Verfassungsschutz verschärft Beobachtung: Länder setzen Querdenker unter Druck
Die Entscheidung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Coronaleugner zu beobachten, animiert den Nachrichtendienst mehrerer Länder zu härterem Kurs.
Coronaleugner und Verschwörungsmythiker geraten nun auch in den Bundesländern stärker unter Druck. Nach der Entscheidung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) vom Mittwoch, die Szene als „Sammelbeobachtungsobjekt“ zu durchleuchten, legen Landesbehörden des Nachrichtendienstes nach.
In Nordrhein-Westfalen ist offenbar zu erwarten, dass der Verfassungsschutz einige Gruppierungen als extremistischen „Verdachtsfall“ einstuft und mit nachrichtendienstlichen Mitteln unter die Lupe nimmt, wie dem Einsatz von V-Leuten.
„Aufgrund der zunehmenden Radikalisierung wird der Verfassungsschutz die demokratiefeindlichen und sicherheitsgefährdenden Bestrebungen innerhalb dieser Bewegung beobachten“, teilte das Innenministerium am Donnerstag auf Anfrage des Tagesspiegels mit. Maßgeblich sei beispielsweise „das Verhalten der Corona-Rebellen Düsseldorf“ und der Querdenken-Bewegung in NRW, hieß es. Das ist auch für Berlin von Bedeutung.
Die Corona-Rebellen Düsseldorf hatten sich am 29. August 2020 am versuchten Sturm von Querdenkern, Reichsbürgern und Rechtsextremisten auf das Reichstagsgebäude beteiligt. Die überraschte Polizei konnte nur mit Mühe verhindern, dass die Randalierer in den Bundestag eindrangen. Sicherheitskreise sagten nach dem Vorfall, die Corona-Rebellen seien eine treibende Kraft gewesen.
„Weitere rechtliche Möglichkeiten“
Landesbehörden für Verfassungsschutz können selbst entscheiden, mit welcher Intensität sie sich am Sammelbeobachtungsobjekt des Bundesamtes beteiligen. Sachsens Innenministerium betonte, dem Landesamt für Verfassungsschutz stünden nun „weitere rechtliche Möglichkeiten zur Verfügung“, die Querdenkerszene zu bewerten.
Ähnlich reagierte am Donnerstag Rheinland-Pfalz. Vor der Entscheidung des BfV hatten bereits die Verfassungsschutzbehörden von Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg und Berlin die Beobachtung von Coronaleugnern und Verschwörungsmythikern eingeleitet.
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Bremen teilte jetzt mit, „Teilbereiche dieser sehr heterogenen Szene“ würden bereits vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Es gebe „Überschneidungen mit dem Rechtsextremismus und dem Reichsbürger-Milieu“. Brandenburgs Innenministerium begrüßte die Entscheidung des BfV.
Es hieß allerdings auch, die Schwerpunkte der Querdenken-Bewegung lägen „bislang außerhalb des Bundeslandes“. Die Protest-Funktion der „Querdenken“-Bewegung werde in Brandenburg vielmehr von der AfD und nahestehender Strukturen wie dem Verein „Zukunft Heimat“ breit wahrgenommen. Der Brandenburger Verfassungsschutz bewertet den AfD-Landesverband als Verdachtsfall, der Cottbuser Verein „Zukunft Heimat“ ist sogar als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft.
„Durchaus verfassungsfeindliche Züge“
In Niedersachsen wird eine Einstufung von Querdenkern als Verdachtsfall offenbar nicht ausgeschlossen. Innenminister Boris Pistorius (SPD) sagte, „die Querdenker-Szene ist aktuell zwar noch kein Beobachtungsobjekt des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Aber wir nehmen eine zunehmende Radikalisierung und eine zunehmende rechtsextremistische Unterwanderung wahr.“
Die Protestformen hätten „durchaus verfassungsfeindliche Züge“. Rechtsextremisten fänden Anschlussfähigkeit für ihre Ideologie und Propaganda. „Wir haben das ständig im Blick“, betonte Pistorius.
