Vermittlungsausschuss zu Digitalpakt und Grundgesetz: Lasst es bleiben!
Man muss wegen des Digitalpakts für die Schulen nicht das Grundgesetz verhunzen. Das aber droht im Vermittlungsverfahren. Ein Kommentar
Eine Erfahrungsregel in der Politik lautet: Haushalte ruiniert man in guten Zeiten. Für Verfassungen gilt das auch. Sie dienen dazu, Macht klug zu verteilen und einzuhegen. Zum Schutz der Bürger vor den Mächtigen, zum Schutz der Mächtigen vor sich selber, für das bessere Funktionieren des Gemeinwesens. Eine solche Einhegung ist auch der Bundesstaat. Oder wie der ostdeutsche Sozialdemokrat Richard Schröder es treffend formulierte: „Föderalismus ist eine der Sicherungen vor dem wilden Lauf der Macht.“ Beide Merksätze sollten sich die Politiker aus Bund und Ländern vor Augen führen, die sich an diesem Mittwoch im Vermittlungsausschuss treffen, um über Verfassungsänderungen zu sprechen, die ein Eingriff in die föderale Struktur sein würden. Die Meinungen gehen zwar weit auseinander, wie drastisch dieser Eingriff ist. Aber dass hier das bundesstaatliche Gefüge und damit die Machtverteilung zwischen Bund und Ländern und auch Kommunen deutlich verändert würde, lässt sich schwerlich abtun.
Anlass des Streits ist zwar der Digitalpakt für die Schulen, in den der Bund fünf Milliarden Euro über mehrere Jahre hinweg zuschießt. Aber um den geht es in der Sache gar nicht. Es geht darum, wie stark der Bund künftig in die Bildungspolitik der Länder eingreifen kann und wie stark er lenken, steuern und kontrollieren darf, wenn er Geld aus seinem Etat für Aufgaben von Ländern oder Kommunen gibt. Das tut er derzeit gern, weil er viel davon übrig hat angesichts voller Kassen. Gute Zeiten eben. Der Bundestag hat den Entwurf der Bundesregierung für das verfassungsändernde Gesetz, mit dem der Digitalpakt umgesetzt werden soll, im November so verändert und um Einflussmöglichkeiten des Bundes ergänzt, dass der Bundesrat das Werk im Dezember einstimmig ablehnte. Das war selbst Ministerpräsidenten zu viel, die sich sonst wenig darum kümmern, wie eigenständig sie in ihren Landesregierungen und mit ihren Landtagen Politik machen können.
Übertriebene Dramaturgie
Der in Geiselhaft genommene Digitalpakt muss daher warten. Zur Dramaturgie gehört, sein Scheitern als Versündigung an der Zukunftsfähigkeit Deutschlands darzustellen. Als ob die Digitalisierung der Schulen erst mit den fünf Milliarden Euro vom Bund wirklich gelingen würde. Fünf Milliarden sind viel. Aber es ist nicht so, dass das Geld in den Landesetats nicht vorhanden wäre oder allein das Bundesgeld den entscheidenden Kick bei der Unterrichtsdigitalisierung bringen würde. Die Länder könnten das angesichts ihrer Überschüsse (2018 zusammen mehr als 15 Milliarden Euro, das Dreifache der in Aussicht stehenden Bundesmittel) und Rücklagen derzeit locker alleine stemmen - gute Zeiten auch hier. Warum sie also auf weitreichende und in ihrer Wirkung schwer abzuschätzende Machtballungsversuche auf Bundesebene eingehen sollten, ist nicht leicht zu erkennen. Und Machtballung ist das Ziel der Bundesseite. Man möchte mehr Zugriff auf die Bildungspolitik, ob nun aus zentralistischem Prinzip oder aus schnödem parteipolitischen Marketingkalkül oder weil man es eben in den Koalitionsvertrag geschrieben hat. Was dort steht, rechtfertigt aber nicht die verfassungspolitische Großaktion, die im Vermittlungsausschuss durchgezogen werden soll. Denn wer den Landtagen, die eigenständige Gesetzgeber mit Haushaltsautonomie sind, per Verfassung vorschreiben will, wie sie Finanzhilfen des Bundes mitzufinanzieren haben, dürfte in Karlsruhe Schiffbruch erleiden.
Unklare Begriffe
Dass Bildungspolitik besser wird, wenn der Bund auch noch Personal vorübergehend mitfinanzieren kann und zur „Sicherstellung der Qualität und Leistungsfähigkeit des Bildungswesens“ (was ist das überhaupt?) sein Zepter schwingen darf, kann man glauben, muss man aber nicht. Es ist jedenfalls keine gute demokratische Übung, das Hineinregieren in andere Parlamente und das Lenken anderer Etats in den Verfassungsrang zu erheben. Die Gemengelage im Vermittlungsausschuss ist unübersichtlich. Ob eine „Generalaussprache für ein reinigendes Gewitter“ (so der SPD-Politiker Carsten Schneider) die Fronten klärt? Eine Verkeilung der Interessen ist mindestens so wahrscheinlich. Solche Runden laufen gern darauf hinaus, allseits gesichtswahrende Formelkompromisse zu suchen. Bei der Verfassung geht das nicht. Man will sich gar nicht vorstellen, in welche Begriffsmurksereien das wieder führen könnte. Das Beste wäre, die ganze Sache abzublasen. Der Digitalpakt lässt sich auch anders umsetzen als mit den verfassungspolitischen Basteleien, die uns hier drohen. Und wenn man partout der Meinung ist, ohne Grundgesetzänderung gehe es nicht, dann geht es eben nicht. Dann sollte man eher den Pakt sausen lassen als das Grundgesetz zu verhunzen. Kein Digitalpakt, keine Grundgesetzänderung. Die Republik wird deswegen nicht untergehen.
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