„Ich habe große Lust, sie zu nerven“: Macron attackiert Ungeimpfte – und erntet viel Kritik
Der französische Präsident äußert sich in drastischen Worten über Ungeimpfte. Damit greift er nicht nur in die Impf-Debatte ein - sondern auch in den Wahlkampf.
Emmanuel Macron schaltet in den Wahlkampfmodus. Drei Monate vor der Abstimmung um den nächsten französischen Präsidenten hat er ungeimpfte Französinnen und Franzosen heftig beschimpft. Er habe große Lust, die Ungeimpften zu nerven, sagte Macron in einem am Dienstagabend veröffentlichten Interview mit der Zeitung „Le Parisien“. Er werde dies „bis zum bitteren Ende“ tun, fügte er an.
Im französischen Original sagte Macron: „J’ai très envie de les emmerder.“ Das Wort „emmerder“, das hier mit nerven übersetzt ist, kann im Französischen auch eine explizitere Bedeutung haben. Es stammt vom dem Wort „merde“ ab, zu Deutsch „Scheiße“. Macron sagte weiter, Ungeimpfte wollten die Stabilität der Nation untergraben. „Wenn meine Freiheit die Freiheit anderer bedroht, werde ich verantwortungslos. Ein verantwortungsloser Mensch ist kein Bürger mehr.“
Macron griff für seine Kritik an Impfgegnern auf einen bekannten Ausspruch des früheren Präsidenten Georges Pompidou zurück, der sich 1966 bei seinem jungen Berater Jacques Chirac über eine Flut von Gesetzesvorlagen beschwert hatte: „Hören Sie auf, die Franzosen zu nerven.“ Nicht nur wegen dieser historischen Vorlage darf davon ausgegangen werden, dass Macron seine Worte wohl gewählt hat.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Obwohl er seine erneute Kandidatur noch nicht offiziell erklärt hat, zweifelt niemand daran, dass er im April erneut zum Präsidenten gewählt werden möchte. Mit der gezielten Provokation geht er in die Offensive. Möglicherweise hofft der Präsident auf die Unterstützung der geimpften Mehrheit. Knapp 79 Prozent der Französinnen und Franzosen haben mindestens eine Impfdosis erhalten. Doch auch in Frankreich steigen die Infektionszahlen rasant an: Am Dienstag wurden 270.000 neue Ansteckungen registriert – ein neuer Rekord. Landesweit lag die Sieben-Tage-Inzidenz bei mehr als 1800.
Kritik aus allen politischen Lagern
Statt Zustimmung lösten Macrons Worte zunächst allerdings heftige Kritik in allen politischen Lagern aus. „Ein Präsident kann so etwas nicht sagen“, betonte der Parteichef der konservativen Republikaner, Christian Jacob.
Er sei zwar für den Impfpass, aber er könne keinen Gesetzestext unterstützen, dessen Ziel es sei, die Franzosen „zu nerven“. Die Abgeordneten der Nationalversammlung verschoben die Debatte über das Gesetz für den geplanten Corona-Impfpass. Das Dokument soll für den Zugang etwa zu Zügen und Restaurants erforderlich sein, die Regierung will ihn bis Mitte des Monats einführen.
Derzeit beliebt auf Tagesspiegel Plus:
- Neue Diskussion über Schulschließungen: Wenn das Schicksal der Schüler nicht allzu sehr am Herzen liegt (T+)
- Traumberuf Privatier: So gelingt das Leben ohne Arbeit (T+)
- „Wegen Arschlöchern wie euch habe ich mich impfen lassen!“: 13 Szenen aus dem täglichen Maskentheater in Bus und Bahn in Berlin (T+)
Macrons Mitbewerberinnen und Mitbewerber ums französische Präsidentenamt griffen Macron ebenfalls scharf an. Marine Le Pen, Kandidatin des rechtsextremen „Rassemblement National“, schrieb auf Twitter: „Ein Präsident sollte so etwas nicht sagen.“ Auch die republikanische Präsidentschaftsbewerberin Valérie Pécresse zeigte sich schockiert von Macrons Wortwahl. Eine Beleidigung sei niemals die Lösung. „Wir müssen dieses Land reparieren und die Franzosen vereinen und lieben, nicht beleidigen“, sagte sie dem Fernseher CNews.
Der rechtsextreme Eric Zemmour nannte Macrons Aussage eine „zynische Erklärung“ eines Politikers im Wahlkampf. Auch linke Politiker kritisierten Macron. Jean-Luc Mélenchon, Kopf der von ihm gegründeten Bewegung „La France insoumise“ und ebenfalls Präsidentschaftskandidat, sprach von einem „erstaunlichen Geständnis“ des Präsidenten. Es sei klar, dass der Impfpass eine kollektive Strafe gegen die individuelle Freiheit sei. Die sozialdemokratische Kandidatin Anne Hidalgo kommentierte auf Twitter ironisch: „Frankreich vereinen.“
Macron liegt in den Umfragen weiter vorne. Im Interview mit „Le Parisien“ wurde er auch auf seine noch nicht verkündete Kandidatur und seine Ambitionen angesprochen. Eindeutig äußerte er sich nicht dazu. Er sagte aber: „Ich habe Lust.“