Undurchsichtige Corona-Datenlage: Das Rätsel um die unfreiwillig Ungeimpften
Von den politischen Verschärfungen bleiben jene, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können, verschont. Doch sie sind eine nebulöse Minderheit.
Deutschland vor dem zweiten Corona-Herbst: Der lang ersehnte Impfstoff ist bereits seit mehr als einem halben Jahr verfügbar, doch die Impfkampagne stockt. Die Länder geben fast drei Millionen Dosen an den Bund zurück, obwohl gerade einmal 55 Prozent der Gesamtbevölkerung vollständig geschützt sind. Zwar ist der Wunsch nach einer raschen Rückkehr zur Normalität gesellschaftlicher Konsens. Das Vertrauen in einen der vier zugelassenen Impfstoffe jedoch nicht. Das Mantra, dass Impfen mehr Freiheiten mit sich bringt, verfängt bei noch zu wenigen.
Um der Pandemie doch noch vor der kalten Jahreszeit hinreichend Einhalt gebieten zu können, berät die Politik über strengere Vorgaben für Impfskeptiker, -zögerer, -verweigerer. Für Ungeimpfte, die am wohl bald gelockerten öffentlichen Leben teilnehmen wollen, soll es künftig eine Testpflicht geben - auf eigene Kosten. So sieht es der Beschluss der jüngsten Bund-Länder-Konferenz am vergangenen Dienstag vor.
Das Beschlusspapier sieht aber auch Ausnahmen vor: „Für Personen, die nicht geimpft werden können und für die keine allgemeine Impfempfehlung vorliegt (insbesondere Schwangere, Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren), wird es weiterhin die Möglichkeit zum kostenlosen Antigen-Schnelltest geben“, heißt es dort. Aufmerken lässt die erste Zuschreibung in diesem Passus - Personen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden können. Doch wie groß ist diese Gruppe? Und steht sie einer deutlich höheren Impfquote im Weg?
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Auch wenn die allgemeine Datenlage zur Gruppe der aus medizinischer Notwendigkeit Ungeimpften dünn bis undurchsichtig ist, deutet sich nach Tagesspiegel-Anfragen beim Robert-Koch-Institut (RKI) und beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI) zumindest eines an: Es handelt sich lediglich um eine geringe Anzahl an Betroffenen. Den Angaben zufolge sind es schätzungsweise etwas mehr als drei Millionen.
Dieser Personenkreis besteht nach RKI-Angaben aus zwei Gruppierungen:
- Personen mit bestimmten Allergien
- Personen mit einem Immundefekt
Allein, verbindliche Kriterien zur medizinischen Einordnung in die Gruppe der Ungeimpften gibt es weder für die eine Kategorie noch für die andere. Das macht das Lagebild diffus und verleitet manch Politiker zu pauschalen Vereinheitlichungen in der Debatte. So sprach etwa jüngst FDP-Bundesvizechef Wolfgang Kubicki in der „Passauer Neuen Presse“ von „zwölf Millionen Menschen“ ohne Impfangebot und bezog sich auf „Kinder unter zwölf Jahren, Schwangere, Menschen mit Allergien und andere Risikogruppen“. Betrachtet man jedoch den Kreis der dauerhaft unfreiwillig Ungeimpften, so gilt es zu differenzieren.
Die Gruppe der Allergiker gegen Bestandteile der Covid-19-Impfstoffe umfasst nur sehr wenige Personen, teilt das RKI auf Tagesspiegel-Anfrage mit. Und selbst diese Gruppe hat den Angaben zufolge gute Chancen auf einen Schutz gegen das Coronavirus. Bei krankhaften Abwehrreaktionen des Immunsystems auf Bestandteile von mRNA-Impfstoffen wie denen von Biontech/Pfizer und Moderna können laut RKI stattdessen Vektorimpfstoffe verwendet werden - und umgekehrt.
