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Bundesaußenminister Heiko Maas, SPD, spricht im Rahmen der Lateinamerika-Konferenz im Auswärtigen Amt.
© Fotot: Florian Gaertner / photothek.net

"Wir müssen Nachbarn werden": Maas will Lateinamerika enger an Deutschland binden

Trumps USA und ein weltweit an Einfluss gewinnendes China bereiten Sorge - daher umwirbt Deutschland nun eine fast vergessene Region.

Heiko Maas ist etwas spät dran. So wie auch Deutschland vielleicht in Lateinamerika, wo China rasant an Einfluss gewinnt und Milliardengeschäfte macht. Maas hat Minister und Vizeminister aus 29 Staaten der Region zum Frühstück eingeladen, es gibt viel zu besprechen. Das dauert etwas länger als geplant, bevor es rüber in den Weltsaal geht. Die schwarze Wagenkolonne am Auswärtigen Amt ist stattlich, die Fahnen am roten Teppich reichen geographisch von Mexiko bis Argentinien.

Der Außenminister, der bisher noch sein großes Thema sucht, hat nun einen alten Verbündeten wiederentdeckt. Im 250. Geburtsjahr des großen Amerikareisenden Alexander von Humboldt will Maas mit dieser Konferenz das Bündnis mit den Staaten Lateinamerikas und der Karibik stärken. „Wir müssen enger zusammenrücken. Wir müssen Nachbarn werden in dieser neuen Welt.“

Und er zählt auf, warum: „China nutzt seine wirtschaftliche Macht immer offensiver als politisches Druckmittel - auch in unseren Regionen." Man registriert wie China bei internationalen Abstimmungen zum Thema Menschenrechte auch Staaten aus Lateinamerika versucht auf seine Seite zu ziehen. Russland schaffe mit militärischer Gewalt politische Fakten, betont Maas. Und die USA, eigentlich eine tragende Säule der internationalen Ordnung, seien unberechenbarer geworden. "Denken wir nur an den Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen oder die protektionistische Handelspolitik."

Es geht um ein Voneinanderlernen, mehr Kooperation

Was Gabriel García Márquez in seiner Nobelpreis-Rede einst als die „Einsamkeit Lateinamerikas“ beschrieben habe – nämlich eine Welt, in der die Schwächeren von den Stärkeren an den Rand gedrängt werden –, sei heute längst nicht mehr nur eine lateinamerikanische Sorge. Die Bundesregierung sucht neue Verbündete, gerade für die globalen Themen Digitalisierung, Klimaschutz und Migration. Es geht um ein Voneinanderlernen, mehr Kooperation, auch auf UN-Ebene. „Der Ansatz Mexikos etwa, Migration humaner zu gestalten, interessiert auch uns.“ Bei der Konferenz ist aber zum Beispiel auch Boliviens Außenminister Diego Pary, das Land hat riesige Lithiumvorkommen, das "weiße Gold" wird für die Elektroauto-Batterien gebraucht. Zudem zeigt La Paz wie die CO2-freie Mobilität der Zukunft aussehen kann. Mit österreichischer Hilfe wurde zwischen dem auf 4100 Meter gelegenen El Alto, einer Millionenstadt und dem wenige Kilometer entfernt im Talkessel liegenden La Paz (3600 Meter Höhe) das größte urbane Seilbahnnetz der Welt geschaffen.

Auf jeden Fall will man sich trotz der räumlichen Distanz wieder stärker austauschen, es geht um Chancen und Kooperationen jenseits alter Klischees. "Geographie ist Schicksal. So oder so ähnlich haben uns Geopolitiker von Henry Kissinger bis zu Robert Kaplan dies in den letzten Jahrzehnten beigebracht", sagt Maas in seiner Rede. "Von den Wüsten Mexikos, Perus oder Chiles, über die Regenwälder des Amazonas bis zu den schneebedeckten 6000‘ern der Anden - die geographischen Unterschiede könnten kaum größer sein. Und dennoch haben Geschichte, Kultur, politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen dafür gesorgt, dass besondere Verbindungen entstanden sind zwischen Ihren Ländern", betont er mit Blick auf die Vielfalt dieses Doppelkontinents. Gerade heute, in Zeiten der Digitalisierung und globaler Handelsströme spiele Geografie aber eine weniger starke Rolle. "Zwischen uns liegt der Atlantik: Aber wir teilen viele Werte und Interessen, wir leben in den am stärksten demokratisierten Regionen der Welt, wir sind uns kulturell eng verbunden und wir bekennen uns zu internationalen Regeln, zu Menschenrechten, zu wirtschaftlicher Offenheit, zu fairen Sozial- und Umweltstandards", betont Maas.

