Schulschließungen? Es brodelt an Rhein und Ruhr: Laschet rutscht in die Lockerungsfalle
Der NRW-Ministerpräsident lässt trotz hoher Coronazahlen Schulschließungen untersagen. Einblicke in ein mitunter chaotisches Krisenmanagement.
Armin Laschet ist angefressen. Er steht mal wieder als der Lockerer da, will Schulen gegen den Willen von Kommunen offenhalten.
Der CDU-Chef und nordrhein-westfälische Ministerpräsident ist aus Düsseldorf dem WDR zugeschaltet und wird gefragt, ob es in einer solchen Krise dienlich sei, wenn Bürger und Politik gegeneinander arbeiten würde. „Es sind nicht Bürger. Sondern dem Oberbürgermeister von Dortmund fällt scheinbar nichts anders ein, als Schulen zu schließen“, weist Laschet seinen Interviewer genervt zurecht.
Konsens auch bei SPD und Grünen im Landtag sei immer gewesen, "wenn wir öffnen, als erstes bei den Schulen und wenn wir schließen, als letztes bei den Schulen." Die Kinder seien seit Weihnachten nicht mehr in der Schule gewesen, die Fünft- Sechst- und Siebtklässler seien jetzt die ersten Tage wieder da. Wer dann auf die Idee komme, die Schulen machen wir wieder dicht, die Geschäfte aber nicht, "der hat die Prioritäten nicht verstanden".
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In der Düsseldorfer Staatskanzlei und zum Teil auch in der Lehrerschaft sprechen sie bereits von einer „konzertierten Aktion“ rot regierter Städte. Ausgangspunkt war zunächst die Forderung von Dortmunds Oberbürgermeister Thomas Westpahl, die Schulen wegen der unter jungen Leuten rasant steigenden Corona-Infektionszahlen wieder zu schließen - Laschets Landesregierung untersagte das in Person von Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU).
Später forderte auch Duisburgs OB Sören Link, ebenfalls SPD, Schulschließungen - und kassierte ebenfalls eine Absage aus Düsseldorf, aus Hagen und Bochum meldeten sich die Oberbürgermeister und kritisierten den Kurs der Landesregierung.
Aber woanders, etwa im Rheinland, haben Schulen ganz unabhängig von der Politik von sich aus wieder auf Online-Unterricht umgestellt. Denn auch Eltern sind wegen der neuen Infektionswelle besorgt; die angekündigten Schnelltests fehlen vielerorts, der versprochene sichere Schulbetrieb steht oft nur auf dem Papier.
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Laschet sitzt ein wenig in der Falle, da er und seine Regierung um Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP) offensiv Lockerungen aus Rücksicht auf das Kindeswohl wollten, seit Montag werden nach den Grundschülern auch schrittweise die Schüler weiterführender Schulen in die Klassen zurückgeholt. Bis zu den Osterferien gibt es Unterricht bei halbierter Klassenstärke im Wechselmodus, während etwa auch in Berlin der Widerstand gegen den Präsenzunterricht wächst.
Ein interner Mail-Verkehr und die Abfuhr aus Düsseldorf
Auf Druck einzelner Städte das wieder zu kassieren, wäre eine bundesweite Steilvorlage für die Gegner des CDU-Chefs, der die Kanzlerkandidatur der Union anstrebt. Seine neue Rolle verschärft die Politisierung der Pandemiebekämpfung. Die SPD an Rhein und Ruhr versucht ihn zu treiben, Kanzlerkandidat Olaf Scholz dürfte das in Berlin gefallen.
In einer neuen Forsa-Umfrage hat die Union nach den Impf- und Schnelltestproblemen sowie der Masken-Korruptionsaffäre vier Punkte verloren und ist auf 29 Prozent gefallen. Und bei der Kanzlerfrage liegt CSU-Chef Markus Söder (36 Prozent) klar vor Grünen-Chef Robert Habeck (21), erst dann folgen Laschet (20) und SPD-Mann Olaf Scholz (15).