Immunologe widerlegt vermeintliche Argumente
Selbst die sehr seltenen Vorerkrankungen Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom (TTS) und Kapillarlecksyndrom seien mit einem mRNA Impfstoff vereinbar, heißt es seitens RKI. Allergien gegen Bestandteile aus beiden Impfstoffen, also Vektor oder mRNA, dürften eine Rarität sein, teilt das RKI weiter mit. Auch der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, hat auf Twitter mehrere vermeintliche Impf-Gegenargumente aufgegriffen und diese immunologisch widerlegt. Die in der politischen Debatte um Testpflichten gern angeführte Gruppe der Allergiker kann somit kaum als Argument für eine pauschale Kostenfreiheit bei Testangeboten herhalten.
Ähnlich verhält es sich mit Schwangeren. Für sie will die Ständige Impfkommission (Stiko) am RKI demnächst eine Impfempfehlung abgeben, Impfungen ab dem zweiten Trimester hält sie allerdings bereits jetzt für vertretbar. Auch für Kinder gibt es derzeit noch keine Stiko-Empfehlung, zugelassen sind Impfungen für diese Gruppe hingegen schon. Die Zeit des medizinisch ratsamen Impfausschlusses ist hier also begrenzt.
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Weitaus komplizierter verhält es sich mit der Gruppe derjenigen, die keinen wirksamen Impfschutz aufbauen können. Hierzu betont das RKI, dass nicht alle Personen gleichermaßen auf Impfungen ansprechen – zugleich sei dies jedoch auch nicht ausgeschlossen. Insgesamt seien in Deutschland schätzungsweise vier Prozent der Bevölkerung von einer Immundefizienz betroffen, erklärt das RKI gegenüber dem Tagesspiegel. Demnach handelt es sich bei dieser Gruppe um etwa 3,3 Millionen Menschen. Doch hier handelt es sich lediglich um Schätzungen.
Auch der Immunologe Carsten Watzl verweist auf Tagesspiegel-Anfrage auf die Komplexität des Erhebungsverfahrens zu dieser Gruppe. Demnach stellt sich in vielen ärztlichen Aufklärungsgesprächen heraus, dass viele Patienten entgegen ihrer vorherigen Annahme doch geimpft werden können. Genau quantifizierbar sei diese Gruppe jedoch nicht. Zugleich betont Watzl, dass Impfwillige zum Zeitpunkt der Impfung zwingend gesund sein sollten. „Das gilt für alle Impfungen - wenn das Immunsystem bereits eine andere Infektion bekämpft, möchte man es nicht auch noch mit der Impfreaktion zusätzlich belasten“, erklärt Watzl. Für die meisten handle es sich hierbei jedoch nur um einen temporären Ausschluss.
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Noch sind die Auswirkungen von Corona-Impfungen bei Immunerkrankten nicht hinreichend bekannt. Die Datenbank des PEI belegt jedoch eindrucksvoll, dass hierzu bereits mehrere deutsche Universitäten forschen. Das PEI teilt allerdings mit, dass es bei diesen Beobachtungsstudien in den meisten Fällen eher um die Frage geht, welche Personengruppe möglicherweise keinen ausreichenden Schutz ausbilden kann.e mit, dass es bei diesen Beobachtungsstudien in den meisten Fällen eher um die Frage geht, welche Personengruppe möglicherweise keinen ausreichenden Schutz ausbilden kann.
Auch das RKI teilt auf Tagesspiegel-Anfrage mit, dass die Stiko ebenfalls eine Arbeitsgruppe hat. Die Ergebnisse sollen demnach Grundlage für eine entsprechende Stiko-Empfehlung sein. Fest steht jedoch bereits jetzt: Solange die Hintergründe zu Impfauswirkungen in der zweiten Gruppierung nicht ausreichend erforscht sind, stellen die Betroffen weiter eine unfreiwillige Risikogruppe dar.
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