Von Donald Trump zu Joe Biden: Wer vergeben will, darf nicht vergelten
Wie geht das zusammen: die Republikaner zur Rechenschaft ziehen - und sich mit ihnen aussöhnen? Das klingt wie eine Entweder-oder-Entscheidung. Ein Kommentar.
Diese Bande muss zur Rechenschaft gezogen werden: Das ist, zumal nach dem Sturm aufs Kapitol, ein starker und verständlicher Impuls. Wer gehört zu dieser Bande? Da ist zunächst der Mann an der Spitze, Donald Trump, Hetzer und Hasser, Lügner und Rassist. Dann sein Vize Mike Pence, der ihm vier Jahre lang loyal ergeben war. Dann Mitch McConnell, der Mehrheitsführer der Republikaner im Senat – auch er ein williger Komplize. Dann William Barr, der ehemalige Justizminister, in seiner Rolle als Anwalt des Präsidenten. Und, und, und.
Es wirkt wie Heuchelei, wenn sich jetzt immer mehr Mitglieder dieser Bande von ihrem Chef distanzieren. Ganz plötzlich entdecken sie ihr demokratisches Gewissen. Späte Reue soll ihre Kumpanei vergessen machen. Späte Anstandsrhetorik soll Läuterung suggerieren. Nein, keiner soll sich aus der Verantwortung stehlen dürfen. Zur Aufarbeitung von Trumps Präsidentschaft gehören äußerstenfalls auch Prozesse und Strafen. Einerseits.
Ein Netz von Kollaborateuren wurde geschaffen
Andererseits hat Joe Biden versprochen, die Wunden zu heilen, die Spaltung des Landes zu überwinden, die zerstrittenen Lager zu einen, den Geist der Überparteilichkeit zu beleben, mit dem einstigen Gegner Kompromisse zu schließen. Das war sein zentrales Wahlkampfversprechen, an dessen Erfüllung er sich als Präsident werde messen lassen. Wie geht das zusammen: Rechenschaft und Aussöhnung? Es klingt wie eine Entweder-oder-Entscheidung.
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Vier Jahr Trump haben ein Netz von Kollaborateuren geschaffen, das weit mehr Menschen umfasst als eine Handvoll Intriganten, Opportunisten und Demagogen. Da sind die republikanischen Senatoren, die Trumps Amtsenthebung verhinderten, da sind die Abgeordneten im Repräsentantenhaus, die Trumps Botschaften verteidigten, da sind die rechten Medien, die Trumps Verschwörungsmythen verbreiteten, außerdem die sozialen Dienste, die ihn nach Belieben twittern ließen.
Und schließlich sind da die mehr als 74 Millionen Amerikaner, die Trump am 3. November zu einem Rekordergebnis verhalfen. Keiner konnte sich noch über das Wesen von dessen Regentschaft täuschen. Dennoch glaubt knapp die Hälfte von Trumps Wählern an die Mär, dass der Wahlsieg Bidens durch Fälschungen und Betrug zustande kam.
Aus Machtfülle kann Verfolgungseifer entstehen oder Großherzigkeit
Ein solches Netz lässt sich kaum zur Rechenschaft ziehen, ohne das Ziel einer Befriedung des Landes und seiner Bewohner aufzugeben. Als in Südafrika in den 1990er Jahren die Wahrheits- und Versöhnungskommission gegründet wurde, galt die Devise, dass wer bekennt und bereut, amnestiert wird. Doch die Analogie hinkt etwas. Weder wurden in den USA Verbrechen verübt wie im Apartheidsregime, noch haben Wähler der Republikaner ein entsprechendes Unrechtsbewusstsein. Was sich allerdings ähnelt, ist der Anspruch, zwischen Vergebung und Aufarbeitung einen Ausgleich zu finden.
Das kann nur gelingen, wenn aus Entweder-Oder ein Sowohl-als-auch gemacht wird. Die Demokraten sitzen künftig im Weißen Haus und haben die Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses. Aus solcher Machtfülle kann Verfolgungseifer entstehen oder Großherzigkeit. Wenn Biden an seinem Versöhnungsversprechen festhalten will, muss er ohne Zorn Recht walten lassen und ohne Bitternis Republikanern eine zweite Chance geben. Die Aufarbeitung der Trump-Jahre ist der erste Test auf seine eigene Kompromissfähigkeit.