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Der Untersuchungsausschuss, der prüfen soll, ob der BND Internetdaten durchsucht, nahm vor einem Jahr seine Arbeit auf.
© dpa

NSA-Untersuchungsausschuss: Liest der BND meine E-Mails?

Vor rund einem Jahr setzte der Deutsche Bundestag den NSA-Untersuchungsausschuss ein. Er soll prüfen, ob der BND massenhaft Internetdaten durchsucht. Die Ausschussarbeit und Recherchen des Tagesspiegels zeigen: Die Überwachung ist längst graue Behördennormalität. Alle wissen davon – auch das Kanzleramt.

Die Fahrt geht durch das Frankfurter Hafengebiet, Autowerkstätten, Imbissbuden, ein FKK-Club, dann links ein fensterloser Gebäudekomplex, drei, vier Meter hohe Zäune mit Stacheldrahtkronen, Überwachungskameras. Eine Schranke öffnet sich. Als Klaus Landefeld aussteigt, ist gleich das Geräusch der Daten zu hören: das ewige Rauschen der Kühlanlagen, die die Hitze der Server ableiten. Landefeld, ein riesiger Kerl, schwarzer Anzug, Pferdeschwanz, geht voraus zu einem der fensterlosen Gebäude, Hanauer Landstraße 308a. Innen geht es durch eine Sicherheitsschleuse, dann schmucklose Gänge entlang. Je weiter man vordringt, desto ohrenbetäubender wird das Sausen. Schließlich, als der Lärm beinahe jedes Wort schluckt, öffnet Landefeld eine Metalltür und da ist er, der De-Cix, der größte Internetknotenpunkt Europas: Serverschränke, dicke Bündel kordeldicker Glasfaserkabel, blinkende Lämpchen. Das Ganze hat etwas von einem Ameisenhaufen, es ist emsig, chaotisch und geordnet zugleich.

„Das ist die ganze Magie“, ruft Landefeld über das Brummen hinweg und macht eine entschuldigende Handbewegung. Landefeld ist Vorstand Infrastruktur und Netze des Internetverbands Eco. Der betreibt über seine hundertprozentige Tochter, die De-Cix-Management GmbH, den Knotenpunkt. Doch es ist tatsächlich ein magischer Ort. Nicht zuletzt für den Bundesnachrichtendienst.

Ein System im Geheimen

Vor etwa einem Jahr setzte der Deutsche Bundestag als Reaktion auf die Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden einen Untersuchungsausschuss ein, um zu prüfen, inwieweit deutsche Nachrichtendienste an der Massenüberwachung digitaler Datenströme durch die sogenannten Five Eyes Staaten beteiligt sind (siehe hier unseren Faktencheck: Welche Arbeitsthesen des Ausschusses wurden bestätigt?). Wie die Arbeit des Ausschusses und Recherchen des Tagesspiegels zeigen, erfasst und durchsucht der BND bis heute massenhaft Telekommunikationsdaten in Deutschland – unter anderem genau hier, am De-Cix in Frankfurt. Experten bezweifeln, dass es dafür eine ausreichende Rechtsgrundlage gibt. Das Recht des BND wurde nie an das digitale Zeitalter angepasst. „Es hat sich hier ein System im Geheimen etabliert, das rechtsstaatsfeindlich ist“, sagt der Obmann der Grünen im Untersuchungsausschuss, Konstantin von Notz. „An einer Novellierung des BND-Gesetzes führt kein Weg vorbei“, sagt der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums, André Hahn (siehe zur juristischen Bewertung auch unser Interview mit dem Staats- und Verwaltungsechtler Matthias Bäcker von der LMU hier). Doch obwohl die Probleme im Bundeskanzleramt seit über zehn Jahren bekannt sind, stützen die politisch Verantwortlichen bis heute die Praxis des BND.

Klaus Landefeld versucht, den Ameisenhaufen in Zahlen zu fassen. Rund 700 Telekommunikationsanbieter tauschen am De-Cix Daten aus, damit ihre Kunden miteinander kommunizieren können, darunter Große wie der Staatskonzern China Mobile, Google, Apple, Facebook, Vodafone und Kabel Deutschland, aber auch Stadtwerke und die Zeugen Jehovas. Drei Terabit pro Sekunde gehen am De-Cix durch die Leitungen. Das ist wie, nun ja, einfach gigantisch viel! Das ist das ganze pralle Leben (Telefonate, E-Mails, Dokumente, Bilder, Musik. Liebesgeflüster, Geschäftsabschlüsse, Katzenvideos, Tweets, Krankenakten, Bücher, Amazonbestellungen, Homeofficezugriffe, Geld, Fernsehen) und all seine dunklen Seiten (Anschlagspläne, Drogengeschäfte, Waffendeals).

