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Auch mit Stimmen der SPD-Fraktion wurde das neue Infektionsschutzgesetz verabschiedet.
© imago/Emmanuele Contini

Mit den Stimmen der Ampel-Parteien: Bundestag beschließt neues Infektionsschutzgesetz

SPD, Grüne und FDP haben ein neues Infektionsschutzgesetz im Bundestag beschlossen, am Freitag stimmt der Bundesrat darüber ab. Die Maßnahmen im Überblick.

Mit den Stimmen von SPD, Grünen und FDP hat der Bundestag am Donnerstag Änderungen am Infektionsschutzgesetz verabschiedet. Damit geben die Ampel-Parteien den Corona-Maßnahmen eine neue Rechtsordnung. Die epidemische Lage nationaler Tragweite läuft zum 25. November aus, dafür sind nun viele Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung im neuen Infektionsschutzgesetz festgehalten.

Bei der namentlichen Abstimmung votierten 398 Abgeordnete für das Gesetz, 254 stimmt dagegen. 36 Abgeordnete enthielten sich ihrer Stimme. Der Instrumentenkasten für die Länder wird nun reduziert, da die Ampel Schulschließungen, Ausgangssperren oder die Schließung von Gastronomie und Handel bei fast 70 Prozent Geimpften für unverhältnismäßig hält.

Dazu zählen die bekannten Hygieneregeln, Maskenpflicht, 2G-Optionen für die Länder, eine 3G-Pflicht am Arbeitsplatz und in Bus und Bahnen, Testpflichten in Heimen. In einer Übergangszeit sind für die Länder zudem Lockdowns für Ungeimpfte und Schulschließungen möglich. Am Freitag muss der Bundesrat dieser Gesetzesänderung noch zustimmen, damit sie wirksam wird.

Dem Beschluss vorausgegangen war eine emotionale Debatte. Die Union hatte den Ampel-Parteien vorgeworfen, den Ländern Maßnahmen im Kampf gegen die Pandemie wegzunehmen. "Sie werden der Dramatik der Lage nicht gerecht", sagte der stellvertretende Unions-Fraktionschef, Stephan Stracke. "Das kann nicht gut gehen", sagte der CSU-Politiker zu den Ampel-Plänen. Ein Gesetzentwurf, der die bisherige epidemische Lage nationaler Tragweite fortgesetzt hätte, wurde abgelehnt.

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Die Ampel-Parteien warfen der Union parteipolitische Spielchen vor. "Sie kämpfen nicht gegen Corona, Sie kämpfen gegen eine politische Konstellation, die im Werden ist", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP, Marco Buschmann. Es gehe aber nicht um Union gegen Ampel.

Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, Sabine Dittmar, nannte die Argumente der Union "fadenscheinig und scheinheilig". "Die Länder haben mehr Möglichkeiten des effektiven Handelns", sagte Dittmar. Sie forderte zudem, bei den Booster-Impfungen Tempo aufzunehmen. "Um vor die vierte Welle zu kommen, müssen wir täglich 1,4 Millionen Menschen impfen", sagte sie.

Katrin Goering-Eckardt hält das neue Infektionsschutzgesetz für rechtsicherer.
Katrin Goering-Eckardt hält das neue Infektionsschutzgesetz für rechtsicherer.
© REUTERS

Kathrin Göring-Eckardt, Fraktionsvorsitzende der Grünen, verteidigte das neue Infektionsschutzgesetz. Anders als die epidemische Notlage binde es den Bundestag in die Pandemiebekämpfung ein und basiere auf rechtssicheren Maßnahmen. "Wir befinden uns in einer Notsituation", sagte Göring-Eckardt. Das neue Infektionsschutzgesetz gebe den Ländern "drastische Maßnahmen" an die Hand.

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Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) reagierte spontan in einer Kurzintervention. Er sprach von einer schwierigen Situation für die geschäftsführende Bundesregierung, das neue Gesetz sehe er kritisch. "Ich würde mir wünschen, dass die Länder mehr Möglichkeiten hätten, zu reagieren", sagte Spahn, wurde dabei aber nicht konkreter. Auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich vorab kritisch zu den Änderungen geäußert.

