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Viele in der CDU trauen Julia Klöckner zu, einmal Kanzlerkandidatin zu werden.
© picture alliance / dpa

Landtagswahl in Rheinland-Pfalz: Julia Klöckner und CDU: Gefährliche Liebschaft

Frech, jung, schlagfertig: Die CDU ist vernarrt in Julia Klöckner. Doch im Wahlkampf braucht sie auch die Groupies vom Lande. Eine Gratwanderung.

Mit Sophia war nicht unbedingt zu rechnen. Sie ist mittelgroß, mittelalt, mittelschlank und trägt die hell blondierten Haare mittellang. Eine ganz und gar durchschnittliche Erscheinung also vor dem Einkaufszentrum in Landau, wo sich um diese Zeit Rentner, Hausfrauen und Mittagspäusler mit dem Nötigen eindecken. Aber Sophia will keine Butter. Sie will ein Selfie mit ihrem Schwarm. Und sie hat es geschafft, quasi direkt in Julia Klöckners Arme. „Ich liieb’ Sie!“, quietscht Sophia. „Mein Gott“, ruft Klöckner, „Sie müssen doch nicht zittern!“ Dann kriegt Sophia ihr Handy-Foto. Es gibt also Groupies im rheinland-pfälzischen Wahlkampf. Wenn es nach der CDU-Spitzenkandidatin ginge, könnten es im Laufe dieser Woche gerne noch ein paar mehr werden.

Das Einkaufszentrum in Landau liegt im Gewerbegebiet. Viel los ist da um diese Zeit nicht. Aber Winterwahlkampf auf offenen Märkten und Plätzen zu machen ist im Allgemeinen ja keine gute Idee, und an diesem Donnerstag wäre es sogar eine schlechte, weil über den Weinbergen der Südpfalz dicke Regenwolken hängen. Die örtliche CDU hat ihren Stand im Foyer aufgebaut zwischen der Obst- und Gemüseabteilung und dem Stand der beiden Staubsaugervertreter. Die zwei wirken noch trübseliger als branchenüblich, weil Klöckners Tross sie jetzt eine gute Stunde lang verdeckt. Obendrein breitet direkt vor ihrer Nase dieser Tross einen riesigen runden Plastikteppich auf dem Boden aus, der das Einkaufszentrum vorübergehend zum politisch besetzten Gebiet erklärt: „Wir für Julia – CDU“ steht drauf, das „Julia“ in ihrer Handschrift.

Ein Selfie als Zugabe

Und Julia rennt. Wer sich nicht auf der Stelle als unbelehrbarer SPD-Anhänger outet, kriegt die Wahlbroschüre in die Hand gedrückt, ein Selfie als Zugabe und einen aufmunternden Spruch. Die Broschüre ist Lese- und Bilderstoff satt, 40 Seiten im Din-A-4-Format, von Julia mit Schultüte bis Julia mit Nonne: „Wenn Sie noch Fragen haben, schickense mir ’ne Mail, die Adresse ist hier hinten – das kommt bei mir direkt an!“

Keiner entgeht ihr, ob er hier arbeitet oder bloß einkauft oder bloß in Ruhe die Mittagspause verbringt wie die junge Frau und der junge Mann im „Cafe Crusteo“. Klöckner strahlt die beiden an. „Wo arbeitense denn? Bei K...? Des find’ ich ja gut - ich kenn’ Ihren Chef! Wie heißen Sie denn? Sag’ ich ihm, gute Leute, die müssen befördert werden!“ Und weiter geht’s, die Verkäuferinnen an der Kasse müssen noch dran, die Kunden an der Fleischtheke („Wo Sie hier grad warten müssen ...“), der Schuhmacher und der Franzose am Schuhmachertresen: Händedruck, Broschüre, Lächeln und Spruch, beim Franzosen dann halt französisch: „Ça va bien“ – gehts gut?

„Politik ohne Bart“

Um es zusammenzufassen: Julia Klöckner hat ihren Kurt Beck gelernt. Beck war ihr erster Gegner 2011, kurz nachdem sie ihren Job als Parlamentarische Staatssekretärin im Bundeslandwirtschaftsministerium quittiert und zurück in ihr Heimatland gegangen war. Ein ungewöhnlicher Schritt aus der Berliner Hauptstadtsicht, auch mutig – aber logisch. Rheinland-Pfalz war einmal Hochburg der CDU, als deren Anführer noch Helmut Kohl und Bernhard Vogel hießen. Danach versank der Landesverband zwei Jahrzehnte lang in Bruderkriegen und Skandalen. Klöckner erkannte ihre Chance richtig. Beck schien damals reif nach 17 Jahren als Ministerpräsident, einem erklecklichen Schatz eigener Skandale und dem schmählichen Scheitern als SPD-Bundesvorsitzender. Klöckner plakatierte sich frech als „Politik ohne Bart“. Dass es nicht klappte, war nicht ihre Schuld. Der Atomunfall in Fukushima kam auch in Mainz dazwischen.

