Frankreich vor den Wahlen: „Die Dynamik für Le Pen reicht nicht aus“
Der französische Meinungsforscher Jérôme Fourquet spricht im Interview über die Aussichten der Kandidaten bei Präsidentschaftswahl in Frankreich und das Verhältnis der AfD zum Front National.
Herr Fourquet, seit Trump und Brexit fragen sich alle, wie zuverlässig Umfragen sind. Wie sehen Sie das mit Blick auf die französischen Präsidentschaftswahlen?
Die Situation ist nicht vergleichbar. Wir verfolgen den Front National (FN) schon seit 30 Jahren, im Gegensatz zu Trump und Brexit ist das nichts Neues und besser einzuschätzen. Außerdem waren beim Brexit und bei Trump die Unterschiede Pro-Brexit und Anti-Brexit und Pro- Trump und Pro-Clinton ganz knapp. Das ist in Frankreich nicht der Fall. In der Stichwahl liegen sowohl Emmanuel Macron als auch François Fillon beide weit vor Marine Le Pen mit etwa 60 zu 40 Prozent.
Können Sie sich trotzdem täuschen wie bei Trump und Brexit?
Die Dynamik von Marine Le Pen ist natürlich sehr groß. Sie könnte in der Stichwahl auf 35 bis 40 Prozent kommen. Aber um 50 Prozent zu übersteigen und als Präsidentin gewählt zu werden, reicht die Dynamik nicht aus.
Werden sich Trump und Brexit auf die Umfragen beziehungsweise die Wahl in Frankreich auswirken?
Beides ist noch frisch. Beim Brexit ist es noch schwer zu sagen, ob das eine Katastrophe wird oder nicht. Die Wähler können noch schwer beurteilen, ob ein Ausstieg aus der EU positive oder negative Auswirkungen für Großbritannien hat.
Wie kann man den schnellen Aufstieg von Emmanuel Macron erklären? Vor drei Jahren war er noch unbekannt.
Das ist tatsächlich eine Premiere, bedingt durch seine Persönlichkeit und die Umstände: In Umfragen sagten 65 bis 70 Prozent der Franzosen, dass sie sich eine große Koalition wie in Deutschland wünschen. Das ist in Frankreich durch das Wahlsystem aber schwer zu erreichen. Macron stellt allerdings die Verbindung von rechts und links dar. Außerdem spielte ihm die Schwäche der Sozialisten in die Hände und bei den Konservativen der Skandal um François Fillon.
Bedeutet der schnelle Aufstieg von Macron eine Unsicherheit für die Wahl?
Das Wachstum ist schnell und wackelig. Einer von zwei Wählern ist nicht sicher, ob er wirklich für Macron stimmen will. Doch drei von vier Wählern wissen sicher, dass sie Le Pen wählen wollen. Da kann es schon noch Überraschungen geben. Die Politiker, die zu Macron überlaufen, konsolidieren aber seine Position. In der Stichwahl dürften sich wie üblich alle sammeln, um gegen den Front National zu stimmen – egal für wen.
Was könnte Marine Le Pen noch mehr Stimmen bringen, was weniger?
Mehr Stimmen könnten ihr große gewaltsame Ereignisse bringen wie die Unruhen in den Vorstädten vor einigen Wochen oder Terroranschläge. Aber selbst das dürfte sie nicht sehr viel weiter bringen. Bei den Regionalwahlen kurz nach dem 13. November 2015 konnte der FN nur zwei Prozentpunkte zulegen. Stimmen kosten könnten sie große Fehler. Oder neue Enthüllungen, neue Affären.
Aber bisher haben die Affären Le Pen in Umfragen doch gar nicht geschadet, Fillon dagegen schon. Warum ist das so?
Dafür gibt es zwei Gründe: Die Affäre um Marine Le Pen wird als weniger schwerwiegend angesehen. Ihr wird vorgeworfen, dass ihre Mitarbeiter von der EU bezahlt wurden, aber für den FN gearbeitet haben. Bei Fillon dagegen handelt es sich um persönliche Bereicherung. Außerdem steht die Wählerschaft von Le Pen anders dazu. Wenn Le Pen von Brüssel oder den politischen Eliten attackiert wird, heißt es, sie wird vom System schlecht behandelt. Das passt in ihre Strategie. Le Pen dreht den Spieß um: Wenn sie angegriffen wird, sagt sie, das System wolle ihr den Weg versperren.
