Gewalteskalation in Venezuela: Kriegsherr Maduro in der Defensive
Venezuelas Präsident Maduro klammert sich an die Macht. Er lässt Proteste gewaltsam niederschlagen und kritische Militärs festnehmen. Im Land wächst zudem die Sorge um den inhaftierten Oppositionsführer López.
Venezuelas Präsident Nicolas Maduro versucht mit allen Mitteln, an der Macht zu bleiben. Nachdem er in den vergangenen Wochen Massenproteste immer wieder gewaltsam niederschlagen ließ, geht er jetzt offenbar gegen kritische Militärs vor. Nach Angaben aus der venezolanischen Opposition sind wegen Kritik am Vorgehen der Regierung 85 Offiziere der Streitkräfte festgenommen worden. „In den Streitkräften gibt es Unzufriedenheit“, sagte einer der Führer der Opposition, Henrique Capriles, in Caracas. Das sei noch nicht die Mehrheit, man müsse erreichen, dass sich auch die Spitze vom sozialistischen Präsidenten abwendet.
Capriles betonte, er habe die Information direkt aus dem Militär erhalten, mit der Bitte, sie öffentlich zu machen. Bei den blutigen Ausschreitungen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten starben seit Anfang April insgesamt 37 Menschen, mehr als 800 wurden verletzt. Im Einsatz waren dabei unter anderem Nationalgarde und Polizei. „Ich bin informiert worden, dass es noch mehr Festnahmen gibt, die meisten im Heer, vor allem junge Offiziere sind festgenommen worden“, sagte Capriles, der 2013 bei der Präsidentschaftswahl nur knapp gegen Maduro verloren hatte.
Noch zeigt sich das Militär loyal
Das Militär ist der Schlüsselfaktor in dem Konflikt. Maduro hat gezielt versucht, seine Macht dort auszubauen. Zum einen durch finanzielle Zuwendungen, zum anderen sind von den 32 Ministern elf Militärangehörige, auch das schafft Loyalität. Das Militär verdient außerdem mit diversen staatlichen Unternehmen gutes Geld. Bisher ist unklar, wie sich das Militär verhalten würde, wenn die Lage weiter eskaliert – und ob Maduro einen Putsch fürchten muss. Die Opposition in Venezuela will den Druck auf Maduro trotz der ausufernden Gewalt aufrechterhalten. Für Samstag kündigten die Regierungsgegner einen Protestmarsch weißgekleideter Demonstrantinnen in der Hauptstadt Caracas an.
Demonstranten und Sicherheitskräfte liefern sich seit Beginn der Protestwelle Anfang April fast täglich Straßenschlachten, bei denen mehr als 700 Menschen verletzt wurden. Beide Seiten machen sich gegenseitig für die Gewalt verantwortlich. Die Mitte- Rechts-Opposition kämpft unter anderem für vorgezogene Parlamentswahlen und eine Volksabstimmung über die Absetzung von Maduro, dessen Mandat regulär im Januar 2019 endet.
Die Regierungsgegner laufen außerdem Sturm gegen die geplante Verfassungsreform, die der Präsident am Montag angekündigt hatte. „Das Regime fällt“, sagte am Freitag die Ehefrau des inhaftierten Oppositionspolitikers Leopoldo López, Lilian Tintori. „Es hat keine Kraft und zeigt sein wahres Gesicht, indem es Waffen einsetzt.“
Der Tweet eines im Exil lebenden Journalisten über López’ Gesundheitszustand hatte am Donnerstag Besorgnis in der Opposition ausgelöst. López sei nach einer Vergiftung ins Krankenhaus eingeliefert worden, schrieb der Journalist Leopoldo Castillo auf dem Kurznachrichtendienst. Seine Angehörgen haben den wohl bekanntesten Häftling des Landes seit dem 6. April nicht mehr besuchen können und wurden deshalb am Militärkrankenhaus vorstellig. Stunden später verbreitete das Regime von Präsident Maduro ein Video, in dem ein seltsam muskulös anmutender Mann behauptete, er sei López und es gehe im gut. Alles sei Propaganda der rechten Oligarchie, mockierte sich der sozialistische Oberpropagandist Diosdado Cabello in seiner TV-Sendung. Das Video sei eine Fälschung und das Regime spiele ein perverses Spiel, entgegnete hingegen López’ Frau Tintori.
