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Großer Jubel bei der SPD und ihrer Ministerpräsidentin in Rheinland-Pfalz: Malu Dreyer (SPD) feiert in Mainz die Ergebnisse der ersten Hochrechnungen.
© Boris Roessler/dpa
Update

Landtagswahl in Rheinland-Pfalz: Malu Dreyer auf der Suche nach einer Koalition

Ministerpräsidentin gewinnt Kopf-an-Kopf-Rennen: Nach Auszählung aller Stimmen kommt die SPD auf 36,2 Prozent der Stimmen, die CDU landet mit 31,8 Prozent auf Platz Zwei.

Sie waren schon am Sonntagnachmittag gut gelaunt bis entspannt in der rheinland-pfälzischen SPD. Am Abend brach dann Jubel los auf der Wahlparty: Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) hat die Trendwende geschafft und ihre Herausforderin Julia Klöckner (CDU) deutlich überholt. Die Genossen feierten ihre Spitzenkandidatin mit "Malu! Malu!"-Rufen. Die jubelte überschwänglich: "Die SPD in Rheinland-Pfalz ist mit alter Stärke zurück!"

Der Dank gebührt der Kandidatin zurecht: Ihr gutes Ergebnis verdankt die Mainzer SPD laut Forschungsgruppe Wahlen „zum einen Malu Dreyer, die in bester Tradition rheinland-pfälzischer Ministerpräsidenten lagerübergreifend viel Wertschätzung erfährt. Zum anderen profitiert sie bei einer Wahl, bei der für 58 Prozent der Befragten das Land und für 37 Prozent die Bundespolitik wichtiger war, von hohem Vor-Ort-Ansehen, ihrer Regierungsarbeit sowie einem Rekord-Absturz der Grünen.“ Dreyers Gegnerin Klöckner habe ihr flüchtlingspolitischer Kurs „eher geschadet“. 61 Prozent sähen das Abrücken von Merkel kritisch.

Rot-grüne Koalition rechnerisch nicht mehr möglich

Nach Auszählung aller Stimmen stand am Sonntagabend fest: Die SPD holte am "Super-Sonntag" in Rheinland-Pfalz 36,2 Prozent der Wählerstimmen. Nun kann Dreyer Ministerpräsidentin bleiben, offen ist nur, wer Koalitionspartner werden kann. Mögliche Partner sind die FDP, die Liberalen holten 6,2 Prozent, und die Grünen, die mit 5,3 Prozent der Stimmen den Einzug in den Landtag wohl knapp schaffen werden.

Zwar ist Rot-Grün mit diesem Ergebnis abgewählt. Eine Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen wäre in dieser Konstellation aber möglich. Der FDP-Spitzenkandidat Volker Wissing sagte dazu: "Wenn man gewählt wird, muss man regieren wollen, das geht nicht anders." Eveline Lemke von den Grünen betonte den Willen ihrer Partei zu Sondierungsgesprächen mit Malu Dreyer. Man wolle trotz der herben Verluste von mehr als zehn Prozent auch in Zukunft eine starke Stimme in Rheinland-Pfalz bleiben.

Die CDU holte mit 31,8 Prozent der Stimmen 0,4 Prozentpunkte weniger als 2011. Spitzenkandidatin Julia Klöckner dankte in erster Linie ihrer Partei und ihren Wahlkämpfern für deren "engagierten und spannenden Wahlkampf". Sie zeigte sich enttäuscht über den Wahlausgang. Ein Ziel habe man erreicht, nämlich Rot-Grün abzulösen, ein anderes nicht, nämlich selbst Ministerpräsidentin zu werden.

Die AfD schaffte mit 12,6 Prozent aus dem Stand den Einzug in den Landtag und wurde in Rheinland-Pfalz drittstärkste Kraft nach SPD und CDU.

Feierlaune bei der SPD, blankes Entsetzen bei den Grünen

Alexander Schweitzer, der Generalsekretär der SPD in Rheinland-Pfalz, sagte Tagesspiegel-Online nach den ersten Prognosen: „Das war eine unglaubliche Aufholjagd und ein historischer Sieg, ein tolles Happyend für uns Sozialdemokraten. Das haben wir der großartigen Leistung von Malu Dreyer und des gesamten Teams zu verdanken.“

Als Schweitzer diese Sätze sprach, herrschte noch blankes Entsetzen in den Reihen der Grünen. Sie hatten bis zum Schluss nicht wirklich wahrhaben wollen, dass es nach den 15 Prozent im Jahr 2011 für sie so knapp werden könnte. Auf den Gängen im Abgeordnetenhaus in Mainz schüttelten führende Grüne nur mit den Köpfen. Eine Grüne sagte: „Die AfD zweistellig, und wir vielleicht draußen…“, dann sprach sie nicht weiter.