Sollte sie auf 36 Prozent im 2. Wahlgang kommen, hätte Le Pen doppelt so viel wie ihr Vater Jean-Marie Le Pen im Jahr 2002 bei den Präsidentschaftswahlen. Wie konnte es dazu kommen?
Die Jahre unter Präsident François Hollande sind schlecht gelaufen. Terror, Immigration und Sicherheitsprobleme waren Treibstoff für Le Pen. Die wirtschaftliche und soziale Situation hat sich nicht verbessert. Die Arbeitslosigkeit hat zugenommen. Und Marine Le Pen konnte viel mehr Frauen für sich gewinnen als ihr Vater. Lag der Anteil der Männer, die FN wählten, unter dem Vater bei 20 Prozent, waren es bei den Frauen nur zehn Prozent. Marine Le Pen konnte den Anteil erheblich steigern, es gibt nur noch einen Unterschied von drei oder vier Prozentpunkten zwischen Männern und Frauen. Vor allem Frauen, die sich wirtschaftlich benachteiligt fühlen, tendieren zum FN – ebenso wie die Männer.
Marine Le Pen zeigt eine ausgeprägte Anti-Europa-Haltung. Wie kommt sie damit an?
Die Anti-Europa-Haltung ist weniger das Problem, denn das Image von Europa ist in Frankreich nicht sehr gut. Einen Ausstieg aus dem Euro und ein Zurück zur Landeswährung zu vertreten, ist riskanter. Vor allem, weil es noch kein Beispiel dafür gibt, wie das ablaufen kann.
Derzeit sieht es ganz nach einem Duell zwischen Macron und Le Pen aus. Hat Fillon noch Chancen?
Kaum, es sind nur noch wenige Wochen bis zur Wahl. Und es kommen immer neue Details über Affären von Fillon zum Vorschein. Er hält sich trotzdem noch bei rund 20 Prozent, das sind seine treuen Wähler. Aber es dürfte schwer für ihn werden, auf 25 Prozent zu kommen und damit die Stichwahl zu erreichen.
Im Wahlkampf geht es offenbar nicht mehr um die Entscheidung zwischen rechts oder links. Um was geht es jetzt?
Es gibt Gewinner und Verlierer der Globalisierung, die Nationalisten stehen den Globalisten gegenüber. Überall zeigt sich, in Österreich, den USA oder Frankreich, dass die weniger Gebildeten – auch in der Mittelklasse – zu den Nationalisten tendieren. Marine Le Pen stellt sich als Patriotin und Nationalistin, als Globalisierungsgegnerin da. Macron ist für Europa, die Globalisierung und befürwortet Angela Merkels Einwanderungspolitik. Le Pen und auch die AfD in Deutschland sehen die Zuwanderung als einen Verlust der Kontrolle in Zeiten der Globalisierung. Es geht immer um das Bild der Mauer, offene oder geschlossene Grenzen. Daher ist Macron auch der ideale Gegner für Marine Le Pen. Mit seiner weltoffenen Sichtweise steht er im genauen Gegensatz zu ihr – ein Gegensatz, der in Zukunft noch bedeutender werden könnte. Sie stellt sich auf die Seite der Verlierer der Globalisierung und will die Kontrolle zurückgewinnen.
Wie lassen sich FN und AfD vergleichen?
Die AfD erinnert an den FN in den Anfängen, die Entwicklung kommt 25 oder 30 Jahre später, auch bedingt durch die historische Situation Deutschlands. Die Themen sind vergleichbar: Es geht um Gewinner und Verlierer der Globalisierung, um die Euro-Krise, Immigration, Islam und Arbeitsplätze.
Die klassischen politischen Parteien haben keine Antwort auf den Anstieg der Rechtspopulisten. Wie kann man gegen sie vorgehen?
Dazu braucht man Zeit. Man muss die Leute, die sich am Straßenrand zurückgelassen fühlen, wieder aufsammeln und ihre Lebenssituation verbessern. Das geht nur über Jobs und mehr Kaufkraft für die Benachteiligten.
Jérôme Fourquet leitet die Abteilung Meinungsbildung beim Meinungsforschungsinstitut Ifop. Er arbeitet seit 15 Jahren als Meinungsforscher.