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Rechtsextreme Demonstrationen in Chemnitz.
© John MACDOUGALL / AFP

Deutsche Identität: Fremd im eigenen Land? Das verbindet!

Deutsche mögen einander nicht. Wenn es ihnen gelingt, sich in gegenseitiger Abneigung herzlich verbunden zu fühlen, hätten sie viel erreicht. Eine Glosse.

Eine Glosse von Malte Lehming

Was eint die Deutschen? Diese Frage treibt sie seit jeher um, lässt sie erbittert streiten, und vielfältig fallen die Antworten aus: Sprache, Kultur, Tradition, Geschichte, Lebensweise, Blut, Abstammung, Verfassung, der Pass. Dabei ist das verbindende Element vielleicht etwas ganz anderes, das Gefühl nämlich, sich in diesem Land fremd zu fühlen.

„Fremd im eigenen Land“, das ist zum Topos geworden, so heißen Lieder, Bücher und Filme. „Nicht anerkannt, fremd im eigenen Land, kein Ausländer und doch ein Fremder“, singen die Hiphopper von „Advanced Chemistry“. In einem Sammelband aus dem Jahr 1979 drücken es in Deutschland lebende Juden ähnlich aus. Angela Merkel wiederum reagierte auf Kritik an ihrer Flüchtlingspolitik mit dem legendären Satz: „Ich muss ganz ehrlich sagen, wenn wir jetzt anfangen, uns noch entschuldigen zu müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“

In der Fremde ist die Fremdheitserfahrung gewissermaßen eingespeist. Sie wird erwartet und verstanden. Aber im eigenen Land? Da rebelliert etwas. Dabei ist das Gefühl der Nichtzugehörigkeit, des Ausgeschlossenseins, durchaus normal und konstitutiver Teil einer deutschen Identität. Denn das Land besteht ja quasi aus Parallelwelten. Der friesische Fischer beim Kölner Karneval, der nüchterne Hannoveraner beim Thalheimer Schuplattlerfest, der Hartz-IV-Empfänger aus Anklam, der Stadt mit der höchsten Arbeitslosenquote, zu Besuch in Kronberg im Taunus – man muss kein Fremder sein, um sich fremd zu fühlen. Es soll sogar Menschen geben, die sich in einem Deutschland, in dem sich niemand mehr fremd fühlen würde, gerade deshalb sehr fremd fühlen würden.

Wessis gegen Ossis, Ossis gegen Wessis, Frauen gegen Männer, Männer gegen Frauen

Das Land ändert sich, laufend. Wo früher der Konditor war, ist jetzt Starbucks, im Supermarkt bezahlt der Kunde bargeldlos mit dem Handy, Telefonzellen gibt’s keine, eine Kundenberatung findet oft nur online statt. „Das ist nicht mein Land“, seufzt der Senior. Kaum einer geht sonntags noch in die Kirche, auch Schwule dürfen heiraten, das Patriarchat ist am Ende. „Das ist nicht mein Land“, seufzt der Konservative. Immer mehr Menschen aus dem Nahen Osten und Afrika kommen ins Land, viele sind Muslime, viele traumatisiert. „Das ist nicht mein Land“, seufzt der besorgte Bürger. Wer einen ausländisch klingenden Namen hat, wird diskriminiert, hat Probleme bei der Wohnungs- und Arbeitsplatzsuche. „Das ist nicht mein Land“, seufzt der Deutsche mit Migrationshintergrund. „Ich bin ein Deutscher, wenn wir gewinnen, aber ein Migrant, wenn wir verlieren“, hat Mesut Özil gesagt.

Deutsche mögen einander nicht besonders. Das hat mit ihrer Geschichte zu tun. Ob Wessis gegen Ossis, Ossis gegen Wessis, Frauen gegen Männer, Männer gegen Frauen, Grüne gegen Liberale, AfDler gegen Linke, Deutsche ohne gegen Deutsche mit Migrationshintergrund: Da ballt sich die Faust schon in der Tasche, bevor das erste Wort gewechselt wurde. Das lässt sich bedauern, aber es spendet auch ein wenig Trost. Wenn keiner keinen mag, muss keiner das Nichtgemochtwerden persönlich nehmen. Einiges spricht dafür, dass Mitläufer der Pegida einen Aktivisten der Antifa noch stärker hassen als den Schutzsuchenden aus Eritrea.

Fremd im eigenen Land, das ist ein deutsches Alltagsgefühl. Vielleicht ist es der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die Möglichkeit einer Verständigung über ideologische, ethnische und geographische Grenzen hinaus bringen lässt. Wenn es den Deutschen gelingt, sich in gegenseitiger Abneigung herzlich verbunden zu fühlen, hätten sie viel erreicht.

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