Die CDU hatte ihre Wahlparty schon lange vorher geplant und sehr selbstbewusst das Mainzer Schloss als Kulisse ausgewählt. Schon am frühen Nachmittag waren die Caterer damit beschäftigt alles zu richten für die Party. Doch um 18 Uhr war es sehr einsam im Schloss, die anwesenden Mitglieder fühlten sich sichtlich unwohl, auch wenn trotzig gejubelt und geklatscht wurde, so wusste doch jeder an diesem Abend: Julia Klöckner ist die große Verliererin.

Es hatte sich in den letzten Umfragen angedeutet, dass es knapp werden könnte. Für alle außer für die AfD, die vermutlich ein zweistelliges Ergebnis einfuhr. Am letzten Tag vor der Wahl-Entscheidung am heutigen Sonntag trafen sich die rot-grünen Spitzenleute in Rheinland-Pfalz, die noch gemeinsam regieren, in der Mainzer Innenstadt. Eveline Lemke von den Grünen rannte förmlich auf Malu Dreyer zu und umarmte sie heftig. Die beiden Frauen blieben eine gefühlte Ewigkeit eng umschlungen, und man hörte die sozialdemokratische Ministerpräsidentin nur leise sagen: „Das gibt’s doch nicht, verstehe ich gar nicht. Ihr habt einen guten Job gemacht.“

Grünen-Chefin Eveline Lemke hatte schon am Samstag zu Tagesspiegel-Online gesagt: „Wenn es wirklich so kommt und wir rausfliegen, werden wir auch weitermachen. Ich werde die Partei zusammenhalten, das habe ich auch schon getan, als wir vor 2011 nicht im Landtag waren.“

Gabriel: "Die Mutter aller Schlachten" in Rheinland-Pfalz

Malu Dreyer hat seit dem vergangenen Sommer nicht nur elf Prozentpunkte aufgeholt, denn so weit lag die CDU schon vor der SPD, sie hat mit dem nun möglichen Erfolg vermutlich auch den SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel und seine innerparteiliche Position gestärkt. Gabriel hatte früh von der „Mutter aller Schlachten“ gesprochen, die Malu Dreyer in Rheinland-Pfalz zu gewinnen habe.

Während des Wahlkampfes hatten die führenden Köpfe in der Landes-SPD immer mal wieder hinter verschlossenen Türen den mangelnden Rückenwind aus Berlin beklagt. Es habe dort lange keine klare Linie gegeben. Bundesweit steht die SPD bei 23 Prozent. Nimmt man diese Zahl zum Maßstab, dann ist klar, warum Rheinland-Pfalz so wichtig für die Bundes-SPD und ihren Vorsitzenden war.

Die Sozialdemokraten regieren das Bundesland seit 1991, damals hatte Rudolf Scharping das Kunststück fertiggebracht, die jahrzehntelange Vormacht der Christdemokraten zu brechen. Allein von 1971 bis 1987 regierte die CDU das Land mit absoluter Mehrheit. Peter Altmeier, Helmut Kohl und Bernhard Vogel sind die bekanntesten CDU-Ministerpräsidenten.

Nach Scharping kam Kurt Beck und regierte 20 weitere Jahre bis 2013, insgesamt ist die SPD nun mehr als 25 Jahre die Partei, die den Ministerpräsidenten oder jetzt die Ministerpräsidentin stellt. Klöckner hatte auch argumentiert, nach so vielen Jahren brauche das Land eine Erneuerung. Doch erstens hatte Dreyer die SPD nach der wegen der Nürburgringaffäre eher glücklos endenden Beck-Ära erneuert und verjüngt. Und zweitens überragte das Top-Thema Flüchtlinge auch in Rheinland-Pfalz alle anderen Themen.

Klöckner-CDU im Sommer meilenweit voraus

Trotz hoher persönlicher Beliebtheitswerte der Ministerpräsidentin war Julia Klöckners CDU den Sozialdemokraten im vergangenen Sommer scheinbar uneinholbar enteilt. Als die Flüchtlingssituation im Spätsommer immer dramatischer wurde, war es wieder Julia Klöckner, die schnell reagierte und in Rheinland-Pfalz Flüchtlingsgipfel organisierte, während Rot-Grün sich sortieren musste.

Dreyer war anfangs völlig auf humanitäre Hilfe und Willkommenskultur eingestellt, allerdings änderte sie ihre Haltung schnell und forderte alsbald ebenso Abschiebungen. Sie gab sich hart und humanitär zugleich, im Vergleich zu anderen Bundesländern hat Rheinland-Pfalz eine hohe Zahl an freiwilligen Rückkehrern zu verzeichnen, weil die Regierung mit Taschengeld und Flugticketkauf kräftig nachhilft. Das sei immer noch billiger und humaner als „die Menschen bei Nacht und Nebel in einen Bus zu pferchen“, sagt Dreyer. Zudem verankerte sie das Thema in der Staatskanzlei und überließ es nicht dem eigentlich dafür zuständigen Integrationsministerium der Grünen.