Darüber reden darf man nicht

Herr Landefeld, leitet der BND hier am De-Cix die E-Mails deutscher Bürger ab? Nach unseren Recherchen gibt es bis heute eine monatlich erneuerte Anordnung nach dem „Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses“ (G-10-Gesetz). Der BND soll Leitungen erfassen, durch die sowohl Daten ausländischer als auch deutscher Anbieter laufen. Doch Landefeld schüttelt den Kopf. Ob und wie die Geheimdienste am Knotenpunkt Daten erfassen, dazu will er sich nicht äußern. Das G-10-Gesetz verpflichtet Unternehmen in Paragraf 2 zur Mitwirkung und untersagt ihnen in Paragraf 17, darüber zu sprechen. In der Providerszene ist es zwar ein offenes Geheimnis, dass die Nachrichtendienste in großem Stil deutsche und internationale Daten in Deutschland erfassen. Nur laut darüber reden darf keiner.

Die analoge Telefonie, bei der Daten über Tonsignale übertragen wurden, wird seit Anfang der neunziger Jahre zunehmend durch die digitale Datenübertragung verdrängt.
Die analoge Telefonie, bei der Daten über Tonsignale übertragen wurden, wird seit Anfang der neunziger Jahre zunehmend durch die digitale Datenübertragung verdrängt.
© Shutterstock, Montage: Nils Klöpfel, Sabine Wilms

Anfrage bei der Bundesregierung. Eine Sprecherin weist darauf hin, „dass der BND den gesetzlichen Auftrag hat, zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, die hierzu erforderlichen Informationen zu sammeln.“ Auskunft zur „operativen Arbeit“ gebe der BND „ausschließlich der Bundesregierung und den zuständigen, geheim tagenden Gremien des Deutschen Bundestages.“ Das ist der Standardsatz. Der Sprecher des BND sagt, wenn man wolle, könne er den auch noch mal sagen. Er sagt das sehr freundlich. So ist das nun mal.

Der 11. September erhöhte den Druck

Berlin, ein Donnerstag kurz vor Weihnachten. Im Europasaal des Paul-Löbe-Hauses des Bundestages vernimmt der NSA-Untersuchungsausschuss den Zeugen Breitfelder. Büromaschinenmechaniker habe er gelernt, sagt Breitfelder. Dann Deutsches Heer, bis zum Brigadegeneral. Dann zehn Jahre BND, Leiter Abteilung Technische Aufklärung. Den BND führte Breitfelder in das digitale Zeitalter.

Die analoge Telefonie, bei der Daten über Tonsignale übertragen wurden, wird seit Anfang der neunziger Jahre zunehmend durch die digitale Datenübertragung verdrängt. Heute werden rund 70 Prozent aller Telefonate digital verschickt. „Paketvermittelter Verkehr“ heißt das. In wenigen Jahren wird es keine analoge Telefonie mehr geben. Bis Anfang der 2000er Jahre hat der BND diese technische Entwicklung verschlafen. Doch in den Jahren nach dem 11. September wuchs international der politische Druck auf die Dienste. Der SPD-Kanzler Gerhard Schröder schwor „uneingeschränkte Solidarität“.

Bei seinem Dienstantritt beim BND 2003 erhielt Breitfelder also vom damaligen BND-Präsidenten August Hanning den Auftrag, ein „Schwerpunktprogramm“ zu entwerfen. „Es ging um Massendaten-Gewinnung von Internet-Paketverkehr“, sagt Breitfelder. „Mir wurde zu verstehen gegeben: Wir müssen zu Potte kommen.“ Schnell sei ihm klar geworden, berichtet Breitfelder, dass das allein in dem Tempo nicht zu schaffen ist. Ein erfahrener Partner musste her. So wurde die Kooperation mit der NSA in der „Operation Eikonal“ geboren. Der BND verschaffte den Zugang zu Leitungen der Telekom. Die NSA lieferte Soft- und Hardware und erhielt im Gegenzug Daten. Ob Daten Deutscher darunter waren, versucht der Ausschuss zu klären (siehe dazu rechts).

