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Ländliche Regionen im Blick: die Vorsitzenden der neuen Kommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse".
© Bernd von Jutrczenka/dpa

Wie die Union strukturschwache Regionen stärken will: Landlust statt Landflucht

Die Union will Ernst machen mit der Stärkung ländlicher Regionen. Und Heimatminister Seehofer ist plötzlich kaum wiederzuerkennen.

Ein wenig parteipolitische Heldenpose muss offenbar sein bei dem Thema. Das Kümmern um ländliche Regionen gehöre zur DNA der CSU, brüstet sich deren Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Welches Bundesland, bitteschön, habe als erstes ein Heimatministerium installiert und sei dafür belächelt worden? Und was habe er persönlich für einen „Sturm der Entrüstung“ zu ertragen gehabt wegen seines Hinweises, dass der Prenzlauer Berg nicht Deutschland sei.

Es geht um Heimat an diesem Nachmittag im Sitzungssaal der Unionsfraktion. Genauer: um "Heimat mit Zukunft". Abgeordnete aus CDU und CSU diskutieren mit Experten, Vereinsfunktionären, Bürgermeistern und gewöhnlichen Bürgern darüber, was die Politik tun muss, um ländliche Räume zu stärken. Um Abwanderung zu stoppen, Infrastruktur zu halten, den Menschen dort ein gleichwertiges Leben zu ermöglichen. Und nicht zuletzt, obwohl das nur dezent anklingt: Um dem Politikfrust von sich abgehängt fühlenden Bürgern und deren Anfälligkeit für Rechtspopulismus zu begegnen.

Die Botschaft lautet: Wir kümmern uns

Wir kümmern uns, lautet die Botschaft. Und das Ganze läuft an wie eine Konzertierte Aktion. Kurz zuvor, am gleichen Tag, kam erstmals die frisch gegründete Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ zusammen Minister, Regierungschefs und Vertreter kommunaler Spitzenverbände sollen Vorschläge erarbeiten, um Benachteiligung in strukturschwachen Gegenden zu verhindern. Den Vorsitz hat Heimatminister Horst Seehofer, sechs Arbeitsgruppen befassen sich dort in den nächsten Monaten ausgiebig mit Verschuldung von Kommunen, Ausbau von Infrastruktur, sozialer Vorsorge, Zusammenhalt der Gesellschaft. „Wir möchten“, verkündete Seehofer via Twitter, „dass alle Menschen gut leben können und zwar dort wo sie leben wollen.“

Nur mit einer „Renaissance des ländlichen Raums“ ließen sich die zunehmenden Wohnungsmarkt- und Verkehrsprobleme des Landes in den Griff bekommen, mahnt nun der neue Fraktionschef Ralph Brinkhaus. „Wir können ja nicht immer noch höhere Häuser bauen und noch mehr verdichten.“ Und Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner beteuert, dass sie keine Neiddebatte wolle. Doch momentan werde „unglaublich viel über Wohnraumförderung in Städten geredet“. Dass es anderswo Leerstand gebe und alte Menschen ihre viel zu groß gewordenen Häuser nicht verkauft bekämen, müsse genauso auf die Agenda.

Landkreistag fordert "Fluchtursachenbekämpfung"

„Fluchtursachenbekämpfung" - so nennt Hans-Günter Henneke vom Deutschen Landkreistag das Haupterfordernis für ländliche Regionen – in hübscher Anspielung auf die Migrationsdebatte, über der die Union manches andere aus den Augen verloren zu haben schien. Schnelles Internet, verlässliche Busanbindung, wohnortnahe Schulen, Einkaufsmöglichkeiten, Pflege, ärztliche Versorgung, bessere Unterstützung derer, sich in Ehrenämtern engagieren: Die Dringlichkeitsliste ist lang. Und bei alledem werde es, so prophezeit der Funktionär, noch „heftige Verteilungskämpfe" geben.

„Wir haben über Jahre und Jahrzehnte zu wenig in die Vernetzung Deutschlands investiert“, resümiert Dobrindt – als jahrelang für Digitalisierung und Verkehrsanbindung Zuständiger. Und fordert nun, jede politische Entscheidung einem Check zu unterziehen, „ob sie taugt für ländliche Regionen und dort auch umsetzbar ist“. Schließlich, so der CSU-Politiker, lebten nicht nur 70 Prozent der Bürger abseits der Ballungszentren. Es werde dort auch 60 Prozent der wirtschaftlichen Wertschöpfung erbracht.

Für gleichwertige Lebensverhältnisse braucht es mehr Flexibilität

Jedoch ist ländlicher Raum nicht ländlicher Raum, wie Reiner Klingholz vom Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung betont. In den brummenden Regionen des Südwestens gebe es andere Probleme als im Osten, wo seit der Wende mancherorts die Hälfte der Einwohner verloren ging.

Insofern brauche es weniger Gießkannen-Investition als den Mut zu regionalen Lösungen. Das Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse bedeute nicht, überall gleiche Maßstäbe und Normen anzulegen, so Klingholz. Oft sei dafür gerade das Gegenteil nötig: alternative Versorgungskonzepte, mobile Arztpraxen, flexible Verkehrsmittel, Fernschulen. Wenn es den Menschen vor Ort helfe, müsse man Mindestschülerzahlen oder Personenförderungsgesetz auch mal ignorieren.

Seehofer ist in seiner Harmonieoffensive kaum wiederzuerkennen

Nur etwas später, einen Sprung entfernt im Berliner Museum für Kommunikation, eröffnet Seehofer dann die erste öffentliche Veranstaltung der neuen Heimatabteilung seines Ministeriums. Der Titel ist wenig volksnah und eine Fragestellung. Er lautet: „Heimat: Überkommenes Relikt oder Antwort auf das Bedürfnis nach Orientierung und Zusammenhalt in einer globalisierten Welt?“ In der ersten Reihe Abteilungsleiter Markus Kerber, einst Planer und Ideengeber der ersten Islamkonferenz. Und neben dem Minister sein niederbayerischer Landsmann, der Kabarettist Django Asül, der in Wirklichkeit Ugur Bagislayici heißt und launig über seine tiefen Wurzeln in der Marktgemeinde Hengersberg räsöniert.

Der Gastgeber scheint vom eigenen Slogan des „guten Lebens für alle“ zu diesem Zeitpunkt schon so hingerissen, dass er, der noch vor kurzem von Migration als „Mutter aller Probleme“ raunte, nun wie ein ganz anderer wirkt. Nur seine „Obergrenze“ für Flüchtlinge verteidigt Seehofer kurz, ohne dass das Wort fällt. Ansonsten: ein Bekenntnis zur Vielfalt des Heimatbegriffs, zur Gestaltungsmacht von Politik, die sich Sachzwängen nicht beugen müsse, und aufs gelungene Zusammenleben in Städten wie Augsburg und Nürnberg mit etwa 40 Prozent Migrantenanteil.

"Ganz sicher, dass wir das schaffen werden"

Stirnrunzeln auf dem Podium, bei Seehofers Nachbarin, der Erlanger Politikprofessorin und Regionalentwicklungsfachfrau Petra Bendel: Wenn Seehofer das so sehe, könne er politisch doch auch mehr in diese Richtung kommunizieren. Doch damit irritiert die Professorin nur kurz, Seehofers Harmonieoffensive rollt weiter. Und am Ende variiert der Minister gar den meistumstrittenen Satz der letzten Jahre aus dem Mund seiner Lieblingsgegnerin: Für gutes Zusammenleben, die Chancen für alle, sei er „ganz sicher, dass wir das schaffen werden.“ Wenn das die Kanzlerin gehört hätte.

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