Der Rückstand, den Dreyer aufzuholen hatte, ließ nicht zu, dass man noch an den schwächelnden Koalitionspartner denken durfte. Die Grünen aber wurden schlicht vergessen, der Fokus lag auf dem Frauenduell zwischen Dreyer und Klöckner oder auf der Flüchtlingspolitik und der immer stärker werdenden AfD.

Die letzte offizielle Wahlkampfveranstaltung hatte Dreyer auf ihrer Tour in ihre pfälzische Heimat in den Ortsteil Mußbach geführt. Die Holzbalken des historischen Gebäudes hängen dort tief und schwer, der Raum war wie überall auf den insgesamt 42 Abendveranstaltungen voll besetzt. Unter den Gästen Olaf Scholz, Erster Bürgermeister von Hamburg, und Dreyers Mutter. Auch hier verkündete sie einen Satz, den sie in verschiedener Form während des Wahlkampfes immer wieder gesagt hatte. In Mußbach lautete er: „Ich glaube, ich habe unglaubliche Kräfte.“

Duell der Power-Frauen Dreyer und Klöckner

In einer Fernsehsendung sagte sie: „Ich habe Kraft, habe Power, bin fit.“ Dreyer wollte mit diesen Sätzen auch deutlich machen, dass ihre „Einschränkung“, wie sie die Krankheit Multiple Sklerose (MS) selbst nennt, keine Rolle spielt. Die unheilbare Nervenkrankheit wurde bei Dreyer im Alter von 34 Jahren diagnostiziert. Normalerweise verläuft sie in den allermeisten Fällen in Schüben, so dass der Gesundheitszustand sich stetig verschlechtert. Bei Dreyer ist dies nicht der Fall. Dem Tagesspiegel sagte sie dazu einmal: „Es ist ein kleines Wunder.“

Auch Julia Klöckner kämpfte bis zum letzten Tag. Am Samstagnachmittag war sie noch in Kaiserslautern in der Fußgängerzone präsent, am Abend tourte sie durch die Kneipen, immer ankämpfend gegen den vermeintlichen Abwärtstrend. Sie ging im Wahlkampf auf jeden zu, diskutierte, lachte, forderte auf zur Wahl zu gehen. Alles an ihr schrie ständig: Ich kann das doch! Aber von den elf Prozentpunkten Vorsprung und elf Auftritten der Bundeskanzlerin war am Wahltag nichts mehr übrig, die letzte Umfrage hatte die SPD sogar einen Prozentpunkt vorn mit 36 zu 35 Prozentpunkten gesehen.

Schon beim letzten Mal, 2011, drängte Klöckner den damaligen Ministerpräsidenten Kurt Beck an den Rande einer Niederlage, es fehlten 0,5 Prozentpunkte. Beck rettete sich in eine rot-grüne Koalition, trat aus gesundheitlichen Gründen bald zurück und ernannte Malu Dreyer trotz ihrer Erkrankung zur Nachfolgerin.

Seither kann Klöckner nicht mehr so gut auf den sozialdemokratischen Filz abheben, auch die 25 Jahre Regierungsmacht der SPD, mit der nun endlich Schluss sein müsse, hätte im Wahlkampf viel besser bei Beck gezogen. „Politik mit Bart“ hat Klöckner Becks System mal genannt.

Top-Thema im Wahlkampf: Flüchtlinge

Doch wenn das Top-Thema Flüchtlinge nicht gewesen wäre, womöglich hätte Klöckner auch mit rein landespolitischen Themen punkten können. Denn tatsächlich hat das Land beispielsweise im Verhältnis zu den Einwohnern die wenigsten Polizisten auf der Straße. Von den am höchsten verschuldeten Städten in Deutschland stammten 2014 die ersten vier aus Rheinland-Pfalz. Stattdessen deutete Klöckner an, dass sie die gebührenfreie Kita abschaffen und lieber ein Familiengeld einführen wolle, um Eltern „Wahlfreiheit“ zu geben.

Klöckner setzte selbst lange auf die Flüchtlingspolitik und vermittelte den Eindruck, dass sie sich von der eigenen Kanzlerin absetzen könne und wolle. Sie wurde nervös, machte neue Pläne öffentlich, versuchte den Spagat zwischen Nähe und Abgrenzung zu Angela Merkel. Am Ende, im TV-Duell mit Dreyer, warf die ihr vor: „Sie fallen ihrer eigenen Kanzlerin in den Rücken."

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