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Der Chef der Bewegung "Das unbeugsame Frankreich", der Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon
© Jean-Paul Pelissier/Reuters

Umfragehoch vor Präsidentschaftswahl: Linkspopulist Mélenchon will in Frankreich die Überraschung schaffen

Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon verzeichnet vor der Präsidentschaftswahl in Frankreich einen Aufwärtstrend - und rechnet sich Chancen für den Einzug in die Stichwahl aus.

Präsidentschaftswahlen in Frankreich lassen sich mit Bergetappen bei der Tour de France vergleichen. Bei den Radfahrern setzt sich in aller Regel irgendwann eine Führungsgruppe vom Feld ab, häufig kommt es auf den letzten Metern zum Zweikampf der zwei Bestplatzierten. Vor der Entscheidung über die Nachfolge des derzeit amtierenden Sozialisten François Hollande im Elysée-Palast passiert nun eineinhalb Wochen vor dem ersten Wahlgang genau das Gegenteil: Die Gruppe der aussichtsreichsten Kandidaten rückt in den Umfragen enger zusammen. Das liegt an einem Mann, der bis vor kurzem abgeschlagen schien: Der Radikallinke Jean-Luc Mélenchon hat inzwischen den Konservativen François Fillon überholt und sich auf den dritten Platz vorgearbeitet.

Wer Frankreichs nächster Staatschef wird, entscheidet sich erst kurz vor dem Ziel – bei der Stichwahl zwischen den beiden Bestplatzierten am 7. Mai. Dass aber gleich vier Kandidaten eine Chance auf einen Einzug in die zweite Runde haben, ist ein Novum in der jüngeren französischen Geschichte. Bei der letzten Wahl vor fünf Jahren zeichnete sich schon früh vor dem ersten Wahlgang in dem Umfragen ein Duell zwischen Hollande und seinem konservativen Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy ab. Im Jahr 2002, als es der Gründer des rechtsextremen Front National (FN), Jean-Marie Le Pen, in die Stichwahl schaffte, gab es zwei weitere aussichtsreiche Bewerber: den Gaullisten Jacques Chirac, der die Wahl am Ende gewann, und den Sozialisten Lionel Jospin.

Diesmal ist das Rennen noch unübersichtlicher als 2002. Nach einer Umfrage des Instituts Kantar Sofres-Onepoint liegen unter den elf Kandidaten die FN-Vorsitzende Marine Le Pen und der unabhängige Kandidat Emmanuel Macron mit jeweils 24 Prozent vorn, gefolgt von Mélenchon (18 Prozent) und dem wegen einer Scheinbeschäftigungsaffäre angeschlagenen Fillon (17 Prozent). Am Montagabend hatte die Enthüllungsplattform „Mediapart“ ein weiteres Detail aus der „Penelopegate“-Affäre veröffentlicht, die Fillon schon seit Monaten verfolgt. Nach den Angaben von „Mediapart“ hatte Fillon seine Ehefrau Penelope bereits ab 1982 als parlamentarische Referentin bezahlt. Bislang hatte Fillon angegeben, dass erst ab dem Jahr 1986 Geld an seine Frau geflossen sei. Penelope Fillon steht im Verdacht, das Geld aus der Parlamentskasse ohne eine nennenswerte Gegenleistung erhalten zu haben.

Der Radikallinke Mélenchon hat seinerseits den Aufwärtstrend in den Umfragen nicht nur der Tatsache zu verdanken, dass sein direkter Konkurrent Fillon wegen des Skandals angeschlagen ist. Auf viele Franzosen machte der Gründer der französischen Linkspartei, der bis 2008 der Partei der Sozialisten angehörte, bei den Fernsehdebatten der Kandidaten einen überzeugenden Eindruck. Der Sohn einer Grundschullehrerin, der über große didaktische Fähigkeiten verfügt, warb eindrucksvoll für seine Ideen einer „sechsten Republik“. Wenn es nach Mélenchon geht, dann soll mit ihm als Staatschef eine verfassunggebende Versammlung einberufen werden, welche ein neues System mit einem gestärkten Parlament schaffen soll. Es soll die von Mélenchon so bezeichnete „Präsidial-Monarchie“ ersetzen.

Der Ex-Trotzkist Mélenchon hat aber noch eine andere Seite – die eines linken Volkstribuns. In der Europapolitik verfolgt der Chef der Bewegung „La France insoumise“ („Das unbeugsame Frankreich“) Vorstellungen, die gar nicht so weit von denen der FN-Chefin Le Pen entfernt sind. Der Linkspopulist Mélenchon, der in der Vergangenheit immer wieder als scharfer Kritiker des deutschen Kurses in der Europäischen Union auftrat, will die EU-Verträge neu verhandeln. Am Ende der Verhandlungen soll nach den Vorstellungen Mélenchons ein Referendum stehen. Sollten die gewünschten Neuverhandlungen scheitern, sieht Mélenchons „Plan B“ einen Austritt Frankreichs aus der EU vor.

Unterdessen ging auch am Dienstag die Debatte um eine verbale Entgleisung weiter, mit der Marine Le Pen am Wochenende die Mitschuld Frankreichs für die Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg wieder in Frage gestellt hatte. Le Pen hatte erklärt, dass das Vichy-Regime, das 1942 in Paris an der Deportation Tausender Juden beteiligt war, nicht Frankreich repräsentiert habe. Dagegen hatte sich der damalige Präsident Chirac 1995 für die Polizeirazzia von 1942 entschuldigt und erklärt, dass Frankreich damals „seine Schutzbefohlenen ihren Henkern“ ausgeliefert habe. Die Bewertung der Polizeirazzia von 1942 durch Marine Le Pen stelle „die Verweigerung einer historischen Gewissensprüfung“ dar, hieß es in einem Kommentar der Zeitung „La Croix“.

Gleichzeitig versuchte Le Pen, den Brand in einem Flüchtlingslager zwischen Calais und Dünkirchen für ihre Zwecke zu nutzen. Dem Feuer in dem Camp von Grande-Synthe, das von Bewohnern des Lagers in der Nacht zum Dienstag gelegt wurde, waren Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Afghanen vorausgegangen. Der Brand in dem Flüchtlingslager sei ein Zeichen „für das große Flüchtlingschaos, das unser Land seit Jahren erschüttert“, erklärte die FN-Vorsitzende. Sie kündigte an, dass im Fall ihres Wahlsieges sämtliche Flüchtlingslager geräumt und illegale Einwanderer außer Landes gebracht würden.

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