Nach Sturm aufs Kapitol: Maas will mit USA „Marshallplan für Demokratie“ erarbeiten
Auf Initiative des Außenministers entstand 2019 die „Allianz für Multilateralismus“ mit 60 Staaten. Nun bietet Maas den USA Hilfe im Kampf gegen Extremismus an.
Nach dem Sturm auf das Kapitol in Washington hat Bundesaußenminister Heiko Maas den USA eine engere Zusammenarbeit im Kampf für die Demokratie angeboten. „Wir sind bereit, mit den USA an einem gemeinsamen Marshallplan für die Demokratie zu arbeiten“, sagte der SPD-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. „Wir dürfen den Feinden der liberalen Demokratie keinen Raum geben. Das gilt nicht nur in den USA, sondern genauso bei uns in Deutschland und Europa.“
Mit seinem Vorstoß handelte sich Maas Kritik des Koalitionspartners ein. Der stellvertretende CDU/CSU-Fraktionschef im Bundestag, Johann David Wadephul, warnte vor Belehrungen des Nato-Partners USA. Zwar sei die Analyse richtig, dass jede Krise der Demokratie in den USA auch Auswirkungen auf Deutschland habe, sagte der CDU-Politiker. „Wir sollten gegenüber der ältesten westlichen Demokratie aber nicht als Oberlehrer auftreten.“
Am Mittwoch drangen Trump-Anhänger ins Kapitol ein
Am Mittwoch waren Proteste wütender Anhänger Trumps in der Hauptstadt Washington eskaliert und hatten das politische Zentrum der USA zeitweise in beispielloses Chaos gestürzt. Maas, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatten den scheidenden US-Präsidenten Donald Trump bereits am Donnerstag mitverantwortlich für die Gewalt gemacht. Der künftige Präsident Joe Biden, der am 20. Januar vereidigt werden soll, hatte selbst von einem beispiellosen Angriff auf die Demokratie gesprochen.
Maas sagte Biden zu, dass er sich im Kampf für die Demokratie auf Deutschland verlassen könne. „Ohne die Demokratie in den USA, keine Demokratie in Europa“, sagte er. „Die gesellschaftliche Spaltung in unseren Ländern bei den Wurzeln zu packen, darin liegt eine der größten Zukunftsaufgaben für Amerikaner und Europäer.“
Was ein „Marshallplan für Demokratie“ beinhalten könnte, blieb zunächst unklar. Maas verwies darauf, dass Biden genauso wie Deutschland eine stärkere Zusammenarbeit demokratischer Staaten anstrebe: Er habe die Bildung eines Netzwerks der Demokratien angekündigt; die von Deutschland initiierte „Allianz für den Multilateralismus“ ziele in eine ähnliche Richtung. „Den Glauben an den Zusammenhalt, an die Demokratie als menschlichste Staatsform und an die Überzeugungskraft von Wissenschaft und Vernunft werden wir nur gemeinsam bewahren können“, sagte der SPD-Politiker. Dafür gebe es im 21. Jahrhundert keine besseren, engeren, natürlicheren Partner als Amerika und Europa.
Biden plant „globalen Gipfel für Demokratie“
Biden hatte im Wahlkampf für das erste Jahr seiner Amtszeit einen „globalen Gipfel für Demokratie“ angekündigt, um der Bedrohung gemeinsamer Werte demokratischer Staaten durch autoritäre Tendenzen etwas entgegenzusetzen. Dabei soll es unter anderem um Schutz von Menschenrechten, die Sicherung von Wahlen und Korruptionsbekämpfung gehen.
[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Maas hat mit der „Allianz für Multilateralismus“ 2019 ein Netzwerk von inzwischen etwa 60 Staaten ins Leben gerufen, die in unterschiedlichen Zusammensetzungen zu verschiedenen Themen zusammenarbeiten. Er will seine Initiative bewusst nicht als feste Staatengruppe mit Gipfeltreffen wie die G7 oder G20 verstanden wissen, sondern als losen und flexiblen Zusammenschluss von Ländern, die sich für internationale Kooperation und internationale Institutionen stark machen.
