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 Matthias Bäcker ist Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München.
© promo

Interview zum NSA-Skandal: „Das große Ganze anfassen“

Der Staats- und Verwaltungsrechtler Matthias Bäcker über eigenwillige Theorien, Eigentore und die notwendige Reform des Rechts der Geheimdienste.

Der NSA-Ausschuss ist ein regelrechter BND-Ausschuss geworden. Aber haben Sie als Experte eigentlich etwas Neues über die Rechtspraxis des deutschen Auslandsgeheimdienstes erfahren?

Tatsächlich war einiges in Fachkreisen schon bekannt. Der Ausschuss hat aber viele Erkenntnisse im Detail gebracht. Und wenn er dazu beiträgt, die verfassungsrechtliche Debatte über die Rechtsgrundlagen der Geheimdienste zu befeuern, ist das allein schon ein großes Verdienst.

Was darf der BND denn erfassen und auswerten?
Erstens darf der BND die Kommunikation von konkreten Personen erfassen, wenn gegen sie ein bestimmter Verdacht besteht. Zweitens darf der BND Telekommunikation auch „strategisch“ überwachen, also ohne konkreten Anlass. Das heißt, er darf Daten großflächig erfassen und mit Stichworten durchsuchen. Allerdings darf er das nur, um bestimmte Gefahren aufzuklären, die im Gesetz genannt sind. Dazu gehören Terrorismus, Drogenhandel oder Geldwäsche. Diese beiden Formen sind im G-10-Gesetz geregelt und unterliegen einer vergleichsweise strengen Aufsicht. So muss unter anderem die G-10-Kommission zustimmen. Drittens überwacht der BND Telekommunikation aufgrund der Aufgabe, die ihm im BND-Gesetz zugeschrieben wird, nämlich „Erkenntnisse über das Ausland von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung“ zu gewinnen.

Was darf der BND im Inland, was im Ausland?
Die Erfassung konkreter Personen nach dem G-10-Gesetz ist räumlich nicht begrenzt. Das „strategische“, also anlasslose Erfassen und Durchsuchen von Daten nach dem G-10-Gesetz ist auf die internationale Kommunikation beschränkt. Aus Sicht des BND heißt „international“, dass einer der Kommunikationspartner im Ausland ist und einer in der Bundesrepublik. Davon grenzt der BND reine „Auslandsverkehre“ ab. Er versteht darunter, dass sich beide Kommunikationspartner außerhalb von Deutschland befinden. Der BND ist der Auffassung, dass das Fernmeldegeheimnis bei Auslandsverkehren gar nicht berührt ist und die Kontrollen des G-10-Gesetzes nicht gelten – es sei denn, einer der Kommunikationspartner ist Deutscher.

Wie bewerten Sie das?
Diese Auffassung halte ich für falsch. Der BND schneidert sich seine Ermächtigung so zurecht, dass er möglichst weitreichende Überwachungsbefugnisse hat. Das Fernmeldegeheimnis ist aber kein Deutschen-Grundrecht, es ist räumlich nicht begrenzt. Außerdem lässt sich unter den modernen technischen Kommunikationsbedingungen praktisch ohnehin nicht mehr zuverlässig unterscheiden, von wo jemand etwa eine E-Mail verschickt oder abruft.

Dürfen die Daten an ausländische Dienste wie die NSA übermittelt werden?
Daten über konkrete Personen, die nach dem G-10-Gesetz erhoben werden, dürfen meiner Ansicht nach nicht ins Ausland übermittelt werden. Allerdings sieht die Bundesregierung das offenbar anders, wie aus Stellungnahmen auf parlamentarische Anfragen hervorgeht. Daten aus der anlasslosen, strategischen Überwachung dürfen theoretisch übermittelt werden, allerdings sind die Hürden dafür so hoch, dass es praktisch fast nie vorkommt. Daten aus der Auslandsaufklärung kann der BND nach seiner Auffassung dagegen in großem Umfang übermitteln.

Der Ausschuss hat weitere merkwürdige Rechtskonstruktionen des BND aufgedeckt, die den Grundrechtsschutz aushebeln. Eine ist die „Funktionsträgertheorie“.
Ja, der BND steht auf dem Standpunkt, dass Deutsche, die für juristische Personen im Ausland arbeiten, also zum Beispiel für Unternehmen oder Nichtregierungsorganisationen, nicht den Schutz des Fernmeldegeheimnisses genießen. Das hieße, wenn Sie für die New York Times aus Afghanistan berichten und dort mit einem Afghanen telefonieren, dürfte der BND Sie ohne Weiteres abhören. Das ist schon abenteuerlich. Aber ich teile ja schon die Annahme nicht, dass nur Deutsche im Ausland den Schutz des Fernmeldegeheimnisses genießen.

Die Opposition wirft dem Dienst vor, die G-10-Kommission über die Ziele von Operationen getäuscht zu haben. Der BND hat sich Operationen nach dem G-10-Gesetz genehmigen lassen, um dann an derselben Stelle Ausland-zu-Ausland-Verkehr abzugreifen. Warum eigentlich? Der BND steht doch auf dem Standpunkt, dass er mit Ausland-zu-Ausland ohnehin machen kann, was er will.
Das liegt daran, dass sich der BND mit seiner Auslandstheorie ein Eigentor geschossen hat. Als der Dienst die Daten noch mit eigenen Satelliten erfasst hat, machte diese Rechtsauslegung Sinn. Aber seit der Internetverkehr immer wichtiger wird, ist der BND auf die Mitarbeit der Telekommunikationsunternehmen angewiesen. Verpflichtet sind sie dazu aber nur nach dem G-10-Gesetz. Ohne diese Rechtsgrundlage stehen sie vor großen Problemen: Sie sind schließlich dem Schutz des Fernmeldegeheimnisses verpflichtet. Indem er sich nun eine G-10-Genehmigung zum Abhören von Ausland-Ausland-Kommunikation besorgt, versucht der BND, das Beste aus beiden Welten zusammenzusetzen. Das knirscht an allen Ecken und Enden. Und es wird dem BND meiner Meinung nach irgendwann um die Ohren fliegen.

In der Gesamtbewertung: Hat der BND gegen geltendes Recht verstoßen?
Ich würde eher sagen: Der BND schafft sich für seine Auslandsaufklärung einen weitgehend rechtsfreien Raum, indem er bestehende Gesetze sehr eigenwillig auslegt.

Wie könnte das Recht aus Ihrer Sicht verfassungskonform weiterentwickelt werden?
Ich bin dafür, das große Ganze anzufassen. Unter den heutigen technischen Bedingungen lässt sich praktisch nicht mehr zwischen Inlands- und Auslandskommunikation unterscheiden. Ein Weg, dem zu begegnen, ist, die rechtliche Schranke zwischen Inlands- und Auslandskommunikation aufzuheben. Dann müsste allerdings die strategische Überwachung viel stärker begrenzt werden, als das heute der Fall ist. Ich könnte mir zum Beispiel vorstellen, dass man die anlasslose Überwachung auf wirklich schwerste Gefahren wie den Terrorismus beschränkt und die Verfahrensregelungen noch verschärft.

Matthias Bäcker ist Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er war Sachverständiger im NSA-Untersuchungsausschuss. Eine erste juristische Bewertung der Arbeit des NSA-Untersuchungsausschusses hat er kürzlich auf Verfassungsblog.de veröffentlicht.

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