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Zwei Frauen, unterschiedliche Ansichten und trotzdem gut gemeinsam diskuiert.
© J-Philipp Strobel /picture alliance

Deutschland spricht - ein Treffen zweier Teilnehmer: "Man muss Probleme ansprechen dürfen"

Ursula Knispel und Claudia Müller haben sehr unterschiedliche Ansichten - und dennoch eine Gemeinsamkeit entdeckt. Beide finden: Die politische Mitte fehlt.

Deutschland hat seine Mitte verloren. In diesem Punkt sind sie sich schon vorab einig. Claudia Müller, 35 Jahre, alleinerziehende Mutter, arbeitet im sozialen Bereich, vorwiegend mit „migrantischen Problemkindern“ und will ihren richtigen Namen deshalb nicht in der Zeitung lesen. Und Ursula Knispel, 71 Jahre alt, früher Ausstatterin bei Film und Theater, seit einigen Jahren Rentnerin. „Diskussionen gibt es nicht mehr“, sagt Müller. „Toleranz fehlt auf allen Seiten“, sagt Knispel. Und wenn sie so über die neue Zweiteilung Deutschlands reden, dann meinen sie vor allem die Spaltung zwischen Links und Rechts. Zwischen den „Gutmenschen, die alle gleichbehandeln und glauben, dass jeder integrierbar ist“, sagt Müller. Und zwischen denen die „alle die anders aussehen und anders denken als Störfaktor und Feind einstufen“, sagt Knispel.

Alles nur noch schwarz-weiß. Wo sind die Zwischentöne?

Claudia Müller will die Grenzen stärker kontrollieren, findet, dass die Metoo-Debatte nichts gebracht hat, es Deutschland schlechter geht als vor zehn Jahren und Muslime und Nicht-Muslime hier nicht gut zusammenleben können. Studien liest sie lieber als Zeitungen. Den Medien glaubt sie nicht mehr. Ursula Knispel liest die Zeitung täglich und hat zu jedem dieser Punkte eine andere Meinung. Trotzdem sitzen sich die beiden an diesem Sonntag in einem Café in der Uhlandstraße gegenüber und diskutieren im Rahmen von „Deutschland spricht“. Hat immerhin keiner die Wahrheit für sich gepachtet, finden sie. Und irgendwie müsse man doch im Gespräch bleiben. Aber, sagt Frau Müller noch vorab, „beim Thema Islam würde ich mich streiten“.

"Für Menschen, die sich benachteiligt fühlen, ist das Öl ins Feuer"

Mit Muslimen sagt sie, mache sie in ihrem Alltag schlechte Erfahrungen. Die Kinder seien oft aggressiv, die Familien, sehr konservativ, lebten in Parallelgesellschaften. „Der Islam ist für viele eine Staatsreligion und das merkt man“, sagt sie und fragt: „Wie soll man die integrieren?“ Die AfD würde sie nicht wählen. Auf einer Demo mitlaufen, auf der Rechte den Hitlergruß zeigen: niemals. Aber, und das will sie deutlich sagen, Probleme, die da sind, müssten doch angesprochen werden. Müssten vor allem angesprochen werden dürfen, ohne dass man gleich in die „Nazi-Ecke“ gestellt werde. „Der wütende Mob entsteht doch nur, weil die Menschen sich in ihrem Wunsch, nicht alle aufzunehmen, und in ihrer Angst vor Veränderungen, nicht ernst genommen fühlen."

Claudia Müller redet sehr viel an diesem Sonntag – und wird sich später dafür entschuldigen. Ursula Knispel wird abwinken. „Ich bin ja auch hier, um das zu hören.“

Ursula Knispel ist überzeugt, dass Christen und Muslime und Juden gut miteinander auskommen können, dass es eigentlich nur ein gewisses Maß an Toleranz brauche und dass die „Deutsche Kultur“ schon immer diverse Einflüsse gehabt habe. Trotzdem, sagt sie, beschäftigt sie das, was Claudia Müller ihr schildert. „Ich werde dazu nochmal was lesen und darüber nachdenken“, sagt sie. „Versuchen das nachzuvollziehen.“ Weil dieses „Versuchen einander zu verstehen“ ihr im Moment in Deutschland viel zu kurz kommt. In der Gesellschaft. Und in der Politik. „Für Menschen, die sich benachteiligt fühlen, ist das Öl ins Feuer“.

"Die Politik verausgabt sich nur noch in ihren eigenen Ambitionen"

„Die Politiker nehmen an der Realität kaum noch teil und verausgaben sich nur noch in ihren eigenen Ambitionen und Kämpfen. Klar, dass sich das Volk dann nicht mehr beachtet fühlt“, sagt Knispel, die eigentlich immer die SPD gewählt hat und jetzt nicht so richtig weiß, wo sie ihr Kreuz setzen würde. „Es traut sich keiner mehr Stellung zu beziehen. SPD, CDU und CSU sind mittlerweile alle gleich“, sagt Claudia Müller. „Alles Wischiwaschi.“ Vor kurzem ist sie dennoch in die CDU eingetreten. Weil sie sich „irgendwie engagieren möchte“. Rechts, mittig. Mit der Betonung auf mittig.

Irgendwo im Umkreis dieser Mitte haben sich Claudia Müller und Ursula Knispel an diesem Sonntag getroffen. Aus unterschiedlichen Richtungen kommend. Wahrscheinlich in unterschiedliche zurück. Aber getroffen.

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