Nach Einknicken der SPD bei der Bürgerversicherung: Lauterbach: Privatkassen sind ohnehin am Ende
Mit der Bürgerversicherung war es wieder nichts. Vor der Parteibasis preisen die SPD-Oberen den Koalitionsvertrag dennoch als gesundheitspolitischen Erfolg.
Gesundheitspolitisch kam die SPD schwer gerupft aus den Koalitionsverhandlungen. Von der versprochenen Bürgerversicherung war schon nach den ersten Sondierungen keine Rede mehr. Die als Kompromiss verlangte Angleichung der Ärztehonorare für Kassen- und Privatpatienten scheiterte ebenfalls am Unionswiderstand. Wahlfreiheit für Beamte konnte die Truppe um den SPD-Experten Karl Lauterbach auch nicht durchsetzen. Sie akzeptierte plötzlich sogar ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtiger Arznei und verzichtete auf das seit langem geforderte Tabakwerbeverbot.
Als sichtbarer Verhandlungserfolg sticht einzig die Rückkehr zur vollen Beitragsparität heraus. Allerdings machten die Sozialdemokraten damit auch nur rückgängig, was sie als Regierende vor Jahren selber verbockt hatten.
Sechs Milliarden Euro allein durch Beitragsparität
Bei Lauterbach muss sich das jetzt natürlich etwas anders anhören. Schließlich wirbt der Fraktionsvize und Gesundheitsexperte bei der SPD-Basis gerade an vorderster Front um Zustimmung zum Koalitionsvertrag.
Sechs Milliarden Euro im Jahr bringe den Beitragszahlern allein das Zurück zur Halbe-Halbe-Regelung mit den Arbeitgebern, betont er. Zwei Milliarden jährlich gebe es zudem vom Steuerzahler für Hartz-IV-Empfänger, bis der Zuschuss alle Kosten für deren gesetzliche Krankenversicherung (GKV) deckt. Bisher musste die Versichertengemeinschaft das alleine schultern.
Der SPD-Experte preist auch kleine Vertragsdetails: dass man die Terminservicestellen jetzt durch feste 12-Stunden-Öffnungszeiten „vom Papiertiger zur funktionierenden Einrichtung“ mache. Dass niedergelassene Ärzte nun 25 statt 20 Stunden pro Woche für Kassenpatienten da sein müssten. Dass Pflegekräfte ihre Arbeitsbedingungen verbessert und mehr bezahlt bekämen.
Höhere Pflegebeiträge noch in dieser Legislatur
Kritik am Sofortprogramm mit nur 8000 neuen Pflegekräften dagegen weist Lauterbach zurück. Der Fachpflegemarkt sei „leergefegt“, argumentiert er, es gebe grade mal 3500 Arbeitssuchende. Auf die Schnelle mehr Aufstockung zu versprechen, wäre folglich nicht realistisch gewesen.
Dass die in Aussicht gestellten Verbesserungen nicht ohne seien, werde sich auch an den Kosten zeigen. Die Pflegebeiträge müssten in dieser Legislatur „auf jeden Fall steigen“, prognostiziert der SPD-Experte. Das sei politisch aber gewollt, schließlich könne man Pflegebedürftige nicht allein belasten.
"Bürgerversicherung war nie Koalitionsbedingung"
Und die Bürgerversicherung, das große und wieder mal nicht eingelöste SPD-Versprechen? Man habe das zwar als „zentrales Projekt“ propagiert, jedoch nie zur Bedingung für eine große Koalition gemacht, beteuert Lauterbach. Der privaten Krankenversicherung (PKV) nütze die Blockade der Union im übrigen nicht viel, sie sei so oder so bald am Ende. Schon jetzt wage sich fast kein gutverdienender Angestellter mehr in eine Privatkasse. Die beschlossene Halbierung des Mindestbeitrags für Selbständige in der GKV erschwere der PKV nun auch mit dieser Zielgruppe das Geschäft.
Und bei den Beamten, so Lauterbachs Prognose, machten die Steuerzahler auch nicht mehr lange mit. Die Beihilfe-Ausgaben stiegen pro Jahr um eine Milliarde. Das sei Jahr für Jahr ein Plus von zehn Prozent – und die große Pensionswelle aufgrund des Babybooms stehe noch aus Die PKV habe keine Zukunft, ist sich der SPD-Experte sicher. Jedoch werde ihre Abwicklung jetzt womöglich „sehr viel schwerer und kostenaufwändiger“.
PKV: Bei Vollversicherten bisher nur ein leichtes Minus
Der PKV-Verband widerspricht dieser Darstellung. Zwar gebe es keine Aufschlüsselung der Neuversicherten nach Erwerbstätigkeit. Jedoch wechselten nach wie vor „jedes Jahr weit über 100.000 Versicherte aus der GKV in die PKV“. In der Summe gebe es seit 2012 bei den Vollversicherten netto nur ein leichtes Minus von etwa 2,3 Prozent in fünf Jahren.
Zudem sei zu berücksichtigen, dass jeder Wechsel in die PKV freiwillig erfolge, der Wechsel in die Gegenrichtung aber meist durch Eintreten einer GKV-Versicherungspflicht erzwungen sei.