Verwirrung um Grenzblockade: Lukaschenko spielt mit der Angst vor einem Krieg
Der Präsident behauptet, Litauen und Polen würden eine Intervention vorbereiten. Sein Innenminister verkündet bereits den Sieg über die Opposition.
Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko hatte sein Publikum an diesem Donnerstagabend mit Bedacht gewählt. Hunderte Frauen waren in einer Sporthalle in Minsk versammelt. Vor allem Frauen tragen seit nunmehr sechs Wochen die friedlichen Massenproteste gegen seine Herrschaft auf den Straßen des Landes tragen und trotzen der brutalen Gewalt der Sicherheitskräfte. Die Frauen in der Sporthalle dagegen jubelten Lukaschenko zu.
Dabei breitete der Präsident ein Schreckensszenario vor ihnen aus. Er habe die Grenzen zu Litauen und Polen schließen müssen. Lukaschenko verwendet seit Tagen das deutsche Wort „Blitzkrieg“ in seinen Reden für die Aktionen der Opposition. Die seien inzwischen gescheitert, behauptete der Präsident. Jetzt bereiteten sich die Nachbarn angeblich auf ein militärisches Eingreifen vor.
Die Nato habe Übles vor. Also: Abschottung, Grenzen zu. „Fast alles, was Lukaschenko sagt, ist Bluff, Spekulation oder der Versuch das öffentliche Bewusstsein zu manipulieren“, kommentierte die Zeitung „Belarus Partisan“ am Freitag. Der Chef der Grenztruppen ruderte auch kurz darauf zurück: Es gebe keine Blockade, sondern verschärfte Kontrollen.
Am Tag zuvor war der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu in Minsk. Über den Inhalt der Gespräche wurde nur mit nichtssagenden Floskeln informiert. Aber es kann als sicher gelten, dass es um die Umsetzung von Vereinbarungen ging, die Lukaschenko und der russische Präsident Wladimir Putin Montag in einem mehrstündigen Gespräch unter vier Augen im südrussischen Sotschi getroffen hatten.
In den russischen und belarussischen Medien ist in den vergangenen Tagen über die Details viel spekuliert worden. Klar ist, dass es dabei nicht nur um den von Putin versprochenen Kredit von 1,5 Milliarden Euro ging.
An das Geld seien keinerlei politische Bedingungen geknüpft, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow nach dem Treffen. Das mag formal stimmen, doch sein Chef, der Präsident, hatte zuvor unmissverständlich deutlich gemacht, was er von Lukaschenko erwartet: eine Verfassungsreform, die die Machtbalance in Minsk neu austariert. Außenminister Sergej Lawrow gab dann in einem Fernsehinterview einige Details des Sotschi-Gesprächs preis. Demnach habe Lukaschenko erklärt, „nach einer Verfassungsreform sei er bereit, vorgezogene Parlaments- und Präsidentenwahlen anzusetzen“. Wichtig sei Moskau, dass in diesen Reformprozess „Vertreter aller Schichten der belarussischen Gesellschaft“ einbezogen sind – auch Vertreter der Opposition.
Opposition geschwächt
Lawrow machte sogleich deutlich, wen er nicht als Opposition akzeptiert: die ins Exil gezwungene Swetlana Tichanowskaja. Die hält er für fremdgesteuert, sie spreche „nicht mit eigener Stimme“. Kürzlich habe sie doch die Sicherheitskräfte aufgefordert „auf die Seite des Gesetzes überzutreten“. Was sie meine, so Lawrow, das sei Eidbruch und Landesverrat, Tichanowskaja ein Fall für die Strafverfolgung. So wie deren Mitstreiterin Maria Kolesnikowa. Die 38-Jährige sitzt seit mehr als einer Woche in Untersuchungshaft. Am Mittwoch wurde sie nun wegen „Gefährdung der staatlichen Sicherheit“ angeklagt. Derzeit ist unklar, wie sehr es Lukaschenko bereits gelungen ist, die Oppositionsbewegung zu schwächen.
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Die Mitglieder des Koordinationsbüros sitzen entweder im Gefängnis oder sind ins Exil gezwungen. So sah sich Tichanowskaja in dieser Woche gezwungen, unter ihren Landsleuten um neue Mitglieder zu werben. Auch die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alixijewitsch, so etwas wie die moralische Instanz der Opposition, ist in großer Gefahr. In ihrer Wohnung halten sich deshalb zum Schutz abwechselnd Diplomaten aus EU-Staaten auf. Den Protestaktion fehlt auch eine einheitliche Koordinierung. Da ist nicht nur der Student Stepan Putilo, der seine Plattform Nexta von Warschau aus betreibt. Allein auf dem Telegram-Kanal herrscht ein Gewirr von Informationen – und nicht der Eindruck eines abgestimmten Vorgehens.
Lukaschenkos Innenminister triumphiert bereits. Das mit den Demonstrationen werde sich in Kürze erledigt haben, prophezeite er im Fernsehen. Andere in der Nomenklatura scheinen sich da nicht so sicher zu sein. Erst einmal wurden die gemeinsamen Manöver mit russischen Truppen um eine Woche verlängert. Dabei sind auch Fallschirmjäger-Einheiten, die auf der Krim Erfahrungen gesammelt haben. Seinen Sohn, der kürzlich noch mit einer automatischen Waffe an der Seite des Vaters auftrat, schickt der Präsident inzwischen in Moskau zur Schule, schrieb die russische Zeitung „Komsomolskaja Prawda“.