Seit 2014 sitzt Lopez in Haft
Seit den Studentenprotesten von 2014, die von seiner Partei „Voluntad Popular“ maßgeblich unterstützt wurden, sitzt der ehemalige Bürgermeister des Hauptstadtdistrikts Chacao in Haft. Eineinhalb Jahre später verurteilte ihn ein von der Regierung kontrolliertes Gericht wegen Anstachelung zur Gewalt und Verschwörung zu 13 Jahren Gefängnis. Für Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International ist er ein politischer Gefangener – wie mehr als 100 weitere Venezolaner auch. Der ehemalige Stadtteilbürgermeister von Caracas aber ist für Maduro eine besonders wichtige Geisel, denn er ist beliebt, politisch erfolgreich und gut vernetzt.
López entstammt einer der reichsten Familien des Erdölstaates. Als Hugo Chávez 1998 die Präsidentschaftswahlen gewann, machte er gerade erste politische Erfahrungen. Dabei sollte er ursprünglich die Unternehmerkarriere einschlagen. Von 1996 bis zum Amtsantritt von Chávez 1999 arbeitete er in der staatlichen Erdölfirma PDVSA. Doch seine eigentliche Passion war damals schon die Politik. In Harvard hatte er Politikwissenschaften studiert. Im sozialistischen Venezuela war er in mehreren Parteien der anfangs zersplitterten Opposition aktiv. Er gründete die Partei „Primero Justicia“, die einen eher sozialdemokratischen Kurs einschlug, wechselte in die konservative „Un nuevo tiempo“, anschließend gründete er „Voluntad Popular“, die eher auf seine Person zugeschnitten war.
Ständige Schikanen durch den Staat
Von 2000 bis 2008 war er Bürgermeister des Stadtteils Chacao, bei seiner Wiederwahl erreichte er knapp 80 Prozent. Der gläubige Katholik war der prominenteste Oppositionspolitiker und haushoher Favorit, als er sich kurz danach auf den Posten des Großbürgermeisters von Caracas bewarb. Doch er war auch Ziel von Schikanen: Seine Tante und sein Bodyguard wurden erschossen, er wurde mehrfach festgenommen und verhört. Und dann suspendierte der von der Regierung kontrollierte Rechnungshof sein passives Wahlrecht bis zum Jahr 2016. Der Vorwurf gegen ihn wiegt schwer: Er habe während des Generalstreiks in Venezuela im Jahr 2002 umgerechnet 400000 US-Dollar aus dem Haushalt der Stadt umgetitelt, um Gehälter der Feuerwehr und Lehrer zu bezahlen und unrechtmäßig eine Schenkung von PDVSA erhalten.
Die Unterschlagung wurde gerichtlich gleichwohl nie bewiesen. Im Gegenteil: Der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof verurteilte 2011 einstimmig die Regierung wegen Verletzung seiner politischen Rechte. Doch López Karriere hatte einen Dämpfer erhalten. Seit 2008 stand er im Schatten des kaum älteren Henrique Capriles, Bürgermeister des ebenfalls oppositionellen Stadtteils Baruta. Auch er hatte die Rache der Regierung zu spüren bekommen: Wegen Protesten vor der kubanischen Botschaft, die in seinem Stadtteil lag, landete er im Gefängnis. Später wurden die Vorwürfe fallen gelassen und der ruhigere, weniger charismatische Capriles wurde die Gallionsfigur der Opposition, während der umtriebige, impulsivere López als Kampagnen- und PR-Chef eine Schlüsselposition im Schatten innehatte. (mit dpa, AFP)
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