Beck ging im Jahr darauf und übergab an seine Sozialministerin Malu Dreyer. Er hatte immer ein Händchen in Personalfragen. Vor allem aber hatte der Maurersohn eine Pranke, die jede Hand schüttelte, die in Reichweite kam. Eigentlich dürfte ihm kein einziges seiner Landeskinder entgangen sein. Klöckner braucht dafür noch etwas, doch sie arbeitet daran.

Ihre Erdung hält an - bis in die Sprache hinein

Das mag aufgesetzt klingen, ist es aber nicht. „Des Julschen“ ist in Guldental an der Nahe auf dem Weingut groß geworden, das heute ihr Bruder leitet. Die Erdung hält an bis in die Sprache hinein. Klöckner kann komplizierte Großthemen in derart erdbodennahen Bildern zusammenfassen, dass zum Beispiel manchmal Angela Merkel, wenn sie danebensteht, fast ein bisschen neidisch schaut. So einfach, sagt ihr Blick, kann man das ausdrücken!

Ja, so einfach kann sie das. Im Laufe eines Wahlkampftages kommt da einiges zusammen. Am Morgen steht Klöckner in der Festhalle von Wörth am Rhein. Die Festhalle ist ein betonseeliger Zweckbau aus den 1970ern, der großen Zeit der Schlafstadt für die Leute aus dem Daimler-Werk. Zum Weißwurstfrühstück um zehn Uhr am Vormittag kommt eine Hundertschaft Rentner. Wenn man den Begrüßungsreden der örtlichen Christdemokraten glauben darf, ist das Hauptproblem in Wörth heute, dass es im Sommer zu viele Schnaken gibt, dafür aber eine zweite Rheinbrücke nach Karlsruhe hinüber fehlt. Klöckner hält ihre Standardrede zur Landespolitik.

Aber war da nicht noch etwas anderes? „Das Thema Flüchtlinge kommt nicht am Anfang, das kommt beim Zusammenhalt der Generationen.“ Na gut, stellen wir das auch noch etwas zurück.

Malu Dreyer ist um Längen populärer

Also erst mal: Merksätze zum Mitnicken. „Die Hauptschule ist abgeschafft, aber die Hauptschüler sind nicht abgeschafft“ ist so ein Satz. „Die Jungen können schneller rennen, aber die Alten kennen die Abkürzungen!“ Die Alten kichern. Der Spruch zur Polizei heißt: „Wir wollen die schützen, die uns schützen.“ Die Merksatz-Maschine funktioniert aber auch spontan. Als später in Neustadt an der Weinstraße ein Bürger bezweifelt, dass eine Ministerpräsidentin Klöckner den krisengeplagten Flughafen Hahn anders als die rot-grüne Landesregierung in den Griff bekommt, kriegt er das Bild von der Jacke entgegengehalten: „Wenn Sie da beim Knöpfen einmal falsch angefangen haben, dann ist es schwierig, das im Nachhinein zu richten.“ Auch da nicken die meisten Umstehenden: Stimmt – also, das mit der Jacke jedenfalls.

Damit könnte diese Geschichte enden, und bis Ende letzten Jahres endete sie hier auch: Die SPD-Ministerpräsidentin Dreyer ist zwar um Längen populärer als ihre Herausforderin – bei den bedächtigen Westerwäldern, Hunsrückern, Pfälzern, selbst in Mainz lösen die flotten Sprüche mit der stets etwas rauen Stimme leicht auch ein bisschen Misstrauen aus in die Seriosität dieser Kandidatin. Aber die CDU, als Kampfverband seit fünf Jahren wie wiedergeboren, lag lange weit vor der SPD.

Das zweite Fukushima lag in Köln

Doch dann kam das zweite Fukushima. Es lag in Köln. Die Silvesternacht hat die öffentliche Diskussion über die Flüchtlingskrise gedreht. Seither haben Gegner der Willkommenskultur die Hoheit über Talkshow– und Wirtshaustische zurück.

Klöckner war dafür eigentlich ganz gut positioniert. Sie hatte schon mit Forderungen nach einem Burka-Verbot und einem Integrationspflichtgesetz von sich reden gemacht, als es in Rheinland-Pfalz Gesichtsmasken bloß im Karneval zu sehen gab und Flüchtlinge noch nach Dutzenden pro Tag gezählt wurden. Das machte es ihr leicht, sich ansonsten eng an Merkels Seite zu stellen.

Aber nach Köln hatten sie in Mainz Sorge, dass das nicht reicht. Drei Wochen später war „Plan A2“ fertig. Klöckner erklärte ihn zur „Ergänzung“ für Merkels Politik. In Wahrheit war er das Gegenteil. Spätestens seit Österreichs 80-Personen-Tageslimit ist klar, dass auch „tagesaktuelle Flüchtlingskontingente“ vielleicht mathematisch keine Obergrenze ergeben, faktisch aber genau so wirken würden, Rückstau auf dem Balkan inklusive.

