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Immer auf Sendung: Emmanuel Macron im Gespräch mit Intellektuellen.
© Michel Euler/Pool/AFP

Macron und die Intellektuellen: Lasst uns reden, Tag und Nacht!

Acht Stunden lang parlierte der Präsident mit Intellektuellen. Erreicht das die wütenden Bürger - oder fühlen sie sich nur noch mehr provoziert? Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Pascale Hugues

Wo sind die Intellektuellen geblieben? Warum hört man sie so wenig, wenn es um die großen Fragen unserer Gesellschaft im Umbruch geht? Was ist aus der Figur des engagierten Intellektuellen geworden, der kritisiert, nachdenkt und vor allem Ideen entwickelt? Diese Fragen werden in Deutschland häufig gestellt, wo man so oft in Sachen Intellektuelle neidisch nach Frankreich schielt.

Stimmt, es gibt jede Menge Star-Intellektuelle im mythischen Dunstkreis von Saint-Germain-des-Prés. Emmanuel Macron hatte sie während seiner Wahlkampagne nicht gerade mit Samthandschuhen angefasst. „Sie sind den alten Schemata verhaftet. Die meisten haben schon lange nichts mehr Weltbewegendes hervorgebracht. Sie mögen politisches Handeln nicht, sondern kommentieren es lieber. Sie sind zu Leitartiklern verkommen’’, hatte der Präsidentschaftskandidat kritisiert.

Am Montagabend in Paris ist er über seinen Schatten gesprungen und hat 64 Intellektuelle in den Elyséepalast eingeladen, die Besten ihrer jeweiligen Disziplin und nicht unbedingt die, die scharf darauf sind, regelmäßig im Fernsehen aufzutreten. Macron wollte mit ihnen diskutieren, „welche Mittel und Wege aus der derzeitigen Sackgasse hinausführen“.

Weil sie offenbar nicht nachtragend sind oder sich von der Kritik des Präsidenten nicht angesprochen fühlten, sind Historiker, Soziologen, Juristen, Ökonomen, Philosophen, Geographen, Psychiater … der Einladung gefolgt und haben den Präsidenten mit Fragen bombardiert über die Themen, die die Franzosen zur Zeit beschäftigen: Steuerreformen, Vermögenssteuer, Laizität, Bioethik, Islam, Algerien, künstliche Befruchtung, Psychiatriewesen, Kaufkraft, Armut …

Während Sie dies lesen, werden wieder Barrikaden aufgebaut

Ein nicht nur in Frankreich nie dagewesenes Experiment, das im Livestream übertragen wurde. Die 64 zeugten von Durchhaltevermögen: Ganze acht Stunden dauerte die Diskussion. Ich habe sie in Berlin ab 18 Uhr mitverfolgt. Um Mitternacht konnte ich einfach nicht mehr und bin schlafen gegangen.

Am nächsten Morgen erfuhr ich, dass die Beteiligten um 2:30 nach Hause gegangen waren. „Es gab nur einen, der um die Zeit noch fit war“, verriet eine der Teilnehmerinnen erschöpft. „Und das war der Präsident. Unglaublich, was er für eine Energie hat. Er hätte noch die ganze Nacht weitergemacht.“

64 Köpfe und ein Oberhaupt, ehemaliger Assistent des Philosophen Paul Ricoeur und ganz in seinem Element, im Festsaal unter Kronleuchtern versammelt. Einerseits ein beeindruckendes Bild: In welchen anderem Land der Welt und vor allem mit welchem anderen Staatschef wäre so eine Begegnung möglich gewesen? „Im Weißen Haus bestimmt nicht“, witzelte am Montag Michel Wieviorka, Experte für Identität und Immigration. „Im Kanzleramt wohl auch nicht“, möchte man hinzufügen.

Anderseits haftet dem Ganzen auch etwas Absurdes an: In dem Moment, in dem Sie diese Zeilen lesen, werden Gelbwesten und Randalierer bereits Kreisverkehre besetzen und durch Frankreichs Straßen ziehen für die 19. Auflage ihrer Revolte. Wird wieder eine Guerillastimmung herrschen wie vergangene Woche? Es ist eher fraglich, ob die intellektuellen Höhenflüge im Elyséepalast sie überzeugt haben. Man kann schon froh sein, wenn das Experiment nicht als arrogante Provokation ausgelegt wird.

Emmanuel Macron hat eingestanden, dass er nach den Ausschreitungen vom vergangenen Samstag mit dem Gedanken gespielt habe, das Ganze abzusagen. Doch er hat es sich anders überlegt. Absagen hätte bedeutet, vor ein paar Randalierern in die Knie zu gehen. Außerdem hat er sich bereits mit den lokalen Abgeordneten, den Vereinen, den Jugendlichen, den Landwirten getroffen, warum also nicht auch mit den Intellektuellen?

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