Nach Übergriffen auf Soldatinnen und Soldaten: Kriminologe soll Führungsstrukturen der Bundeswehr untersuchen
Erniedrigende Aufnahmerituale und sexuelle Übergriffe - das Verteidigungsministerium holt nun den früheren Direktor des Kriminologischen Instituts in Niedersachsen, Christian Pfeiffer, zu Hilfe. Er soll die Strukturen der Truppe analysieren und Verbesserungsvorschläge machen.
Das Bundesverteidigungsministerium hat den früheren Direktor des Kriminologischen Instituts in Niedersachsen, Christian Pfeiffer, beauftragt, die Hintergründe sexueller Übergriffe und Misshandlungen in der Bundeswehr zu untersuchen. Das geht aus einer Unterrichtung des Verteidigungsausschusses durch Generalinspekteur Volker Wieker hervor, die dem Tagesspiegel vorliegt. Der Ausschuss will am Mittwoch über den Bericht beraten. Anlass waren Informationen über herabwürdigende Aufnahmerituale, verbunden mit sexuellen Übergriffen, an verschiedenen Bundeswehrstandorten. Betroffen sind vor allem Elite- und Ausbildungseinheiten.
So wurden bei der Sanitätsausbildung im baden-württembergischen Pfullendorf entwürdigende Untersuchungsmethoden, wie rektale Temperaturmessungen, und geschmacklose Präsentationen eingesetzt. Lehrgangsteilnehmer wurden genötigt, sich ganz oder teilweise zu entkleiden. In einer Gebirgsjägereinheit in Oberbayern soll ein Soldat von Kameraden und Vorgesetzten über einen längeren Zeitraum hinweg sexuell belästigt und genötigt worden sein. Wiekers Bericht befasst sich vor allem mit Pfullendorf. Seinen Angaben zufolge wurden fünf von sieben Beschuldigten aus der Bundeswehr entlassen. Ein staatsanwaltliches Ermittlungsverfahren sei anhängig.
Der Generalinspekteur sieht bei den Vorkommnissen klare Führungs- und Kommunikationsdefizite. „Sachorientierte Führung, klare Kommunikationsstrukturen und ein kameradschaftlicher Umgang wurden in Teilen durch informelle Strukturen und übersteigerten Korpsgeist untergraben“, schreibt er. Pfeiffer soll nun Schwachstellen aufdecken und Verbesserungsvorschläge ausarbeiten.
Die Linkenpolitikerin Christine Buchholz, die ihre Partei im Verteidigungsausschuss vertritt, begrüßt das. Am Grundproblem ändere das aber nichts, sagte sie dem Tagesspiegel. „Frau von der Leyen versucht, den Blick auf die Verbesserung von Führungsstrukturen zu lenken, damit sie nicht über die Ausrichtung der Streitkräfte reden muss.“ Die Vorgänge in Pfullendorf und Bad Reichenhall seien keine Betriebsunfälle, sondern Symptom. „Es ist eine Illusion zu glauben, man kann die Bundeswehr in immer mehr Einsätze schicken, ohne dass dies die Menschen und die Organisation im Innern verändert. Die Verrohung beginnt nicht erst im Krieg, sondern offenbar bereits in der Vorbereitung darauf.“