CDU-Wähler mögen keinen Streit im eigenen Lager

Klöckner begab sich damit auf eine Gratwanderung. Auf dem Grat ist eigentlich kein Platz für Schulterschlüsse. Sie versucht es trotzdem. Keine Rede, in der sie ihr Publikum nicht als allererstes ganz herzlich von der Kanzlerin grüßt. Mit der hat sie entweder gerade telefoniert oder war grad mit ihr zusammen im Wahlkampf. So lernen ihre Zuhörer, dass Klöckner wichtig ist und dass Merkel sich kümmert. „Wörth – ist das nicht dort, wo die Brücke fehlt?“ habe die Kanzlerin gefragt. Die Wörther staunen. Bei Merkels Auftritten jubelt das Publikum übrigens. In der CDU-Brust leben, was die Flüchtlingsfrage angeht, mindestens zwei Seelen, eine christlich-mitleidig, die andere misstrauisch bis wütend.

Klöckner hat auch die bedient: Eine Veranstaltung in Mainz mit dem österreichischen Außenminister. Ein Wahlkampfauftritt mit Horst Seehofer, ausgerechnet in Oggersheim, dem Wohnort von Helmut Kohl. Seehofer war für seine Verhältnisse brav, die Leute standen trotzdem auf den Stühlen. Als Merkel zum letzten Brüsseler Gipfel fuhr, glaubten sie in Mainz schon vorher das Ergebnis zu kennen: Da kommt nichts raus, was uns hilft. Sie beschlossen also, an „A2“ zu erinnern. Und weil der CDU-Spitzenkandidat im Nachbarland Baden-Württemberg seine Felle auch davonschwimmen sah mit einer immer stärkeren AfD, bekräftigten Klöckner und Guido Wolf „Plan A2“ gemeinsam.

Aufpassen, "dass die Mitte nicht wegkippt"

Es könnte der eine Schritt zu viel gewesen sein. CDU-Wähler mögen keinen Streit im eigenen Lager. Sie bleiben dann am Wahltag daheim. Womöglich vergrault das Sowohl-als-auch am nächsten Sonntag mehr Leute als es aus den zwei Lagern in der Flüchtlingsdebatte binden kann.

Obendrein war der Zeitpunkt falsch. Nicht, dass die Leute nicht mehr über die Flüchtlinge reden. Aber nicht nur die Demoskopen merken, dass das Thema an Dringlichkeit verliert, je weiter „Köln“ zurückliegt und die Zahlen nicht wieder steigen. In Landau erzählt ein Lokalpolitiker von dem früheren Hotel, in das 25 jugendliche Flüchtlinge ziehen sollten. Das gab Ärger. Man fand eine salomonische Lösung: Nur zehn Junge ziehen ein, dazu Familien und sechs Studenten. „Wir müssen aufpassen, dass die Mitte nicht wegkippt“, sagt der Mann. „Aber so lange nicht mehr kommen, geht’s.“

Die Demoskopen vermelden fast Gleichstand

Klöckner bleibt jetzt sowieso nichts anderes übrig als durchzuziehen. In Wörth erwähnt sie kurz „A2“. Nein, da gehe es nicht um Obergrenzen, nur um ein „Werkzeug zur besseren Steuerung“. Ansonsten redet sie über Integration. Ihren Ruf nach einem Integrationspflichtgesetz hat der CDU-Bundesparteitag im Dezember aufgenommen, da ist sie auf sicherem Terrain. Außerdem findet inzwischen ja sogar die SPD, dass Flüchtlinge nicht nur Rechte haben, sondern auch Pflichten.

Aber lange darf es jetzt nicht mehr gehen. Ende der letzten Woche vermeldeten die Demoskopen fast Gleichstand; nur noch einen kümmerlichen Prozentpunkt lag die CDU vor der SPD. „Es geht nicht um mich als Julia Klöckner“, hat sie in Wörth den Alten versichert. Sie ist jetzt 43, da hat sie eigentlich noch Zeit. Aber als Ministerpräsidentin in den nächsten fünf Jahren bereit zu stehen, in denen sich ja dann vielleicht doch mal die Frage stellt, wer auf Angela Merkel folgt – das wäre schon besser. Auch für Merkel übrigens. CDU-Parteitage bescheren Julia Klöckner stets das beste Wahlergebnis als Parteivize. Sie wittern Zukunft in der jungen Frau. Fast könnte man sagen: Sie lieben Julia Klöckner. Nur am nächsten Sonntag hilft ihr das nicht. Da braucht sie mehr Groupies vom Lande.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite des gedruckten Tagesspiegel am 8. März 2016.

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