Dortmunds Oberbürgermeister Westphal hatte zunächst öffentlich Schulschließungen angekündigt, erst danach, am Dienstag um 17.46 Uhr, schickte der Krisenstab seiner Stadt laut einem dem Tagesspiegel vorliegenden internen Mailverkehr die offizielle Bitte an das Gesundheitsministerium, „eine Allgemeinverfügung für die Schulen der Sekundarstufe I und II zu erlassen, den Präsenzunterricht bis mindestens zum Beginn der kommenden Osterferien auszusetzen“.
Dabei solle die Durchführung von abschlussrelevanten Klausuren und Prüfungen gesichert werden. Für die Grundschulen solle der Präsenzunterricht, bei Angebot einer Notbetreuung, ausgesetzt werden. „Die personellen Ressourcen für diese Notbetreuung sind (…) durch das Land NRW zur Verfügung zu stellen.“
Begründet wurde das mit mehreren Stadtteilen, in denen die Zahl der Neuninfektionen wieder über 100 je 100.000 Einwohner in sieben Tagen gestiegen ist. Und seit der sechsten Kalenderwoche habe sich die Zahl der Infektionen in der Altersgruppe der bis 19-Jährigen etwa verdreifacht. „Ebenso ist der Anteil der Infektionserkrankungen in der Altersgruppe 20 bis 59 Jahre deutlich angestiegen.“
Westphal verweist zudem auf die Aussetzung des Impfens mit dem Astrazeneca-Impfstoff, der vor allem auch für Erzieherinnen und Lehrkräfte zum Einsatz kommen sollte, seit Montag sind in NRW auch wieder untere Jahrgänge der weiterführenden Schulen neben den Grundschulen im Präsenzunterricht.
Am Mittwoch um 9.40 Uhr erfolgte dann per Email die Abfuhr durch das Gesundheitsministerium. „Mit einem heutigen Inzidenzwert von 78,0 liegen Sie sehr deutlich unter der Schwelle des § 16 Absatz 2 Coronaschutzverordnung („deutlich und signifikant über 100“), weshalb auch aufgrund entsprechender Gerichtsurteile die Maßnahme schon aus formalen Gründen rechtlich kaum vertretbar erscheint“, wird vom zuständigen Abteilungsleiter ausgeführt – und gefettet betont: „Zum jetzigen Zeitpunkt kann einer Untersagung des Präsenzunterrichts nicht zugestimmt werden!“
In roter Schrift wird noch darauf hingewiesen, dass die Stadt Dortmund, verschiedene „corona-Mailadressen“ verwendet habe, „die ich nicht zuordnen kann und bei denen ich nicht weiß, welche Stellen Ihre Informationen erreichen“ – es wird gebeten, beim nächsten Mal an das korrekte Zentralpostfach des Ministeriums zu scheiben. Der Einblick zeigt, wie chaotisch mitunter das aktuelle Krisenmanagement betrieben wird - in diesem Fall von den Kommunen.
122er-Inzidenz in Duisburg
In Duisburg ist die Lage noch gravierender, hier liegt die 7-Tage-Inzidenz bei 122 – aber auch Duisburgs OB Link bekam kein grünes Licht für Schulschließungen aus Düsseldorf, obwohl der Wert weit über dem auch vom Gesundheitsministerium angegeben Wert liegt, 122 ist jedenfalls „deutlich und signifikant“ über 100. „Ich bedaure sehr, dass die Landesregierung uns untersagt, die Schulen in Duisburg bis zu den Osterferien zu schließen“, betonte Link daraufhin.
Die steigenden Infektionszahlen hätten „nach meiner festen Überzeugung einen solchen Schritt notwendig gemacht, um Schülerinnen und Schüler, die Lehrkräfte und die Familien zu schützen und eine weitere Verbreitung des Virus und der Mutationen zu erschweren.“
Hier wird nun zumindest ab dem 22. März bei den Kitas wieder auf einen Notbetrieb umgestellt, der Vorwurf von parteipolitischen Spielchen wird hier scharf zurückgewiesen. Denn parallel werden weitere Verschärfungen ergriffen, etwa eine Maskenpflicht im Umfeld von Religionsstätten, und "darüber hinaus soll die Kontaktregel wieder verschärft werden, so dass ein Hausstand lediglich mit einer weiteren Person im öffentlichen Raum zusammen kommen darf", teilt eine Stadtsprecherin mit. Aber auch hier wird erst danach, am Mittwoch um 16.33 Uhr ein erster Entwurf für die Verschärfungspläne an die Landesregierung geschickt.
