zum Hauptinhalt
Jeremy Corbyn (links) und sein Herausforderer Owen Smith.
© imago/i Images

Großbritannien nach dem Brexit-Votum: Machtkampf in der Labour Party

Jeremy Corbyn oder Owen Smith? Die Urwahl des Labour-Parteichefs beginnt. Das Spektakel weckt Erinnerungen an eine der schlimmsten Phasen in der Parteigeschichte.

Es sind sehr politische Sommerferien in Großbritannien. Erst das historische Brexit-Votum, und nun geht der Machtkampf in der Labour Party in seine heiße Phase. Die große Mehrheit der Parlamentarier im Unterhaus und ein Teil der Basis kämpft gegen den Parteichef Jeremy Corbyn und dessen Anhänger. Der Konflikt schwelt, seit der 67-jährige Linke vor einem Jahr, nach der Wahlniederlage von Labour, überraschend die Urabstimmung zum Parteichef gewann – womit er, das ist Tradition, auch die Fraktion im Parlament führt, die Corbyn freilich nie und nimmer in das Amt gehoben hätte. Corbyn war immer nur ein sehr eigenwilliger Hinterbänkler, er hat insgesamt bei 438 Abstimmungen gegen die eigene Parteilinie gestimmt und wird von Kollegen als nicht teamfähig bezeichnet. Nach dem Brexit-Referendum im Juni sahen die Abgeordneten, die in großer Mehrheit gegen den EU-Austritt sind, ihre Chance gekommen und rebellierten – mit der Begründung, Corbyns „lauwarme“ Auftritte in der Stimmenkampagne (der Labour-Chef ist ein linker EU-Skeptiker) hätten den Sieg der Brexiter mitverursacht. Das Schattenkabinett trat nahezu geschlossen zurück oder wurde von Corbyn entlassen, ein Misstrauensvotum in der Fraktion ergab eine Mehrheit von 172 zu 40 Stimmen. Eine zweite Urwahl wurde erzwungen. Freilich zeigten sich Corbyns Gegner nur im Widerstand vereint, die Geschlossenheit wurde brüchig, als es um den besten Gegenkandidaten ging. Nach einigem Hin und Her setzte sich der Abgeordnete Owen Smith durch, ein 46-jähriger Waliser und früherer BBC-Journalist, der erst seit 2010 im Parlament sitzt und bisher wenig von sich reden gemacht hatte.

Erst kam der Linke, dann die Spaltung

Das Spektakel einer tief zerstrittenen Oppositionspartei weckt Erinnerungen: 1980 kam, nach zunehmend erfolglosen Regierungsjahren und dem Sieg der Tories unter Margaret Thatcher im Jahr davor, der Parteilinke Michael Foot an die Spitze. Mit ihm ging Labour in der Wahl 1983 völlig unter. Zuvor hatte sich die Partei gespalten, die Parteirechten Roy Jenkins, Shirley Williams und David Owen gründeten 1981 die Social Democratic Party (die dann 1988 mit den Liberalen fusionierte). Foots Nachfolger Neil Kinnock und Tony Blair brauchten Jahre, um Labour wieder zur wählbaren Alternative zu machen. Erst Blairs New-Labour-Projekt brachte 1997 den Wahlerfolg und 13 Jahre an der Regierung. Doch der Glanz von New Labour ist stumpf geworden in der Finanzkrise, die Großbritannien hart getroffen hat. Dass Corbyn im vorigen Jahr siegte, geht auch darauf zurück. Doch gelten weiterhin viele Labour-Politiker in Westminster als „Blairites“", also als Anhänger einer wirtschaftsfreundlichen, auf die politische Mitte zielenden Parteistrategie. Corbyn steht für eine andere Politik, er will die Stimme der Abgehängten sein, die in der Ära Blair nicht zu den Gewinnern gehörten. Damit hat Corbyn die Basis ordentlich aufgemischt, nach seinem Sieg wuchs die Zahl der Mitglieder massiv, weshalb er in der Urabstimmung, die jetzt beginnt und deren Ergebnis Ende September vorliegen soll, als Favorit gilt. Zwar konnte das Exekutivkomitee der Partei, das Corbyn nicht zuneigt, vor Gericht seinen Beschluss durchsetzen, dass die 130<ET>000 seit Januar eingetretenen Mitglieder nicht abstimmen dürfen – ein Teil des Machtkampfes, der von beiden Seiten mit Tricks und Täuschungen geführt wird. Doch gab es auch die Möglichkeit, durch einen Beitrag von 25 Pfund als Labour-Unterstützer für die Abstimmung registriert zu werden, was 180000 Briten nutzten, darunter offenbar viele Corbyn-Fans. Deren Teilnahme hat das Gericht nicht untersagt.

Kann Corbyn auch eine Unterhauswahl gewinnen?

Im Zentrum des Führungsstreits steht die Frage, ob Labour unter Corbyn eine Unterhauswahl gewinnen kann. Der Parteichef fühlt sich durch den Zuwachs und den Zuspruch an der Basis bestätigt, wo auch viele Jüngere sehr aktiv für ihn kämpfen. Zudem hat Labour in seiner Amtszeit alle Nachwahlen gewonnen. Corbyn gelingt es derzeit mühelos, bei Redeauftritten Tausende Anhänger zu mobilisieren. Parteivize Tom Watson, ein Corbyn-Gegner, sieht freilich auch „trotzkistische Infiltration“ am Werk, so wie einst in der Ära Foot, als extreme Linke sich aufgerufen fühlten, in der Partei mitzumischen. Der Labour-Großspender Michael Foster spricht im Zusammenhang mit den Unterstützern des Parteichefs gar von Corbyns "Sturmabteilung".

Das Smith-Lager schaut auf die Umfragen und hat Zweifel. Corbyn kommt auf noch schlechtere Werte als einst Foot, der Zuspruch für Labour ist im Juli eingebrochen und liegt nur noch bei 29 Prozent. Viele Labour-Wähler scheinen ausgerechnet zu den Tories abgewandert zu sein, die jetzt bei 40 Prozent liegen. Das dürfte mit dem Brexit-Votum zu tun haben - gerade in traditionellen Labour-Regionen, vor allem im Norden Englands, war der Anteil der Brexit-Befürworter sehr hoch. Hier kam eine latente Europa-Skepsis unter vorwiegend älteren Arbeitnehmern mit geringem Bildungsgrad zusammen mit Furcht vor Zuwanderung und latenter Fremdenfeindlichkeit. Der Stimmung in der Labour-Wählerschaft dürfte daher ein stärker nationaler, anti-europäischer und wieder auf mehr auf Gewerkschaftsmacht und Arbeitnehmerrechte zielender Kurs der Partei entsprechen – dafür steht aber Corbyn eher als Smith, der sich deshalb bemüht, den programmatischen Unterschied nicht zu sehr zu betonen. Ob es bei einem Sieg für Corbyn wieder zur Spaltung kommt, wie 1981, ist unklar. Aber auf Dauer hält eine Partei es wohl nicht aus, dass zwischen der personalpolitischen (und auch programmatischen) Präferenz der Mehrheit der Basis und den Ansichten der Mehrheit ihrer Parlamentsfraktion eine zu große Diskrepanz herrscht.

Zur Startseite