Deutschland profitierte nach dem Krieg vom Marschallplan
Der Außenminister wirbt seit dem Wahlsieg Bidens über Trump am 3. November für einen Neuanfang in den transatlantischen Beziehungen. Auch dafür hatte er sich bereits einen historisch besetzten Begriff ausgesucht und spricht nun von einem „New Deal“ zwischen Europa und den USA. In Amerika denkt man dabei an die Wirtschafts- und Sozialreformen aus den 1930er Jahren, mit denen US-Präsident Franklin D. Roosevelt auf die Weltwirtschaftskrise reagierte.
Nun soll also auch noch ein Marshallplan her. Mit dem nach dem damaligen US-Außenminister George C. Marshall benannten Programm förderten die USA nach dem Zweiten Weltkrieg den Wiederaufbau europäischer Staaten. Die Bundesrepublik Deutschland profitierte besonders stark davon.
Solche Schlagwörter gefallen nicht jedem. „Wieder einmal hat sich der Außenminister eine griffige Überschrift ausgedacht, unter der sich nur gähnende Leere findet“, kritisiert der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour. „Das nächste Mal ruft er wahrscheinlich den „Westfälischen Frieden für das Mittelmeer“ aus.“
„Nicht Außenpolitik, sondern Phrasendrescherei“
Auch Nouripour betont, dass die USA keinen Nachhilfeunterricht in Demokratie bräuchten. Wenn US-Außenminister Mike Pompeo Deutschland Hilfe in Sachen Demokratie angeboten hätte, nachdem Demonstranten auf die Treppen vor dem Reichstagsgebäude vorgedrungen waren, „wir hätten ihn alle in der Luft zerrissen“, sagt er.
[Mit dem Newsletter „Twenty/Twenty“ begleiten unsere US-Experten Sie jeden Donnerstag durch die Präsidentschaft Joe Bidens. Hier geht es zur kostenlosen Anmeldung: tagesspiegel.de/twentytwenty.]
Kritik an Maas kommt auch von der FDP. Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff warf dem Außenminister vor, er betreibe „nicht Außenpolitik, sondern Phrasendrescherei“. Lambsdorff fügte hinzu: „Der Begriff ist vollkommen fehl am Platze, schließlich haben die demokratischen amerikanischen Institutionen seit dem 3. November immer wieder bewiesen, dass sie widerstandsfähig, rechtsstaatlich und verfassungstreu sind.“
Wadephul meint, dass es für einen Neuanfang in den transatlantischen Beziehungen wichtiger sei die Bereitschaft zu zeigen, außen- und sicherheitspolitisch Verantwortung zu übernehmen. Das könne er bei der SPD und besonders bei ihrem Fraktionschef im Bundestag, Rolf Mützenich, bisher nicht erkennen, der eine „Anti-Haltung zu Nato und USA“ an den Tag gelegt habe. „Eine Allianz für den Multilateralismus wird nur funktionieren, wenn Deutschland außer guten Worten Taten beiträgt“, sagt Wadephul.
Auch Südafrika bietet den USA Hilfe an
Mützenich hatte sich für eine stärkere Abkoppelung von den USA und einen Abzug der Atombomben aus Deutschland stark gemacht. Maas hat sich allerdings mehrfach davon abgegrenzt zur Beteiligung Deutschlands an der nuklearen Abschreckung der Nato bekannt.
Maas ist mit seinem Angebot allerdings nicht ganz allein. Auch Südafrika bot am Wochenende Hilfe an. „Wenn sie wirklich etwas von uns lernen wollen, sind wir bereit, unsere Erfahrung mit ihnen zu teilen“, sagte Staatspräsident Cyril Ramaphosa dem Staatssender SABC. Zu Beginn der demokratischen Ära in den 90ern habe sein Land es geschafft, eine „sehr schwierige Situation zu navigieren“.
Damals, so sind sich viele Historiker heute einig, stand Südafrika am Rand eines Bürgerkriegs: Der Kampf zwischen dem ANC, der Apartheid-Polizei und afrikanischen Fundamentalisten forderte Tausende Tote vor allem in Townships. 1994 führte Nelson Mandela die Nation in die Demokratie. Ramaphosa sei „erfreut“ gewesen, von zumindest einem US-Politiker zu hören, man könne von Nelson Mandela lernen. Den USA wünschte er „Glück“ auf ihrem weiteren demokratischen Weg. (dpa, KNA)