Gesundheitsminister Jens Spahn (SPD) wünscht sich mehr Maßnahmen für die Länder.
Gesundheitsminister Jens Spahn (SPD) wünscht sich mehr Maßnahmen für die Länder.
© REUTERS

Ein Überblick über die wichtigsten Neuerungen und Inhalte des neuen Infektionsschutzgesetzes:

  • Lockdown-Option: Das Versprechen der Ampel-Parteien lautete: Keine Schulschließungen, keine Lockdowns mehr, keine Ausgangssperren. Doch der Druck war letztlich zu groß, auch das musste revidiert werden. Und wo den Ländern strikte jegliche Lockdown-Maßnahmen untersagt wurden, gibt es nun doch eine Länderöffnungsklausel. Wenn bis zum Auslaufen der epidemischen Lage am 25. November ein regionaler Lockdown verhängt wird, darf er bis maximal 15. Dezember andauern. Aber: Er dürfte – ähnlich wie in Österreich – von der rechtlichen Lage her nur auf Ungeimpfte zielen.
  • Epidemische Lage nationaler Tragweite: Diese läuft zum 25. November aus. SPD, Grüne und FDP begründen das mit der veränderten Situation, vor allem juristisch. Zwar ist die nationale Notlage ganz offensichtlich mehr denn je gegeben. Da geimpfte und genesene Bürger aber nicht in ihren Grundrechten weiter eingeschränkt werden können, sehen die Ampel-Parteien aber die Regelungen mit Sonderdurchgriffsrechten der Exekutive für überholt an. Die Entscheidungen sollen wieder verstärkt im Bundestag, dem Parlament, fallen. Und der Instrumentenkasten wird gestrafft, es wird umgestellt auf mildere Maßnahmen, um den Impfdruck zu erhöhen. Die Bundesländer können je nach Infektionsgeschehen 2G-Plus-Beschränkungen, zum Beispiel für Stadien, Weihnachtsmärkte oder andere Veranstaltungen erlassen, dann dürfen nur geimpfte oder genesene Bürger hinein, die zusätzlich einen negativen Test vorlegen können. Zudem sind 2G- (nur geimpft oder genesen) oder 3G-Regelungen (geimpft, genesen oder getestet) für den Zutritt zu Innenräumen überall möglich.
  • Kontaktbeschränkungen/Weihnachtsmärkte: Bisher sind in Paragraph 28a des Infektionsschutzgesetzes 17 Maßnahmen festgelegt, wie Ausgangssperren, Untersagung oder Beschränkung von Freizeit-, Sport- und Kulturveranstaltungen und Gottesdiensten, das Schließen oder Einschränken von Hotels, Restaurants, Geschäften und Fitnessstudios. Die Ampel-Parteien argumentieren, angesichts vieler Geimpfter seien das zu viele unverhältnismäßige Maßnahmen. Das bedeutet aber auch: Auch bei einer Inzidenz von beispielsweise 2000 wären dann Kneipen ohne Sperrstunde offenzuhalten – sie könnten aber zu 2G-Plus verpflichtet werden. Möglich bleiben sollen aber Kontaktbeschränkungen und Alkoholverbote und die Absage von Sport-, Konzert- oder anderen Veranstaltungen. Daher können auch Weihnachtsmärkte abgesagt werden.
  • Bundesweit 3G: Erstmals wird bundesweit eine 3G-Pflicht am Arbeitsplatz greifen – ebenso in allen Bussen und Bahnen, im Nah- wie Fernverkehr. Wer ein öffentliches Verkehrsmittel nutzt, muss dann entweder geimpft, genesen oder getestet sein – das soll stichprobenartig kontrolliert werden und Verstöße werden mit Bußgeldern belegt. Gewerkschaften befürchten bereits Übergriffe auch das Personal in Zügen und Bussen. Ebenfalls bundesweit verpflichtend soll die 3G-Regel am Arbeitsplatz gelten. „Arbeitgeber und Beschäftigte dürfen Arbeitsstätten, in denen physische Kontakte von Arbeitgebern und Beschäftigten (...) nicht ausgeschlossen werden können, nur betreten (...), wenn sie geimpfte Personen, genesene Personen oder getestete Personen sind“. Dazu bekommen Arbeitgeber ein Auskunfts- und Kontrollrecht; sie dürfen den Impfstatus abfragen. Wenn Arbeitnehmer sich dem verweigern, kann ihnen der Lohn vorenthalten werden. Überall wo es möglich ist, soll aber ohnehin auf Homeoffice umgestellt werden, um die Zahl der Kontakte zu reduzieren.
  • Kitas und Schulen: Mit Ausnahme der Lockdown-Option bis 15. Dezember gilt: Alles soll offen bleiben, notfalls mit Maskenpflicht oder Wechselunterricht. Ein Schließen von Gemeinschaftseinrichtungen nach Paragraph 33 des Infektionsschutzgesetzes soll bundesweit untersagt werden, hier wird den Ländern also die Rechtsgrundlage entzogen. In dem Paragraphen werden als Gemeinschaftseinrichtungen definiert: Kindertageseinrichtungen und Kinderhorte, Schulen und sonstige Ausbildungseinrichtungen, Heime und. Ferienlager.
  • Bürgertests: Um mehr Klarheit über das Infektionsgeschehen durch mehr Tests zu bekommen, gibt es seit Samstag wieder die Option auf einen kostenlosen Bürgertest pro Woche, dies soll aber ausgeweitet werden und Bürgertests wahrscheinlich generell kostenlos sein. Bei der 3G-Regelung am Arbeitsplatz gilt, dass ein PCR- statt einem Schnelltest auch 48 statt 24 Stunden alt sein darf, da PCR-Tests wegen der viel längeren Dauer bis zum Ergebnis sonst nicht als Nachweise genutzt werden können.
  • Tägliche Testpflicht in Heimen: Dabei gelten als Besuchspersonen nicht nur Privatbesuche von Bewohnern, sondern alle Personen, die die Einrichtung betreten wollen oder müssen; etwa Therapeuten, Handwerker oder Paketboten. Geimpfte oder Genesene müssen sich nicht täglich testen lassen. Geimpfte Beschäftigte und geimpfte oder genesene Besuchspersonen, sollen nur zweimal pro Kalenderwoche ein negatives Testergebnis vorlegen müssen. Auch Besuchspersonen, die zum Beispiel einmal mittags und einmal abends kommen, sollten nicht zweimal getestet werden müssen.
  • Impfpass-Fälschungen: Zuletzt mehrten sich die Berichte über kriminelle Impfpassfälscher – mit den gefälschten Dokumenten wiederum holten sich Bürger den digitalen Impfnachweis in Apotheken ab. Wer die Herstellung eines falsches Impfausweises vorbereitet, indem er zum Beispiel in einem Blanco-Impfausweis eine nicht gemacht Schutzimpfung dokumentiert oder solche Dokumente anderen verschafft, kann mit Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren bestraft werden, wer die Dokumente wiederum verwenden, dem drohen Geldstrafen oder bis zu ein Jahr Haft.
  • Digitale Kontaktnachverfolgung: Zur Kontaktnachverfolgung soll vor allem auf die Corona-Warn-App gesetzt werden, fast überall in Restaurants und anderen Orten können QR-Codes eingescannt werden, die den Aufenthalt dokumentieren. Dazu gibt es eine entsprechende Funktion, anders als die LucaApp, checkt die Corona-App die Leute nach Verlassen etwa eines Lokals auch automatisch aus. Die Regelungen zur Maskenpflicht und Abstandsgeboten bleiben wie gehabt bestehen.
  • Dauer: Die Maßnahmen sollen bis zum 19. März 2022 gelten. Hinzu kommt nun aber eine einmalige Verlängerungsmöglichkeit: „Der Bundestag wird ermächtigt, bis zum 19.3.2022 durch einen Beschluss die Geltungsdauer der Vorschriften um maximal drei Monate zu verlängern.“

