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ZPS-Aktionskünstler Jenni Mol und Morius Enden im November 2017.
© Imago/Steve Bauerschmidt

"Angriff auf die Kunstfreiheit": Künstler kritisieren ZPS-Ermittlungen in Thüringen

Das Vorgehen von Thüringens Justiz gegen das "Zentrum für politische Schönheit" hat ein weiteres Nachspiel: Fast 100 Kulturschaffende protestieren dagegen.

Die Ermittlungen gegen das "Zentrum für politische Schönheit" (ZPS) sind eingestellt, für viele Künstler aber ist der Vorgang aber dennoch nicht abgeschlossen. Dass die Staatsanwaltschaft Gera überhaupt nach Paragraph 129 des Strafgesetzbuches - Bildung einer kriminellen Vereinigung - gegen die Aktionskünstler ermittelte, empört fast 100 von ihnen. Am Donnerstag veröffentlichten sie auf Initiative von Shermin Langhoff, der Intendantin des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin, einen offenen Brief an die "politisch Verantwortlichen" in Thüringen.

"Mit Fassungslosigkeit" habe man Anfang April zur Kenntnis genommen, dass seit 16 Monaten gegen das ZPS - namentlich den Gründer Philipp Ruch - ermittelt werde, heißt es in dem Brief. Dies sei ein "bedrohlicher Angriff auf die Meinungs- und Kunstfreiheit".

Die Aktionskünstler hatten im November 2017 einen Nachbau des Holocaust-Mahnmals in Bornhagen im Eichsfeld errichtet, direkt neben dem Grundstück des thüringischen AfD-Chefs Björn Höcke, der die Berliner Gedenkstätte im Januar 2017 in seiner Dresdner Brandrede als "Denkmal der Schande" bezeichnet hatte. Die Kopie des Stelenfelds steht bis heute in Bornhagen.

Unterstützer: Herbert Grönemeyer, Lea Rosh, Milo Rau

Erstunterzeichner des Briefes sind unter anderem der Musiker Herbert Grönemeyer, der Satiriker Jan Böhmermann, die Schriftsteller Saša Stanišić, Robert Menasse, Sibylle Berg und Sophie Passmann, die Sozialwissenschaftlerin Naika Foroutan, Lea Rosh als Initiatorin des Holocaust-Mahnmals in Berlin, der Menschenrechtler Peter Steudtner, die Schauspielerin Katja Riemann, der Europaabgeordnete Martin Sonneborn (Die Partei), Linken-Parteichefin Katja Kipping, die Musiker von Feine Sahne Fischfilet, das Team des Hebbel am Ufer sowie die Regisseure Dani Levy und Milo Rau. Auch mehrere Journalisten haben den Brief unterzeichnet, unter ihnen Deniz Yücel, Can Dündar, Sonia Seymour Mikich und Friedrich Küppersbusch.

Auf der Plattform change.org sammelt Langhoff die Unterschriften von weiteren Unterstützern für die Petition.

Das umstrittene Ermittlungsverfahren war am Montag eingestellt worden, der mutmaßlich AfD-nahe Staatsanwalt Martin Zschächner wurde innerhalb der Geraer Ermittlungsbehörde versetzt und von seinem Posten als Pressesprecher abberufen. Die Einstellung der Ermittlungen hatte Thüringens Justizminister Dieter Lauinger (Grüne) nach heftiger öffentlicher Debatte mit vermittelt. Er hatte die Aufnahme des Ermittlungsverfahrens zunächst verteidigt, sich aber über dessen lange Dauer verwundert gezeigt.

Lauinger erklärte am Donnerstag vergangener Woche dem Tagesspiegel: "Die Einleitung des Ermittlungsverfahrens beruhte auf eigenem Verhalten des Zentrums für politische Schönheit und war nicht politisch motiviert. Gegenteilige Vorwürfe sind Unsinn." Die Ermittlungen waren von Zschächner damit begründet worden, dass das ZPS im Zusammenhang mit der Anti-Höcke-Aktion in Bornhagen eine umfassende Observierung des AfD-Politikers angekündigt hatte.

Die Unterzeichner des offenen Briefes verweisen darauf, dass die Aktion in Bornhagen laut einem Urteil des Landgerichts Köln vom Februar 2018 "in allen wesentlichen Teilen von der Kunstfreiheit gedeckt" sei. Ungeachtet dessen sei das Geraer Ermittlungsverfahren nach Paragraph 129 nicht eingestellt worden.

Weiter heißt es: "Die Ignoranz, mit der Justizminister Lauinger - als Aufsichtsbehörde - meint, die Künstlergruppe sei quasi 'selber schuld', weil sie sich , selbst einer Straftat bezichtigt' habe, macht in diesem Zusammenhang sprachlos." Wenn in Thüringen noch immer von der Richtigkeit des Verfahrens ausgegangen werde, sei das "schwer erträglich".

Die Absender des offenen Briefes fordern eine offizielle Entschuldigung der politisch Verantwortlichen. Es müsse sichergestellt sein, dass "strafrechtliche Ermittlungen, die offensichtlich den Kernbereich der Kunstfreiheit berühren", in Zukunft unterbleiben, heißt es. Die zu beobachtende Tendenz zur politisch-ideologischen Kriminalisierung von Kunst gefährde das Gemeinwesen und die freiheitlich-demokratische Grundordnung: "Wir sind zwar fassungslos, aber nicht verfassungslos."

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