Grüner gegen „Sprachpolizisten“: Kretschmann lehnt Regeln für gendergerechte Sprache ab
Jeder solle „so reden können, wie ihm der Schnabel gewachsen ist“, sagt Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann – der in einer Umfrage gut abschneidet.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist strikt gegen Vorschriften für eine geschlechtergerechte Sprache. „Von diesem ganzen überspannten Sprachgehabe halte ich nichts“, sagte der Grünen-Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. „Natürlich müssen wir darauf achten, dass wir in unserer Sprache niemanden verletzen, und Sprache formt unser Denken ein Stück weit. Aber jeder soll noch so reden können, wie ihm der Schnabel gewachsen ist.“ Er sei gegen „Sprachpolizisten“.
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Kretschmann gab zu, dass es ihm nicht leichtfalle, stets auch die weibliche Form zu nennen, wenn er etwa von Zuschauern und Zuschauerinnen spreche oder von Polizisten und Polizistinnen. „Mit der Verwechslung von Genus und Sexus kann ich gar nichts anfangen, beuge mich aber zu einem gewissen Grad diesem Trend.“
Genus bezeichnet das grammatische Geschlecht, Sexus das biologische. Viele Leitfäden für geschlechtergerechte Sprache empfehlen, grammatisch männliche Formen wie „Lehrer“ nur noch für auch biologisch männliche Lehrer zu verwenden.
Unbeugsam zeigt sich Kretschmann im Umgang mit historischen Vorbildern. An seiner Lieblingsphilosophin hält er fest, obwohl sie unter Rassismusverdacht geraten ist. „Hannah Arendt war das nackte Gegenteil einer Rassistin“, betonte er. „Die Verschiedenheit von Menschen ist sozusagen das Grundlagenprogramm ihrer politischen Philosophie. Ob sie da jetzt irgendwelche Vorurteile hatte, die man zu ihrer Zeit über Afrikaner hatte, ist eine ganz andere Frage.“
Nach dem Tod des Afroamerikaners George Floyd bei einem brutalen Polizeieinsatz im Mai in den USA hat die Rassismusdebatte auch das Werk von Hannah Arendt (1906-1975) erfasst. Denn die Publizistin behauptete, dass Afroamerikaner selbst mitschuldig seien am Rassismus.
Für Deutsche ist Kretschmann geeignetster Grünen-Kanzlerkandidat
In Deutschland halten Kretschmann einer Umfrage am ehesten für geeignet, um die Grünen als Kanzlerkandidat in die Bundestagswahl zu führen. Für Kretschmann sprechen sich 29 Prozent der Befragten aus, wie das Meinungsforschungsinstituts Kantar im Auftrag der Funke Mediengruppe ermittelte. 48 Prozent sind gegen Kretschmann als Kanzlerkandidat, 23 Prozent wollen sich nicht festlegen.
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Damit schneidet der Stuttgarter Regierungschef besser ab als die amtierenden Grünen-Vorsitzenden. Robert Habeck landet mit 25 Prozent Zustimmung und 47 Prozent Ablehnung auf dem zweiten Rang, Annalena Baerbock (18 zu 55 Prozent) kommt auf Platz drei.
Fast gleichauf mit Baerbock liegt Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt (18 zu 58 Prozent), die ein deutlich besseres Ergebnis erzielt als ihr Co-Fraktionsvorsitzender. Nur 10 Prozent halten Anton Hofreiter für einen geeigneten Kanzlerkandidaten, während 65 Prozent dies verneinen.
Im eigenen Lager schneidet Kretschmann schlechter ab
Ein anderes Bild ergibt die Kantar-Umfrage unter den Anhängern der Grünen, die Habeck und Baerbock besser bewerten als Kretschmann – ohne allerdings auf überwältigende Zustimmung zu treffen. Habeck wird von 56 Prozent der Grünen-Wähler für einen geeigneten Kanzlerkandidaten gehalten, 22 Prozent sind gegenteiliger Meinung. Baerbock kommt auf 50 Prozent Zustimmung und 31 Prozent Ablehnung.
Bemerkenswert: Kretschmann schneidet im eigenen Lager (34 zu 44 Prozent) schlechter ab als unter den Anhängern von Union (39 zu 44 Prozent) und SPD (40 zu 49 Prozent). Auf den weiteren Plätzen in der Anhängerschaft der Grünen: Göring-Eckardt (35 zu 50 Prozent) und Hofreiter (13 zu 64 Prozent). Kantar befragte 1017 repräsentativ ausgewählte Personen am 29. und 30. Juli 2020 in ganz Deutschland. (dpa, AFP)