zum Hauptinhalt
Unter Männern. Frauen sind in der Bundeswehr in der Minderzahl – und haben einen schweren Stand. Ministerin Ursula von der Leyen will das ändern.
© imago/Christian Thiel

Sexuelle Belästigung bei der Bundeswehr: Oppositionspolitiker üben Kritik an von der Leyen

Sexualisierte Gewalt und Erniedrigung in der Bundeswehr sind ein strukturelles Problem – wie neueste Fälle zeigen. Auch Ministerin von der Leyen schaltet sich ein.

„Widerwillig“ und nur „scheibchenweise“: Mehrere Mitglieder des Verteidigungsausschusses im Bundestag kritisieren, sie seien zu spät über die schwerwiegenden Vorfälle am Bundeswehrstandort Bad Reichenhall informiert worden. Ein Soldat soll dort von Kameraden und Vorgesetzten sexuell belästigt und genötigt worden sein, insgesamt wird gegen 14 Soldaten ermittelt – unter anderem auch wegen Volksverhetzung. Obwohl es schon länger Gerüchte gegeben hatte, informierte das Verteidigungsministerium den Verteidigungsausschuss erst am Montagabend.

Die Vorfälle ereigneten sich zwischen November 2015 und September 2016 in einer Kaserne der Gebirgsjäger, die als Elite-Einheit innerhalb der Bundeswehr gelten. Nach Meinung von Christine Buchholz, der verteidigungspolitischen Sprecherin der Linken, ein systemisches Problem. „In Einheiten, die für Kampfeinsätze vorbereitet werden, gibt es offenbar eine Häufung von sexuellen Übergriffen und sadistischen Ritualen“, sagte sie dem Tagesspiegel. Erst Ende Januar war bekannt geworden, dass es in einer Ausbildungskaserne in Pfullendorf sexuell erniedrigende Praktiken und Aufnahmerituale gegeben haben soll.

Posen, Muskelspiel, Aufforderung zum Sex

Bereits damals habe das Ministerium „zu spät und nur unzureichend informiert“, kritisiert die Grünen-Politikerin Agnieszka Brugger – man habe offenbar nicht vor, „diese miserable Informationspraxis zu ändern“. Im aktuellen Fall in Bad Reichenhall kritisieren neben Brugger auch die Linke Buchholz und der SPD-Politiker Rainer Arnold die Informationspolitik des Verteidigungsministeriums. Alle drei sind Mitglieder des Verteidigungsausschusses.

Das Bekanntwerden des Skandals um die Gebirgsjäger fällt zusammen mit der Veröffentlichung eines offenen Briefes auf der Internetseite des Ministeriums. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) schaltete sich hier persönlich in die Aufarbeitung eines anderen Falls sexueller Belästigung in der Bundeswehr ein. Nach Angaben der Ministerin wurde die betroffene Soldatin „von einem Kameraden körperlich bedrängt und sexuell belästigt“. Leyen kritisierte die Begründung für die Einstellung des Verfahrens als „inakzeptabel“ und „abenteuerlich“.

Nach Angaben der Ministerin schrieb die Staatsanwältin: „Bei dem von Ihnen beschriebenen ,Imponiergehabe‘ des Beschuldigten (Posen, Muskelspiel, Aufforderung zum Sex, Griff an das Gesäß) ist jedoch nach allgemeinem (vorwiegend männlichem) Verständnis davon auszugehen, dass der Beschuldigte sein ,Interesse‘ an Ihnen damit kundtun und nicht, dass er Sie beleidigen wollte.“ Leyen kritisierte die Interpretation als „aus der Zeit gefallen“. Sie zerstörten das Vertrauen von Opfern sexueller Übergriffe, an übergeordneter Stelle Verständnis und Schutz zu finden.

Die Hälfte aller Soldatinnen wurde bereits belästigt

Das ist nach Ansicht von SPD-Mann Arnold in der Bundeswehr ein generelles Problem: „Viele trauen sich bei Problemen und Übergriffen nicht, sie zu melden.“ Trotzdem ist die Zahl der beim Wehrbeauftragten gemeldeten Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zwischen 2015 und 2016 um 50 Prozent gestiegen – auf 131 Fälle. „Die tatsächliche Zahl sexuell motivierter Übergriffe dürfte höher liegen“, notiert der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels (SPD) in seinem Jahresbericht. Eine Studie aus dem Jahr 2014 habe außerdem ergeben, das 50 Prozent der Soldatinnen angegeben haben, während ihrer Bundeswehrzeit schon einmal belästigt worden zu sein.

„Die aktuellen Ereignisse zeigen, dass Frauen in der Bundeswehr weiterhin einen extrem schweren Stand haben“, sagt Linken-Politikerin Buchholz. Das beginnt schon bei verbalen Übergriffen. So wird im Bericht des Wehrbeauftragten ein Beispiel genannt, in dem ein Vorgesetzter zu einer Soldatin sagt: „Zu dumm zum Fressen, zu dumm zum Ficken, aber Hauptsache, alles kaputt machen.“

In Pfullendorf ließen Ausbilder die Rekruten nackt antreten oder vor versammelter Mannschaft im Analbereich untersuchen. Wie die sexuellen Übergriffe im Fall Bad Reichenhall abgelaufen ist, blieb in dem Schreiben des Verteidigungsministeriums offen. Laut einem Sprecher ist aber derzeit ein Abschlussbericht in Arbeit, in dem alle Vorfälle der vergangenen zwei Jahre aufgearbeitet werden sollen. Dieser werde dem Verteidigungsausschuss zugehen. Deswegen nehme man die Kritik an der Informationspraxis des Ministeriums auch „mit Unverständnis auf“.

"Weichgespült und zu Tode geprüft"

Ausgehend von dem Bericht will das Ministerium schließlich weitere Maßnahmen ableiten. Nach den Vorfällen in Pfullendorf hatte die Ministerin bereits kurzfristig eine Ansprechstelle für Gewalt und Diskriminierung eingerichtet.

Die strukturellen Probleme dürfte das aber kaum lösen. SPD-Politiker Arnold sieht diese etwa bei den Vorgesetzten, die häufig über Fälle von Mobbing und sexueller Belästigung hinwegsähen. Dass solche Vorfälle verstärkt im Bereich der Kampftruppen vorkommen, erklärt er außerdem mit dem „verschworenen Gemeinschaftsgefühl“, das dort herrsche. „Es wird sich gegenseitig geschützt und gedeckt.“ Buchholz glaubt außerdem, dass „die Orientierung auf Auslandseinsätze und offensive Kampfoperationen“ Bedingungen schafft, „die solche Übergriffe und brutalisiertes Verhalten befördern“. Auch bei der Aufklärung muss laut Arnold viel passieren: „So manches wird weichgespült, schöngeredet und zu Tode geprüft.“

Zur Startseite