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) trifft den Außenminister von Bolivien, Diego Pary, im Rahmen der Lateinamerika-Konferenz im Auswärtigen Amt.
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) trifft den Außenminister von Bolivien, Diego Pary, im Rahmen der Lateinamerika-Konferenz im Auswärtigen Amt.
© Xander Heinl / photothek

Das mag aber nicht auf alle Staaten der Region zutreffen, aber das V-Wort, Venezuela, wird tunlichst vermieden. Deren Außenminister Jorge Arreaza war als Einziger nicht eingeladen, weil Deutschland Parlamentspräsident Juan Guaidó als Interimsstaatschef anerkannt hat. Der Linken-Politiker Andrej Hunko, der jüngst von dem sozialistischen Präsident Nicolás Maduro empfangen wurde, betont am Rande der Konferenz: „Der Elefant Venezuela ist hier im Raum.“ Es sei ein fatales Signal, die Konferenz unter Ausschluss Venezuelas abzuhalten, während zeitgleich Norwegen Gespräche zwischen Arreaza und der Opposition zur Lösung der Krise vermittele. „Das ist Diplomatie.“ Deutschland habe sich durch die Parteinahme für Guaido einer Vermittlerrolle beraubt.

Wie weiter mit Brasilien?

Ein besonderes Signal kommt von Siemens-Chef Joe Kaeser, der auf die bereits 1,5 Millionen Flüchtlinge aus Venezuela verweist, die im Nachbarland Kolumbien leben. Er sagt der kolumbianischen Regierung bei der Konferenz eine mobile Klinik für die Flüchtlinge zu. Natürlich geht es auch um das Geschäft, Siemens baut Kraftwerkskomponenten und Züge für die Region, Daimler und VW Autos. Die Deutsche Wirtschaft setzt angesichts der Unsicherheiten im Handel etwa mit den USA (wegen der Zollpolitik von Donald Trump) verstärkt auf die Region, ujm bis zu 5 Prozent soll der Export wachsen. Maas will in der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 das seit 1999 diskutierte Freihandelsabkommen zwischen EU und dem südamerikanischen Mercosur-Verbund (Brasilien, Argentinien, Uruguay, Paraguay) abschließen - es wäre eine der größten Freihandelszonen der Welt.

Deutsche Unternehmen wollen die Mitarbeiterzahl in der Region auf bis zu 600.000 in diesem Jahr steigern. Bei der Konferenz wird auch ein großes Frauennetzwerk (Unidas), im Beisein der Hohen Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Michelle Bachelet. Zudem wurden bei einem Runden Tisch der Minister neue Kooperationen in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Forschung, Klimaschutz und Wirtschaft vereinbart. Es gibt viele Anknüpfungspunkte - die Frage ist nur, was folgt aus der Konferenz. Daran wird sich Maas messen lassen müssen.

Gerade Brasilien als größter Staat ist zu einem unsicheren Kantonisten geworden mit dem rechten Präsidenten Jair Bolsonaro. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen auf Eis gelegt. Dabei führt man sie mit einer Diktatur wie China auch fort – einige stellen im Weltsaal die Frage, ob man nicht verstärkt auf Brasilien zugehen solle, denn im letzten Jahr stieg die Abholzung des Amazonas-Regenwaldes um 13 Prozent, eine Fläche fast zehnmal so groß wie Berlin. Schon Humboldt habe auf seinen Reisen entdeckt, wie der Mensch das Klima beeinflusst, betont der SPD-Politiker.

Humboldt sei daraufhin "zum ersten Umweltschützer unseres Planeten" geworden. "Lateinamerika ist die grüne Lunge der Welt und deshalb unersetzlich als Partner im Kampf gegen den Klimawandel", betont Maas. Das Thema ist ja auch gerade in Deutschland wieder stärker in den Fokus gerückt, Stichwort Grünen-Höhenflug und Fridays for Future. Gerade die SPD will ihre tiefe Krise auch damit bekämpfen, indem sie etwas grüner wird.

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