Labour-Chef: Auch Brexit-Gegner Corbyn will EU "dramatisch ändern"
Jeremy Corbyn ist "kein Liebhaber der Europäischen Union". Im Fernsehen tritt der Labour-Chef trotzdem für den britischen Verbleib ein - und fordert Reformen auch ohne Brexit.
Der britische Labour-Chef Jeremy Corbyn hat kurz vor dem historischen EU-Referendum klar für eine weitere Mitgliedschaft Großbritanniens in der Union geworben, dabei aber nicht mit Kritik an Brüssel gespart. „Ich bin kein Liebhaber der Europäischen Union“, sagte Corbyn am Montagabend in einer Live-TV-Sendung vor ausgewählten jungen Studio-Gästen. „Wenn wir in der EU bleiben, muss sie sich dramatisch ändern“, erklärte er. „Sie muss viel demokratischer werden, viel mehr Rechenschaft ablegen.“
Die Briten stimmen am Donnerstag darüber ab, ob ihr Land die EU verlassen soll oder nicht. Letzte Umfragen gehen dabei von einem Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen beiden Lagern aus. Allerdings gibt es auch immer noch eine hohe Zahl von unentschlossenen Wählern.
Corbyn war während des Wahlkampfes vorgeworfen worden, er habe sich nicht ausreichend für die Sache der Brexit-Gegner eingesetzt. Zu selten habe man ihn auf Wahlkampfveranstaltungen gesehen - und nie zusammen mit Premierminister David Cameron. Kritiker meinten gar, der Labour-Chef täusche seine Unterstützung für einen Verbleib in der EU nur vor, hoffe aber in Wirklichkeit auf einen Brexit.
Diesem Eindruck konnte der Labour-Chef im Fernsehstudio mit Café-Atmosphäre trotz deutlicher Kritik an der EU entgegenwirken. Auch wenn er dabei hin und wieder wirkte wie ein Professor, der seine Studenten zum Semesterende in die Kneipe eingeladen hat. EU-Arbeitszeitrichtlinie, EU-Regeln zu Staatshilfen für kriselnde Branchen - Corbyn referierte höchst detailreich über EU-Recht.
Corbyn lobt Merkels Flüchtlingspolitik
In der Flüchtlingskrise attestierte der Labour-Chef der EU großes Versagen. Nur Deutschland habe sich richtig verhalten. Kanzlerin Angela Merkel lobte er dabei ausdrücklich. „Ich habe sie noch nie getroffen“, aber er würde sich darüber freuen, sagte er. Man könne Probleme wie den Klimawandel und die Flüchtlingskrise nicht als einzelner Staat angehen. Nur gemeinsam könne man Lösungen finden, so Corbyn.
Über die Frage, ob Großbritannien innerhalb oder außerhalb der EU „besser wegkomme“, sprach Corbyn im Gegensatz zu anderen Politikern beider Lager überhaupt nicht. Stattdessen betonte er: „Wir müssen unseren Wohlstand teilen und die Lebensverhältnisse und Arbeitsverhältnisse auf dem ganzen Kontinent verbessern.“ Wie man die Zuwanderung aus der EU begrenzen könne, wollte ein Zuschauer wissen. Corbyn entgegnete: Wer die Arbeitnehmerfreizügigkeit abschaffen wolle, begreife nicht, worum es im europäischen Binnenmarkt gehe.
Dienstagabend trifft Boris Johnson auf Sadiq Khan
Das Publikum hatte der Sender Sky News auschließlich mit unter 35-Jährigen besetzt. Junge Wähler gelten als EU-freundlich, gehen aber nicht häufig zur Wahl. Ob Corbyn mit dem TV-Auftritt ausreichend Labour-Anhänger überzeugen konnte, bleibt abzuwarten. Die Umfragen gehen bei dem Referendum am 23. Juni von einem knappen Ergebnis aus.
Neben Corbyn trommelt auch der kürzlich zum Londoner Bürgermeister gewählte Labour-Politker Sadiq Khan gegen den Brexit. Er tritt am Dienstag in einem TV-Duell gegen seinen Amtsvorgänger Boris Johnson und andere Brexit-Befürworter an. Im Gegensatz zu Corbyn hat Khan keine Berührungsängste mit politischen Gegnern. Er trat im Wahlkampf auch Seite an Seite mit Premierminister Cameron auf. Im TV-Duell Abend ist Khan der prominenteste Fürsprecher einer weiteren EU-Mitgliedschaft.