Schließungen vor Weihnachten: Kretschmer will „harten Corona-Wellenbrecher“ für Sachsen
Das Wort „Lockdown“ vermeidet er. Aber wegen dramatischer Coronazahlen in Sachsen will Ministerpräsident Kretschmer nun rasch handeln.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hat angesichts dramatisch steigender Corona-Infektionen weitere harte Einschnitte in seinem Bundesland angekündigt. Bei einer Regierungserklärung im Landtag sprach er am Donnerstag von einem „harten und klaren Wellenbrecher“ für zwei oder drei Wochen. Das Wort Lockdown vermied er.
Details sollen am Freitag vom Kabinett beschlossen werden. Es gelte auch noch die Beschlussfassung im Bundestag und im Bundesrat abzuwarten, sagte der Regierungschef. Der Bundestag hat am Donnerstag mit dem Stimmen von SPD, Grünen und FDP das neue Infektionsschutzgesetz beschlossen. Am Freitag stimmt der Bundesrat ab.
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Kretschmer verwies auf den extrem hohen Wert der Wocheninzidenz in Sachsen, den das Robert Koch-Institut am Donnerstag mit 761,4 angab. Damit hat Sachsen bundesweit mit Abstand die höchste Infektionsrate vor Bayern (609,5) und Thüringen (565,0).
Dies zeige einmal mehr, dass dringend gehandelt werden müsse, betonte Kretschmer. Die Seuche brauche vorausschauendes Handeln. Es gebe einen direkten Zusammenhang zwischen Impfquote und Inzidenz. Sachsen haben die niedrigste Impfquote, obwohl man immer wieder für das Impfen geworben habe. Es gebe nur einen Weg, die Seuche zu beenden - die Immunisierung.
Die Pläne für Sachsen wurden der „Leipziger Volkszeitung“ zufolge bei einer außerordentlichen Sitzung des CDU-Fraktionsvorstandes am Mittwochabend besprochen.
Demnach befürwortet Kretschmer die komplette Schließung von Bars und Diskotheken sowie ein generelles Verbot von Großveranstaltungen. Auch Schließungen im Kultur- und Freizeitbereich sind im Gespräch. Unklar sei noch, ob Restaurants geöffnet bleiben können.
Wegen der verschärften Corona-Lage treten in Sachsen an diesem Freitag Kontaktbeschränkungen und strengere Zutrittsregeln in vielen Bereichen in Kraft.
Kretschmer nennt Leugnen der Pandemie „unfassbar“
Kretschmer verglich die Situation in Sachsen mit den Jahrhunderthochwassern. In der Pandemie seien die Dämme nun gebrochen. „Diese Welle bricht sich jetzt Bahn. Niemand hat die Kraft, in der jetzigen Situation, diese Dämme zu schließen. Das Wasser steigt.“ Bei Hochwasser beginne dann die Phase der Evakuierung. Man müsse dieses Land zur Ruhe bringen. Das könne man vor allem mit einer Kontaktreduzierung erreichen. Dafür sei ein gemeinsames Handeln und gesellschaftlichen Zusammenhalt notwendig. „Vom Ich zum Wir - das ist das Gebot der Stunde. Nur so schaffen wir es, die Pandemie zu bewältigen.“
Kretschmer hielt es für „unfassbar“, dass manche die Pandemie noch immer leugnen. „Wer über Monate Lügen hört, wird am Ende nicht mehr wissen, was die Wahrheit ist.“ Das sei ein Teil des Problems und Grund für die niedrige Impfquote sowie die Ablehnung notwendiger Maßnahmen. „Verschwörungstheorien, Desinformationen haben in einem Teil der Bevölkerung eine solche Macht gewonnen, dass die Bürgerinnen und Bürger dort nicht mehr wissen, was die Wahrheit ist.“ Wer die Pandemie jetzt noch leugne, mache sich schuldig, weil viele nicht mehr gerettet werden könnten, wenn man dieses Spiel weiter betreibe.
„Lassen Sie uns Luft holen“
Sachsens Krankenhauskoordinator Michael Albrecht fordert einen 14-tägigen Lockdown, um die drastisch steigenden Corona-Infektionszahlen im Freistaat in den Griff zu bekommen. „Meine persönliche Empfehlung wäre: Machen Sie jetzt einen totalen Lockdown für 14 Tage. Lassen Sie uns Luft holen, lassen Sie uns sehen, wie sich die Entwicklung der Fallzahlen dann abschwächen wird“, sagte der medizinische Vorstand des Universitätsklinikums Dresden am Mittwochabend bei einer Online-Diskussionsrunde mit Kretschmer.
Die Prognosen gingen davon aus, dass die Zahlen der Corona-Erkrankten in den Kliniken und Intensivstationen immer weiter steigen würden - laut Prognosen auf mehr als 2800 Patienten insgesamt in den Krankenhäusern und 550 Intensivpatienten in zwei Wochen. „Da sind wir dann schlechter als wir im Dezember letzten Jahres waren, wo wir ja wirklich in heroischen Aktionen kurz vor Weihnachten 60 intensivpflichtige Patienten aus Sachsen in andere Bundesländer ausgeflogen haben“, sagte Albrecht.
Abgeschwächte Maßnahmen führten dazu, dass man dem Infektionsgeschehen hinterherlaufe. Deshalb sei jetzt ein Lockdown besser, um vor Weihnachten „mit abgestuften Regelungen zum normalen Leben“ zurückzufinden.
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Leipzigs Chef-Infektiologe Christoph Lübbert sieht die Versorgung von Covid-19-Patienten gefährdet. „Wir bringen unser Gesundheitswesen in die Überlastung. Bei den Normalstationen ist die Grenzmarke der Covid-Betten bereits deutlich überschritten, die 420 Covid-Intensivbetten in Sachsen sind nächste Woche voll“, sagte Lübbert, der den Bereich Infektions- und Tropenmedizin am Uniklinikum Leipzig leitet und Chefarzt der Klinik für Infektiologie und Tropenmedizin am Klinikum St. Georg ist.
„Das hat erhebliche Auswirkungen, die offenbar immer noch nicht allen klar sind“, sagte Lübbert der „Leipziger Volkszeitung“ weiter. „Wenn jemand einen Schlaganfall hat, einen akuten Herzinfarkt, wenn jemand dringend eine Bypass-OP braucht oder bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt wurde, dann ist es schon jetzt nicht mehr so einfach, ihm das richtige Krankenhausbett zu besorgen. Und die Lage verschärft sich.“
Lübbert rief dazu auf, sich impfen zu lassen. „Dass zu viele Menschen beim Impfen als wichtigster Präventionsstrategie nicht mitmachen und sich entsolidarisieren, führt dazu, dass Patienten schlecht oder im
schlimmsten Fall gar nicht mehr versorgt werden können“, warnte er. (Tsp, dpa)