Rechtskräftig sind die Beschlüsse noch nicht. Das Gesetz ist zustimmungspflichtig, muss also vom Bundesrat bestätigt werden. Dieser kommt am Freitag in Berlin zusammen. Die Union könnte mit ihrer Mehrheit dort das Gesetz blockieren, dann müsste ein Vermittlungsausschuss angerufen werden. Dies würde ein neues Gesetz jedoch verzögern, da es noch nicht einmal einen Vermittlungsausschuss gibt.

Dies könnte im schlimmsten Fall dazu führen, dass es gar keine Rechtsgrundlage für die Corona-Maßnahmen mehr gibt. Denn am 25. November läuft die epidemische Notlage aus, gibt es dann kein neues Infektionsschutzgesetz, fallen die meisten Corona-Maßnahmen. Der Berliner CDU-Abgeordnete Jan-Marco Luczak hielt diese Option offen: "Wir wissen nicht, wie der Bundesrat morgen entscheiden wird."

Am Mittag treffen sich zuvor die Länderchefs zu einem Bund-Länder-Treffen, um auf Grundlage des geänderten Infektionsschutzgesetzes flächendeckende Regelungen zu treffen. Es wird erwartet, dass sich die Länder auf fixe Inzidenz- oder Hospitalisierungsraten einigen, ab denen flächendeckend 2G gilt. Mit einem Beschluss wird am Abend gerechnet.

Die Unions-Ministerpräsidenten sprechen sich für die Bund-Länder-Videokonferenz mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nach einer internen Abstimmung vor für eine flächendeckende 2G-Regelung aus, erfuhr der Tagesspiegel aus Teilnehmerkreisen. Das betreffe die Bereiche Freizeit, Kultur, Sport, Gastro, Veranstaltungen in Innenräumen, körpernahe Dienstleistungen, Beherbungen. Zudem soll es eine Impfpflicht für Angehörige von Heil-und Pflegeberufen und alle Mitarbeiter in Krankenhäusern und Behinderteneinrichtungen geben, um die schwer belasteten Pflegekräfte mehr zu unterstützen soll es einen neuen Pflegebonus geben.

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