zum Hauptinhalt
Der SPD-Politiker kritisiert die geplante Streichung der 50er-Inzidenz als Bewertungsmaßstab in der Pandemie.
© Imago/Political-Moments
Update

Streichung von 50er-Inzidenz „ein falsches Signal“: Lauterbach kritisiert Bundesregierung für geplante Corona-Strategie

Dass Gesundheitsminister Spahn die 50er-Inzidenz als zentrales Kriterium streichen will, missfällt Experte Lauterbach. Der Minister verteidigt den Plan.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat sich von den Plänen der Bundesregierung distanziert, die 50er-Inzidenz als zentrales Kriterium im Infektionsschutzgesetz zu streichen und fortan stärker auf die Hospitalisierungen zu schauen.

„Das sendet ein falsches Signal, als wenn die Inzidenz überhaupt nicht mehr wichtig wäre. Das halte ich für falsch, weil auch viele derjenigen, die erkranken und nicht ins Krankenhaus müssen, schwer erkranken und langfristige Schäden davontragen“, sagte Lauterbach im Fernsehsender Phoenix. Hinzu komme, dass die Zahl der Krankenhauseinweisungen gegenüber der Inzidenz den Nachteil habe, dass man erst sehr verspätet wichtige Signale erhalte, so Lauterbach. „Man läuft Gefahr, dass man nie vor die Welle kommt.“

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verteidigte die geplante Abkehr von der Corona-Inzidenz als maßgeblichen Gradmesser für Einschränkungen in Deutschland sogleich. Er sagte am Montag in den ARD-„Tagesthemen“, niemand habe gesagt, dass die Inzidenz gar kein Maßstab mehr sein solle.

„Was klar ist: Die 50er Inzidenz, wie sie aktuell im Gesetz steht, hat ausgedient“, so Spahn. Nach den Impffortschritten könne man jetzt stärker auf die Krankenhausbelastung abheben. „Aber auch diese Frage hängt ja mit der Inzidenz zusammen. Umso mehr sich infizieren, desto mehr werden natürlich auch weiterhin in den Kliniken behandelt werden müssen“, sagte Spahn.

Derzeit schreibt das Infektionsschutzgesetz vor, dass bei Überschreitung des Wertes von über 50 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen sind. 

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Ähnlich wie abends in der ARD äußerte sich Spahn bereits früher am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“, als er bekanntgab, den Inzidenzwert 50 als zentrales Kriterium für Pandemie-Schutzmaßnahmen aus dem Infektionsschutzgesetz streichen zu wollen.

Statt der Inzidenz benannte Spahn die sogenannte Hospitalisierungsquote als wichtigen neuen Richtwert. Sie gibt an, wie viele Menschen wegen einer Corona-Infektion ins Krankenhaus eingeliefert werden müssen. Dieser Wert soll künftig eine zentrale Rolle spielen. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums liegt die Hospitalisierungsquote derzeit bei 1,3 pro 100.000 Menschen binnen sieben Tagen. Auf dem Höhepunkt der Corona-Pandemie habe sie in Deutschland bei über zehn gelegen.

Das Corona-Kabinett um Kanzlerin Merkel hat sich für neue Maßstäbe zur Bewertung der Viruslage ausgesprochen.
Das Corona-Kabinett um Kanzlerin Merkel hat sich für neue Maßstäbe zur Bewertung der Viruslage ausgesprochen.
© Christian Mang/Reuters/Pool/dpa/10. August

Die anvisierte Abkehr vom Inzidenzwert als Kriterium für Pandemiebeschränkungen könnte praktische Folgen für den Alltag haben: Der Zeitpunkt, zu dem die zuständigen Behörden im Kampf gegen die Pandemie neue Beschränkungen erlassen, könnte sich dadurch nach hinten verschieben. Im aktuellen Infektionsschutzgesetz sind besondere Maßnahmen ab einer Inzidenz von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen auf regionaler Ebene vorgesehen. Ab dem Wert 100 greifen bundeseinheitliche Regeln.

Das Corona-Kabinett mit Kanzlerin Angela Merkel und den Fachministerinnen und -ministern habe am Montag erstmals seit der Sommerpause wieder getagt, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin mit. Das Gremium beauftragte demnach Spahn damit, zügig einen Entwurf auszuarbeiten, der dann rasch vom Kabinett verabschiedet und dem Bundestag zugeleitet werden soll. Den genauen Zeitplan ließen Seibert und ein Sprecher Spahns vorerst offen. Zudem wollte die Bundesregierung noch keine Angaben dazu machen, wie genau die künftigen Richtwerte in einem geänderten Infektionsschutzgesetz ausfallen werden.

„Pandemie der Ungeimpften“

Seibert erneuerte seinen Appell an die Bürgerinnen und Bürger, sich impfen zu lassen. Derzeit handle es sich bei 90 Prozent der Patienten, die wegen einer Covid-19-Infektion im Krankenhaus liegen, um Ungeimpfte, sagte er. „Mehr und mehr handelt es sich um eine Pandemie der Ungeimpften.“

Spahn äußerte sich ähnlich: „Jeder nicht Geimpfte wird sich im Herbst und Winter mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit anstecken.“ Trotz steigender Ansteckungszahlen könnten sich Geimpfte und Genesene darauf einstellen, dass es für sie „keine weiteren Beschränkungen geben“ werde, sagte der Minister.

Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz bei den Corona-Neuinfektionen ist derweil auf 56,4 gestiegen. Bundesweit wurden binnen 24 Stunden 3668 Neuinfektionen registriert, wie das Robert-Koch-Institut (RKI) am Montagmorgen meldete. Nordrhein-Westfalen überschritt dabei als erstes Bundesland wieder die Inzidenz-Marke von 100. Die Zahl der neuen Todesfälle gab das RKI mit vier an. (dpa/AFP)

Zur Startseite