Bericht des Opferbeauftragten: Kurt Beck fordert höhere Entschädigungen nach Terroranschlägen
Hilfe in Zeiten des Terrors: Opferbeauftragter Kurt Beck kritisiert den Umgang mit den Angehörigen und Opfern des Attentats vom Breitscheidplatz.
72 Stunden dauerte es bis zur Identifikation der Opfer. Eine Rechnung der Gerichtsmedizin für die Obduktion wurde kurz danach verschickt. Der Trauergottesdienst fand ohne die Angehörigen statt und ein offizielles Schreiben deutscher Behörden kam erst nach Wochen.
Die Opfer und Hinterbliebenen des Terroranschlages auf dem Breitscheidplatz beklagen zahlreiche Versäumnisse von Politik und Behörden. Am Mittwoch hat auch Kurt Beck, der Opferbeauftragte der Bundesregierung, bei der Vorstellung seines Abschlussberichts Kritik am Umgang mit den Betroffenen geäußert und Verbesserungen angemahnt. „Es hat unmittelbar nach dem Ereignis Erfahrungen gegeben, die sich nicht wiederholen dürfen“, sagte der SPD-Politiker und ehemalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident. Er war im März zum Beauftragten der Opfer und Hinterbliebenen des Anschlags mit zwölf Toten und mehr als 70 Verletzten ernannt worden.
Im Falle eines Anschlags, so Beck, müsse künftig bereits vor Ort eine „gut sichtbare“ Anlaufstelle für Angehörige eingerichtet werden. Nach dem Attentat am Breitscheidplatz hätten Hinterbliebene nicht mehr an den Ort des Geschehens gekonnt, weil dieser abgeriegelt worden sei. Sie seien durch die Stadt geirrt und hätten die Krankenhäuser abgefahren, um ihre Verwandten zu finden.
Dauerhafte Ansprechstelle
Zudem müsse auch die Identifikation der Opfer beschleunigt werden. Dass das nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz bis zu drei Tage gedauert habe, obwohl die Gesichter der Opfer nicht entstellt waren und sogar teilweise Ausweispapiere vorlagen, sei „eine furchtbare Erfahrung für die Angehörigen“ gewesen. Es sei auf Gegenstände zum Genvergleich gewartet worden, wie etwa Zahnbürsten. „In Zukunft muss eine vorläufige Identifizierung ermöglicht werden, um Orientierung für suchende Angehörige zu geben.“
Darüber hinaus plädierte Beck für eine dauerhafte Ansprechstelle für Terroropfer. Diese solle „im Stand-by“ gehalten und bei Bedarf aktiviert werden können. Es wäre also die Verstetigung der Institution des Opferbeauftragten. Von hier sollten Traumabehandlungen vermittelt und Anträge auf Entschädigungen an die zuständigen Stellen weitergeleitet werden.
Bei diesen materiellen Hilfen sieht Beck großen Handlungsbedarf. Man könne zwar das Leben eines Menschen nicht mit Geld aufwiegen, doch eine finanzielle Entschädigung könne verhindern, dass zur Trauer auch noch Existenzängste kämen, sagte er.
"Finanzielle Hilfen nicht ausreichend"
Betroffene können derzeit Geld unter anderem aus einem beim Bundesjustizministerium angesiedelten Härtefonds beziehen – über das Opferentschädigungsgesetz oder über die Verkehrsopferhilfe. Doch die Härtefallleistungen liegen laut Beck im Fall des Todes eines Partners, Elternteils oder Kindes nur bei 10 000 Euro. „Das ist im Vergleich mit anderen Staaten im unteren Mittelfeld und nicht ausreichend“, monierte Beck. Es sei eine deutliche Anhebung vorzunehmen.
Zudem brauche es eine Änderung des Opferentschädigungsgesetzes. Das sieht auch Justizminister Heiko Maas (SPD) so. Laut Beck gab es nach dem Terroranschlag vom Breitscheidplatz Zweifel, ob das Gesetz überhaupt greife. Denn darin steht, es sei nicht anzuwenden, wenn der Angreifer ein Kraftfahrzeug verwendet habe. Das Gesetz sei dann zwar trotzdem zur Anwendung gekommen, sagte Beck, „aber diesen Zweifel darf es nicht geben“. Die Verkehrsopferhilfe wiederum, ohne die viele Gelder gar nicht geflossen wären, trat eben nur deshalb auf den Plan, weil die Tatwaffe ein Lkw war.
"Größere Anteilnahme erwartet"
Nach den Worten der stellvertretenden Regierungssprecherin Ulrike Demmer sollen Becks Vorschläge zügig umgesetzt werden. Der Bundestag stimmte am Mittwoch ebenfalls für einen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen, der die Bundesregierung dazu auffordert, die Opferentschädigung zu verbessern.
Kritisiert hatten Hinterbliebene und Opfer aber auch die späte Anteilnahme der Bundesregierung. In einem offenen Brief an Angela Merkel warfen sie der Bundeskanzlerin vor, dass „Sie uns auch fast ein Jahr nach dem Anschlag weder persönlich noch schriftlich kondoliert haben“. Beck sagte, er habe Verständnis dafür, „dass man eine größere Anteilnahme von staatlicher Stelle erwartet hätte“. Er habe die Frustration der Angehörigen auch an Merkel weitergetragen. Am Montag wird sich die Kanzlerin nun mit Überlebenden und Angehörigen treffen.