Nun mag die Landesregierung versuchen, die Sache mit dem Vorwurf vom Tisch zu wischen zu versuchen, es ginge hier vor allem um ein Schwarze-Peter-Spiel gegen Laschet. Aber was, wenn durch das Veto und weitere Ausbrüche in Schulen die Lage sich verschärft in den betreffenden Städten?
Im Laschet-Lager sind sie ziemlich sauer, dass von SPD-Oberbürgermeistern erst einmal medial etwas gefordert wird, ohne dass zunächst konkrete Vorlagen und ausgearbeitete Allgemeinverfügungen vorlagen - auch hier betont man, dass baldige Schulschließungen bei der aktuellen Zahlenentwicklung durchaus eine Option bleiben, aber nicht nach Gutdünken, sondern auf Basis geltender Corona-Regeln - und die Entscheidung bleibe Ländersache.
Westphal sagt bei einem Telefonat mit dem Tagesspiegel: "Montag sind wir über 100." Ohne die Astrazeneca-Impfungen gebe es eine deutliche Verschärfung, wegen des Wechselunterrichts ginge es ohnehin nur um fünf Schultage bis zu den Osterferien.
Die könnten aber entscheidend sein. Bei der Virusmutante gebe es erwiesenermaßen eine Übertragungwahrscheinlichkeit von 100 Prozent von Kindern zu Hause auf ihre Eltern. "Das ist doch jetzt eine ganz andere Lage". Mit Parteipolitik habe das gar nicht zu tun, weist Westphal diese Vorwürfe zurück.
Lehrerverband: "Die Schule wird politisiert"
„Wir teilen die Besorgnis von Oberbürgermeister Westphal“, sagt Michael Röls, Sprecher der Dortmunder Grünen. „Die Landesregierung versagt bei der Pandemiebekämpfung und hat Mitverantwortung für die kommunalen Alleingänge.“ Zugleich spricht er von einer zweischneidigen Sache, Westphals Vorstoß sei überfallartig erfolgt, entscheidend sei Verlässlichkeit.
„Das muss man besser vorbereiten, statt hier auf dem Rücken von Kindern und Eltern so etwas auszutragen,“ Wichtig sei aber mehr Handlungsfreiheit für die Kommunen in so einer Schlüsselfrage, zumal in Dortmund der Anteil der Mutante B.1.17. unter den Neuinfektionen auf über 50 Prozent gestiegen sei. „Wir surfen auf der dritten Welle“.
Andreas Bartsch, Präsident des NRW-Lehrerverbandes, kritisiert die kommunale Machtprobe: „Die Schule wird politisiert.“ Er halte das für unverantwortlich. „Das hat alles ein parteipolitisches Geschmäckle.“ Wichtig sei, dass Lösungen gefunden werden für die Abschlussjahrgänge, dass sie ihre Prüfungen machen können, sonst drohten Jahrgänge ein ganzes Jahr zu verlieren.
Der JU-Chef betont Söders Vetorecht in der K-Frage
Kommende Woche berät Kanzlerin Angela Merkel mit den Ministerpräsidenten über die nächsten Schritte, statt Lockerungen könnte der Lockdown bis Ostern verlängert werden. Zwischen Ostern und Pfingsten will Laschet die K-Frage mit Söder klären. Und angesichts der Rutschpartie der Union unter seiner Führung, wächst der interne Druck auf Laschet.
Junge-Union-Chef Tilman Kuban, betont gegenüber der Funke Mediengruppe, Laschet habe das erste Zugriffsrecht „und Markus Söder hat ein Vetorecht für sich beansprucht“. Und die Aussage, ein Kanzlerkandidat müsse auch die Partei hinter sich versammeln und die Menschen begeistern können, darf Laschet durchaus als Kampfansage gegen ihn empfinden.