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Auf Hallig Hooge wurden am Dienstag die ersten Bewohner gegen Corona geimpft.
© Christian Charisius/dpa

Enttäuschender Impfgipfel: Lasst die Ärzte endlich ran!

Eine der wichtigsten Ressourcen im Kampf gegen Corona wurde zu lange vernachlässigt, die Ärzteschaft. Das ändert sich zwar, aber zu langsam. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Deutschland hat eines der besten Gesundheitssysteme der Welt. Natürlich lässt sich auch hier vieles verbessern – Löhne sind zu niedrig, es gibt zu wenig Pflegekräfte, in ländlichen Regionen fehlen Fachärzte, Krankenhäuser werden geschlossen, an falschen Stellen wird gespart. Aber im internationalen Vergleich steht das Land gut da. Das weiß jeder, der schon einmal woanders medizinisch betreut werden musste.

Die britische Job-Agentur für medizinische Berufe hat 24 OECD-Staaten untersucht, die ein öffentliches Gesundheitssystem haben. Als Kriterien herangezogen wurden die finanzielle Ausstattung, die Zahl der Krankenhausbetten, die Zahl von Medizinern und Pflegepersonal, die durchschnittliche Lebenserwartung. Im Jahr 2019 belegte Deutschland hinter Japan den zweiten Platz.

Allerdings weist die Corona-Pandemie auf eine Schwachstelle hin. Das sind die staatlichen Institutionen. Stark ist das System in der Breite, mit täglich rund vier Millionen Arzt-Patienten-Kontakten im ambulanten Bereich.

Doch in dem Moment, in dem die Politik sich anmaßt, die Epidemie-Bekämpfung ohne Einbindung der Zigtausenden dezentralen Fachkräfte zu organisieren, wird die Sache zu schnell zu bürokratisch. Das Ergebnis sind komplizierte Priorisierungsregeln, umständliche Absprachen innerhalb der Europäischen Union, sich quälend lange hinziehende Zulassungsprüfungen, etwa des russischen Impfstoffes Sputnik V.

Als es dann losging mit den Impfungen, die ja das zentrale Element im Kampf gegen die Pandemie sind, wurde eine der wichtigsten Ressourcen vernachlässigt, die Ärzteschaft. Das sind die niedergelassenen Ärzte ebenso wie die Betriebsärzte. Sie genießen das Vertrauen ihrer Patienten, kennen deren Krankheiten und Medikamentionen, wissen, wen sie wie aufklären müssen, können am ehesten Risiken bewerten und sind meist leicht erreichbar. Was will man mehr?

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Vor dem Impfgipfel von Bund und Ländern hatten sich daher die Forderungen nach einer schnellen Beteiligung der Haus- und Betriebsärzte an der Immunisierungskampagne massiv verstärkt. Recht so!

Auch über die bislang strenge Priorisierung wurde diskutiert. Wiederum: Recht so! Jede Spritze, die verabreicht wird, ist besser als eine, die ungenutzt im Kühlschrank lagert. Die konkreten Ergebnisse des Gipfels blieben dann leider weit hinter den Erwartungen zurück.

„Beim Impfen stehen uns Gründlichkeit und Perfektionismus im Moment im Weg“, beklagt die Vorsitzende des Bundesverbandes der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, Ute Teichert. „Wir müssen unkomplizierte Lösungen finden.“ Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier drückt sein Unbehagen ähnlich aus: „Unser Ehrgeiz, alles zur Perfektion zu treiben – gepaart mit der Ängstlichkeit beim Experimentieren – steht uns häufig genug im Weg.“

Die Zeit der Ausreden ist vorbei

Es gibt keinen Grund, den Entscheidungen der Ärzte nicht zu vertrauen. Sie stehen bereit, wollen endlich mit den Impfungen beginnen. Allerdings brauchen sie weniger Vorgaben und mehr Flexibilität. Womöglich ist im gegenwärtigen Stadium die Teilimmunität einer großen Zahl von Menschen wichtiger als die Einhaltung des Diktats der Zweifach-Impfung für eine kleine Zahl von Risikopatienten.

Die Fähigkeit, das beurteilen zu können, sollte die Politik den Ärzten nicht absprechen. Eine Studie aus Schottland etwa zeigte, dass schon die erste von zwei Impfungen mit Astrazeneca das Risiko eines Krankenhausaufenthaltes wegen einer Infektion mit Covid-19 um bis zu 94 Prozent reduziert.

Noch mag die Zahl der in Deutschland verfügbaren Impfdosen klein sein. Aber es ist absehbar, dass sich das bald ändert. Von überallher kündigt sich in den kommenden Wochen Nachschub an: Biontech/Pfizer, Astrazeneca, Moderna, Johnson-&-Johnson, Curevac, Sputnik V. Jetzt nur ängstlich den Mangel zu verwalten, wäre verkehrt. Vorausschauende Politik besteht darin, auf die zusätzlichen Lieferungen vorbereitet zu sein und auf den Punkt genau reagieren zu können. Die Zeit der Ausreden ist vorbei.

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