Netzpolitik.org bloggt in jeder Sitzung live von der ersten bis zur letzten Minute aus dem NSA-Untersuchungsausschuss. Konnte die Autorin nicht bis zum Schluss der teils bis in die Nacht reichenden Sitzungen bleiben, hat sie sich aus diesen Protokollen, aus Berichten in anderen Medien und in Gesprächen mit Abgeordneten informiert.

Die digitale Welt kümmert sich nicht um nationale Grenzen

Aber was, Herr Landefeld, ist eigentlich an der Erfassung der Daten so schwierig? Jede digitale Einheit, erklärt Landefeld, also zum Beispiel eine E-Mail, wird beim Versand in mehrere Datenpakete zerteilt. Damit sie nicht verloren gehen und klar ist, welches Paket zu welchem gehört, von wem es kommt und an wen es sich richtet, werden sie mit „Metadaten“ beschriftet. Absender und Empfänger werden mittels ihrer IP-Adressen vermerkt, einer Zahl, mit der das Empfängergerät eindeutig identifizierbar ist. Allerdings lässt eine IP-Adresse, anders als eine Vorwahl, keinen sicheren Rückschluss darauf zu, wo sich jemand befindet. Auch, welchen Weg ein Paket durch das Internet nimmt (also wo man es abfangen kann), ist nur bedingt abhängig vom physischen Netz, von den weltumspannenden Glasfaserkabeln und Knotenpunkten. Welchen (Um-)Weg sie nehmen, errechnen „Autonome Systeme“, die Wegweiser des Internets. Um nationale Grenzen kümmern sie sich nicht. Ihre Devise ist in der Regel: schnell und billig, denn die Nutzung von Leitungen und Knotenpunkten kostet.

Zum deutschen Geheimdienstrecht will dieses virtuelle System nicht passen. Es ergibt sich eine ganze Kette von Problemen: Ob und wie der BND etwas erfassen darf und wie streng die Überwachung durch die Kontrollgremien ist, hängt davon ab, ob es sich um inländische Kommunikation handelt (siehe Interview). Der BND muss also irgendwie technisch zwischen dem besonders geschützten Verkehr, an dem Deutsche beteiligt sind, und Ausland-zu-Ausland-Verkehr trennen, der „zum Abschuss freigegeben“ ist, wie ein Zeuge einmal sagte. Die Filter aber, die der BND nutzt, erreichen laut Zeugen im Ausschuss heute Sicherheiten von bis zu 99 Prozent. Allerdings sind bei der enormen Masse der gefilterten Daten auch ein Prozent Unsicherheit sehr viel. Außerdem müssen zur Filterung auch solche Daten zumindest kurz erfasst werden, die der BND eigentlich gar nicht haben sollte.

Gerhard Schindler ist Chef des Bundesnachrichtendienstes
Gerhard Schindler ist Chef des Bundesnachrichtendienstes
© Sören Stache / dpa

Kopie oder Speicherung?

Berlin, 27. November 2014, im Ausschuss geht es um die Operation „Eikonal“. Vernommen wird der Zeuge Dr. Stefan Burbaum, heute Innenministerium, ehemals Jurist beim BND. Die Sitzung zieht sich hin. Der kantige Mann von der Bundespolizei, der auf der Tribüne aufpasst, dass keiner Fotos macht, ist genervt.

Konstantin von Notz: Sie haben eine Dopplung der Daten beim TK-Betreiber vorgenommen. Was ist eine „Dopplung“?

Burbaum: Das heißt, es wird eine Kopie gemacht und am Übergabepunkt in die Rechner des BND geleitet.

Bundespolizist verabredet sich via Whatsapp zum Gulasch-Essen.

Von Notz: Was ist die Dopplung für ein Vorgang? Pufferung, Speicherung, Erfassung?

Burbaum: Das ist keine Speicherung und keine Erfassung. Es ist eine Kopie.

Von Notz: Gedoppelt und ausgeleitet ist noch nicht erfasst?

Bundespolizist (stöhnt): „Boah, ej.“

Burbaum: Ja.

Von Notz: Kann man das auch anders sehen?

Burbaum (fröhlich): Selbstverständlich.

„Das Internet ist für uns alle Neuland.“

Anfang Juni 2013 veröffentlicht der Journalist Glenn Greenwald die ersten Snowden-Dokumente. Am 18. Juni 2013 reist Barack Obama zum Staatsbesuch nach Berlin. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit Angela Merkel sagte die Bundeskanzlerin den Satz „Das Internet ist für uns alle Neuland“. Die Erfassung digitaler Datenströme, die Brigadegeneral Breitfelder ab 2003 im BND etablierte, ist da längst grauer Behördenalltag.

