellschaft junge Eltern und ihre Perspektiven im Parlament haben möchte, dann muss sie es auch akzeptieren, dass wir nicht immer da sein können.“

Seit Baerbocks Kandidatur wieder ein Thema

Zuletzt hatte die Kanzlerkandidatur von Grünen-Parteichefin Annalena Baerbock, die ebenfalls Bundestagsabgeordnete ist,  zu einer Debatte zur Vereinbarkeit von Familie und Politik geführt. Die 40-jährige Baerbock hat zwei kleine Töchter.

Der frühere Fraktions-Vorsitzende der Linken, Gregor Gysi, glaubt nicht, dass Baerbock diese Debatte schaden wird: „Es gibt so viele Mütter, die darauf hoffen, dass sie es schafft“, sagte er dem „Tagesspiegel am Sonntag“ – und weiter: „Falls sie aber daran scheitern sollte, müssen gerade alle Männer wohlwollend bleiben. Sie sollten dann über ihre Verantwortung nachdenken. Und die besteht nicht darin, sonntags Zensuren zu verteilen, sondern sich auch um das Alltagsleben zu kümmern.“

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