Aktivitäten eines Rechtsextremisten „stechen hervor“
Das Innenministerium von Sachsen-Anhalt teilte mit, „das vielfältige coronabedingte Protestgeschehen“ werde bereits seit dem vergangenen Jahr „fortlaufend auf verfassungsfeindliche, insbesondere demokratiefeindliche Aktivitäten geprüft“. Im Land fänden Versammlungen statt, „bei denen Hinweise auf Verbindungen einzelner Teilnehmer zur „Querdenker-Szene“ vorliegen“.
Die zahlreichen regelmäßigen Aktivitäten des Rechtsextremisten Sven Liebich in Halle „stechen hervor“. Mittlerweile habe Liebich seinen Aktionsradius auch auf andere Orte – Teilnahme an Kundgebungen und Autokorsos, Rodeln im Brockengebiet oder im sächsischen Oberwiesental – ausgedehnt. Im Burgenlandkreis initiiere und beteilige sich der Vorsitzende der neonazistischen „Artgemeinschaft“ am coronabedingten Protestgeschehen. Reichsbürger veranstalteten zudem regelmäßig an der Bundesstraße 81, Höhe Heynburg, Proteste.
Coronaleugner drohte mit Schüssen auf Polizei
Unterdessen hat das Amtsgericht Dresden einen Coronaleugner zu einer Geldstrafe in Höhe von 900 Euro verurteilt. Der Mann hatte im März in einem Interview während einer Demonstration in der Stadt gedroht, Polizisten zu erschießen. Der Spruch wurde im Internet verbreitet.
Der Mann habe billigend in Kauf genommen, dass seine Äußerung von einem großen Teil des Publikums der Social-Media-Plattform als Ankündigung verstanden würde, zwei Polizeibeamte zu erschießen, „und dieses Publikum daher verunsichern und einschüchtern würde“, sagte die Staatsanwaltschaft Dresden.
Blog „Politically Incorrect“ als „erwiesen extremistisch“ eingestuft
Am Donnerstag wurde zudem bekannt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz den islamfeindlichen Blog Politically Incorrect alias PI News als erwiesen extremistisch eingestuft hat. Darüber hatte zuerst der „Spiegel“ berichtet. Auf 2004 von einem Kölner Sportlehrer installierten Website hetzen Autoren nicht nur gegen den Islam, sondern auch gegen Linke und viele andere Strömungen, die nicht ins rechte Weltbild passen.
Die Querdenker hingegen werden bei PI News verteidigt. Der Blog lieferte nun gerade am Donnerstag wieder mit einem verschwörungstheoretischen Text einen Beleg für die Radikalisierung seiner Autoren. Einer bezeichnete das Bundesamt für Verfassungsschutz wegen der Beobachtung Coronaleugnern als „Bundes-Stasi“.
Es gehe um „Einschüchterung, Diffamierung und Ausgrenzung einer großen und wachsenden Bürgerbewegung, mit der die Corona-Demokratur des politmedialen Machtkomplexes konfrontiert ist“. Behauptet wird, die „derzeit Mächtigen“ hätten die Grundlage des politischen und gesellschaftlichen Systems in Deutschland „ausgeschaltet“. Der Blog ist zudem populär in Teilen der AfD.
So gratulierten mehrere Bundestagsabgeordnete im November in einem Video PI News zum 15-jährigen Bestehen. Der Abgeordnete Hansjörg Müller sagte, „Ihr seid für uns und auch für mich persönlich ganz, ganz enge Mitstreiter für diesen gerechten Kampf, für Demokratie und Meinungsfreiheit und gegen den Tugendterror der Political Correctness.“
Mit der Einstufung als „erwiesen extremistisch“ fasst das BfV den Blog noch härter an als die ebenfalls rechte Zeitschrift „Compact“, die auch Verschwörungsmythen verbreitet und sogar Freiheit für die NSU-Terroristin Beate Zschäpe forderte. „Compact“ wurde im März 2020 vom Bundesamt zum „Verdachtsfall“ erklärt. Das ist die Vorstufe zu „erwiesen extremistisch“.