Eine Ausschusssitzung im Januar 2015, geladen ist Herr H., Mitarbeiter in einem der drei „Resas“, „Regionalbüros für staatliche Sonderauflagen“ der Telekom. Herr H. hat 1983 bei der Post angefangen, damals fiel das alles noch unter „Amtshilfe“. H. spricht mehr mit seiner Anwältin als mit den Abgeordneten. Nach drei Stunden Befragung zittern seine Hände. Er sagt: „Wir bekommen eine Anweisung, wir setzen die um.“ Gibt er sein O.k., geht ein Techniker zum Server und setzt ein „T-Stück“ ein, das den Datenstrom teilt und an den BND ausleitet. Einmal wollte H. eine juristische Weiterbildung machen. Wurde aber nicht genehmigt.

Am Abend kommt Bernd Köbele, der Leiter von H.s Abteilung.

Christian Flisek, Obmann der SPD: „Haben Sie die rechtlichen Probleme in ihrem Hause erörtert?“

Köbele: „Eigentlich hatten wir ja keine.“

Noch ein bisschen später, es ist fast Nacht, kommt Kai-Uwe Ricke, von 2002 bis 2006 Vorstandsvorsitzender der Telekom. Von der „Operation Eikonal“ habe er nie gehört. Ja, einmal habe er BND-Chef August Hanning 2002 im „Il Punto“ in Bonn getroffen. Das sei ihm lästig gewesen. Worum es ging, wisse er nicht mehr.

Eine Woche später, am 31. Januar 2015, hört der Ausschuss Herrn G. vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Das BSI zertifiziert die Beiräte, die der BND zur Erfassung und Trennung des Datenstroms einsetzte. Bei der Befragung stellt sich heraus, dass G. das Gerät dabei nie im Einsatz gesehen hat.

Christian Flisek, Obmann der SPD: „Also, wie das Ding funktioniert, weiß der liebe Gott allein?“

G. (arglos): „Na, und der BND.“

Entscheidung gegen eine Gesetzesänderung

In den Jahren 2003 und 2004, während Breitfelder unter der rot-grünen Bundesregierung die Abteilung Technische Aufklärung reformierte, überlegte man im Kanzleramt, ob man nicht die Gesetze ändern müsse. Das zeigen die Akten. Man entschied sich dagegen. Als die Telekom zu Beginn der „Operation Eikonal“ Bedenken an der Rechtmäßigkeit äußerte (auch, weil keine G-10-Genehmigung, sondern nur ein Vertrag vorlag), schrieb das Bundeskanzleramt im Sommer 2003 einen Brief an den damaligen Vorstandsvorsitzenden Kai-Uwe Ricke (den Ricke laut eigenem Bekunden nie sah), um die Bedenken auszuräumen. Unterzeichnet wurde er nach Informationen des Tagesspiegels vom damaligen Leiter der für die Geheimdienste zuständigen Abteilung VI im Bundeskanzleramt, Ernst Uhrlau, später Chef des Bundesnachrichtendienstes. Geheimdienstkoordinator war damals der Chef des Bundeskanzleramts, Frank-Walter Steinmeier. Steinmeier muss mit den Vorgängen zumindest in Ansätzen vertraut gewesen sein. Nach Erinnerung von Brigadegeneral Breitfelder nahm Steinmeier an einem Abendessen in der Residenz des BND-Präsidenten teil, in der Breitfelder sein „Schwerpunktprogramm“ vorstellte. Der Einsatz von politischem Leumund, um Unternehmen zur Kooperation zu bewegen, ist nach Informationen des Tagesspiegels kein Einzelfall. Aus Providerkreisen wird berichtet, das Kanzleramt habe stets prompt auf Bedenken reagiert. Bei mindestens einem Treffen in den letzten Jahren war der heutige Beauftragte für die Geheimdienste, Klaus-Dieter Fritsche, anwesend, damals Geheimdienstkoordinator.

Herr Landefeld, waren Sie eigentlich schon mal im Kanzleramt? Landefeld lächelt. „Ja, da war ich schon mal.“

Epilog in Berlin

Bundestag, Europasaal. Gehört wird Herr A., Technischer Fernmeldeoberamtsrat der Telekom i. R., ein brummiger Hesse, den kaum jemand versteht. Nur einmal muss A. lachen.

Ausschussvorsitzender Patrick Sensburg: Wie bekommen Sie denn die G-10-Anordnungen, per E-Mail?

Herr A.: Haha. Nein, natürlich nicht.

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